Neues vom Zauberwürfel:Rubiks Würfel und Gottes Zahl

Ein 30 Jahre altes Spielzeug fasziniert Mathematiker noch heute: Wie viele Züge braucht man höchstens, um den bunten Zauberwürfel zu knacken?

Wolfgang Blum

Ein Holländer hat es in sieben Sekunden geschafft, ein Pole mit verbundenen Augen in 54, ein Japaner einhändig in 15 und ein Südkoreaner mit den Füßen in 37 Sekunden.

Neues vom Zauberwürfel: Rund 300 Millionen Exemplare des Rubik-Würfels wurden verkauft.

Rund 300 Millionen Exemplare des Rubik-Würfels wurden verkauft.

(Foto: Foto: ddp)

Das sind vier aktuelle Weltrekorde für den Rubik-Würfel, bei dem es darum geht, einen auf jeder Seite mit Farbfeldern beklebten Plastikwürfel so zu verdrehen, dass alle seine Seiten einfarbig werden.

Der vom ungarischen Bauingenieur Erno Rubik erdachte Zauberwürfel beschäftigt, seit er vor 30 Jahren die Welt eroberte, nicht nur Rekordjäger, sondern auch Mathematiker.

Noch heute zieht das Spielzeug, von dem weltweit rund 300 Millionen Exemplare verkauft wurden, Menschen in seinen Bann. So stammen alle eben genannten Weltrekorde aus dem Jahr 2008. An diesem Wochenende beginnen die europäischen Meisterschaften der Würfeldreher im spanischen Bilbao. 141 Teilnehmer - unter ihnen drei Deutsche - treten in 17 Disziplinen gegeneinander an.

In einem der Wettbewerbe geht es nicht darum, den Würfel am schnellsten zu ordnen, sondern mit den wenigsten Verdrehungen. Das ist aus mathematischer Sicht die anspruchsvollste Aufgabe.

Die Frage, wie viele Züge maximal notwendig sind, um den Würfel aus einer beliebigen Stellung in seinen Urzustand zurückzudrehen, beschäftigt Mathematiker und Computerwissenschaftler seit vielen Jahren. Weil die Fachwelt so intensiv nach dieser Maximalzahl sucht, hat sich dafür eine reichlich unbescheidene Bezeichnung eingebürgert: Gottes Zahl.

Eine untere Grenze für diese Zahl hat Michael Reid bereits vor 13 Jahren gefunden. Der Mathematiker aus Florida untersuchte eine Stellung des Würfels, bei der auf jeder Seite nur die Plättchen in der Mitte und an den Ecken gleichfarbig waren, und bewies, dass aus dieser Formation mindestens 20 Züge nötig sind, um die Farben jeder Seite zu vereinigen.

Inzwischen sind rund 36.000 weitere Ausgangsstellungen bekannt, die nicht weniger als 20 Züge für die Lösung erfordern.

43 Trillionen Konstellationen

Tatsächlich ist noch keine einzige Farbkonstellation bekannt, die mehr als 20 Züge braucht. Es gibt aber auch keinen mathematischen Beweis, dass jede Stellung des Würfels nur 20 Züge für die Lösung braucht.

Gottes Zahl ist somit mindestens 20. Sie könnte aber auch 21 oder 23 oder 50 sein, je nachdem, ob irgendwann eine Stellung gefunden wird, die sich nur mit der entsprechenden Anzahl von Zügen auf den Urzustand zurückdrehen lässt.

Das Problem ist auch für Mathematiker nicht trivial. Rubiks Spielzeug lässt sich in 43 Trillionen verschiedene Positionen bringen. Mit dieser Zahl von Würfeln könnte man die gesamte Oberfläche der Erde 200-mal bepflastern. Und für jede dieser Ausgangsstellungen gibt es 18 Möglichkeiten für den ersten Zug, danach wieder je 18 für den zweiten und so weiter. Es ist völlig aussichtslos, für alle Ausgangslagen sämtliche Zugkombinationen durchzuprobieren. Auch die schnellsten Supercomputer der Welt wären hoffnungslos überfordert.

Auch wenn man Symmetrien berücksichtigt und zum Beispiel nicht unterscheidet, ob die rote Seite nach oben, unten oder zu Seite zeigt, sind es zu viele Konfigurationen, um alle durchzurechnen.

"Drei Millionen Computer wären damit mehr als drei Millionen Jahre beschäftigt", sagt Tomas Rokicki. Um dennoch Gottes Zahl herauszufinden, stützt sich der kalifornische Mathematiker auf einen ähnlichen Trick wie die "Speedcuber" genannten Fummler, die den Würfel in Sekunden ordnen können.

Die meisten Speedcuber merken sich Muster, etwa ein gleichfarbiges Kreuz auf einer Seite, und wie sie von diesen aus zu einem sortierten Würfel kommen. Es geht also nur noch darum, aus einer beliebigen Anfangsstellung eines der Muster zu erreichen, das sie im Traum lösen.

Die besonderen Würfelstellungen, die Rokicki verwendet, zeichnen sich allerdings nicht durch sichtbare Kreuze oder Ähnliches aus. Der Kalifornier stützt sich auf Arbeiten des Darmstädter Mathematiklehrer Herbert Kociemba. Dieser untersuchte 1992, welche Stellungen von einem geordneten Würfel erreichbar sind, wenn nur zehn statt der jeweils 18 möglichen Verdrehungen erlaubt sind.

Durch dieses Verbieten von Zügen sinkt die Zahl der möglichen Würfelstellungen enorm. Statt 43 Trillionen sind es nur noch rund 20 Milliarden Muster, und deren schnellste Auflösung kann jeder PC problemlos berechnen.

Rubiks Würfel und Gottes Zahl

Darauf basierend schrieb Kociemba eine Software namens Cube Explorer, das für jede beliebige Würfelstellung ermittelt, in wie vielen Zügen sie sich zu einer der speziellen 20 Milliarden Stellungen überführen lässt. Gottes Zahl muss also kleiner sein als die Zahl der Züge, um von einer beliebigen Ausgangsstellung zu einem der Muster Kociembas zu gelangen, plus der Züge, die es von dann an braucht.

Michael Reid bewies so, dass die göttliche Zahl höchstens 30 ist. In maximal 12 Zügen kann jeder verdrehte Würfel auf eine Kociemba-Stellung zurückgeführt werden, von der aus es höchstens 18 Züge bis zur Lösung sind.

"Vermutlich ist Gottes Zahl 20"

Damit war klar, dass Gottes Zahl zwischen 20 und 30 liegen musste. Bis zum Anfang dieses Jahres ist es findigen Köpfen mit Varianten von Kociembas Ansatz sogar gelungen, die obere Grenze auf 26 zu senken. Im März veröffentlichte Tomas Rokicki im Internet, er habe sie auf 25 gedrückt.

Der Mathematiker, der seit 15 Jahren über Rubiks Würfel brütet, hatte die 43 Trillionen Ausgangsstellungen in zwei Milliarden Gruppen von jeweils rund 20 Milliarden Stellungen aufgeteilt und dann nicht mehr einzelne Stellungen gelöst, sondern jeweils ganze Gruppen.

An diesem Punkt stolperte zufällig John Welborn von der Firma Sony Pictures Imageworks, die die digitalen Spezialeffekte von Filmen wie Spider-Man 3 und I Am Legend hergestellt hatte, über Rokickis Arbeit. Welburn bot dem Kalifornier an, die vielen hundert Computer seines Unternehmens zu nutzen, wenn sie nicht für Produktionen benötigt werden. Derart ausgerüstet konnte Rokicki die obere Grenze für Gottes Zahl schrittweise auf 22 herabsetzen. Allein für die 22 brauchte er dabei zusammengerechnet 50 Jahre Prozessorzeit.

"Vermutlich ist Gottes Zahl 20", sagt Rokicki mittlerweile. "Aber sicher wissen wir das noch nicht." Derzeit arbeitet er daran, seine Methoden und Programme zu verbessern und die 21 und schließlich die 20 zu knacken. Wie viel Zeit er bereits in diese Forschung investiert habe? "Das ist eines meiner Hobbies. Und wer misst schon die Zeit, die er sich seinem Hobby widmet?"

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