Neue Videos aus Fukushima:"Wir haben kein Wasser. Und keine Ideen"

Angestellte sollten die Batterien aus ihren Autos holen, damit sie Strom für die Kühlung liefern. Neue Videos aus dem Inneren des Kraftwerks Fukushima-1 zeigen, wie verzweifelt die Lage nach dem Reaktorunglück tatsächlich war - und dass die Verantwortlichen dies von Anfang an wussten.

Christoph Neidhart, Tokio

Es gibt diesen Moment auf den Videos, der erahnen lässt, wie verzweifelt die Lage im Atomkraftwerk Fukushima 1 tatsächlich war: Die Kraftwerksleitung ruft ihre Mitarbeiter darin auf, die Batterien aus ihren Autos zu holen - man brauche Strom, um Brennstäbe zu kühlen. 150 Stunden Videomaterial besitzt die Betreiberfirma Tepco, 50 Stunden davon spielte sie jüngst einigen Journalisten vor. Sie zeigen, was sich im Kontrollraum abspielte, nachdem in Japan die Erde gebebt hatte, und sie zeigen auch, wie die Mitarbeiter dort per Videokonferenz mit ihrem Hauptquartier diskutierten. Angeblich wegen eines technischen Fehlers sind die Bilder teilweise ohne Ton, doch auch so zeigen sie, welches Chaos damals - im März 2011 - in Fukushima herrschte.

Atomkatastrophe in Fukushima

Die Betreiberfirma Tepco war auf den Atomunfall nicht vorbereitet.

(Foto: AFP)

Tepco war auf einen Unfall nicht vorbereitet. Es gab nicht einmal genügend Busse, um die Arbeiter zu transportieren. Der damalige Kraftwerksleiter Masao Yoshida beklagt auf einem Video verzweifelt: "Wir haben kein Wasser. Und keine Ideen." Die Tepco-Bosse im Hauptquartier jedoch brüllen ihm Befehle zu, spielen die Katastrophe aber nach außen herunter. Die Videos zeigen, dass Tepco von Anfang an wusste, dass die Kerne schmolzen, sich aber mit der Regierung entschied, dies selbst den Anliegern zu verschweigen.

Nach der Explosion in Block 3 forderte Yoshida alle Mitarbeiter auf, ihre Namen auf eine weiße Tafel zu schreiben. Das habe sich angefühlt, als müsste er seinen eigenen Grabstein beschriften, wird ein ehemaliger Mitarbeiter in einem Video zitiert, in dem sich der damalige Kraftwerksleiter Masao Yoshido nun auch öffentlich zu Wort meldet.

Yoshida musste im Oktober als Kraftwerkschef zurücktreten, er war an Krebs erkrankt. Inzwischen erlitt er auch einen Hirnschlag. In seinem Video, das ein Kommunikationsberater aufgenommen hat, sagt er über das Reaktorunglück, es sei "die Hölle" gewesen. Dreimal habe er geglaubt, "ich und alle meine Mitarbeiter müssten sterben". Yoshida sagt, er habe nicht gewusst, was los sei, als sich die Wasserstoff-Explosionen in Block 1 und später in Block 3 ereigneten. "Trümmer flogen durch die Luft, ich dachte, wir sterben, erst vermissten wir zehn Leute, aber sie haben zum Glück überlebt." Die Radioaktivität stieg, "aber wir konnten nicht alle Leute abziehen." Die Reaktoren 5 und 6 seien einigermaßen stabilisiert gewesen, ihre Kerne wären geschmolzen, wenn man sie sich selber überlassen hätte. "Vielleicht wäre die Strahlung so stark geworden, dass man Fukushima 2 auch hätte verlassen müssen."

Tepco zahlt nicht für psychologische Hilfe

Dass sich dieses Horrorszenario abwenden ließ, das andernfalls weite Teile Japans unbewohnbar gemacht hätte, darunter womöglich auch Tokio, verdankt die Welt jener Gruppe Arbeiter, die von den Medien "Fukushima Fifty" genannt werden; unter Todesgefahr harrten sie damals in dem Kraftwerk aus.

Während Yoshida beteuert, eher hätte er einen Selbstmordeinsatz versucht, als die strahlende Ruine sich selber zu überlassen, glauben die beteiligten Politiker, das Tepco-Hauptquartier habe in der Nacht auf 15. März alle Kräfte von Fukushima 1 abziehen wollen. Tepco bestreitet dies.

In seiner Videobotschaft stellt sich Yoshida nun bescheiden hinter die "Fukushima Fifty". Sie hätten Schlimmeres verhindert, sagt der ehemalige Kraftwerkschef. Er spricht vom Stress und der Angst der Leute, verliert aber als treuer Tepco-Leutnant kein Wort über Konflikte mit der Zentrale. Stattdessen sagt er, das Wichtigste sei es, die AKW-Ruine weiter zu stabilisieren. "Wir brauchen die Weisheit von ganz Japan und der ganzen Welt, um die Anlage unter Kontrolle zu bringen."

Die Leute am Kraftwerk sind weiterhin Strahlung und Stress ausgesetzt, heißt es in Yoshidas Video. Sie lebten unter miserablen Bedingungen, manche seien von ihren Frauen verlassen worden, doch die Öffentlichkeit behandle sie als Mitschuldige. Und Tepco spare an ihnen so viel Geld wie möglich. In ihren Unterkünften höre man das Rascheln der Bettdecke im Nachbarraum, Klos seien in einem anderen Gebäude. Für ihre mentale Betreuung habe Tepco kein Geld.

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