Naturschutz:Was ist uns die Umwelt wert?

Ökonomen streiten schon lange darüber, wie Ressourcen zu werten sind, die keinen klaren Marktpreis haben. US-Forscher wollen jetzt ermitteln, was etwa Freizeitanglern ihr Hobby wert ist - und plötzlich blühen Verschwörungstheorien auf.

David Malakoff

Der Scheck liegt in der Post. Dieser Satz hat für Scott Steinback ganz neue Bedeutung erlangt. Der Ökonom von der US-Atmosphären- und Ozeanbehörde NOAA verschickt derzeit Schecks im Wert von bis zu 500 Dollar an Angler in Massachusetts.

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Ein Junge fischt im Golf von Mexiko in Waveland, Mississippi. Die US-Atmosphären- und Ozeanbehörde NOAA versucht derzeit herauszufinden, wieviel es Menschen wert ist, im Salzwasser angeln zu dürfen. Die Studie stößt allerdings auf Widerstand.

(Foto: Bloomberg)

Die Briefe sind Teil einer ungewöhnlichen Studie, mit der Steinback ermitteln will, wie viel es Menschen wert ist, im Salzwasser angeln zu dürfen. Doch die Forschung hat heftige öffentliche Gegenreaktionen ausgelöst. Schon warnen manche Blogger, die Regierung wolle nur ihre Absicht vertuschen, Freizeitangeln künftig ganz zu untersagen. Ein Abgeordneter des US-Kongresses sprach von einem "unverantwortlichen" und "wahnwitzigen" Vorhaben.

Schnell haben Mitarbeiter der NOAA und der Regierung von Massachusetts diesen Behauptungen widersprochen. Sie nannten Steinbacks Studie ein wertvolles "wissenschaftliches Unterfangen".

Steinback selbst sagt, die Ergebnisse könnten politischen Entscheidungsträgern und Gerichten künftig entscheidend helfen. Schließlich stünden diese immer wieder vor der Frage, wie Kosten und Nutzen in Umweltfragen abzuwägen sind - etwa wenn der finanzielle Schaden bemessen werden soll, den eine menschengemachte Ölkatastrophe oder ein Hurrikan hinterlässt.

Seit langem schon streiten Ökonomen darüber, wie Ressourcen zu werten sind, die keinen klaren Marktpreis haben. "Du kannst eben nicht einfach in einen Laden gehen und ein Angelerlebnis kaufen", sagt Steinback, der selbst gerne angeln geht. Schon deshalb sei es so schwierig, den Wert des Angelns zu bemessen.

Zahlreiche Methoden haben Ökonomen inzwischen entwickelt. Am häufigsten verwenden sie den "kontingenten Bewertungsansatz": Dabei fragen sie Menschen, wie viel sie dafür zahlen würden, in einem Park wandern zu können oder einen Wald zu bewahren. Oder sie fragen, wie viel Schmerzensgeld Menschen fordern würden, sollte ihr Lieblingsteich so verschmutzt sein, dass sie nicht mehr darin schwimmen können.

Dabei ist die angebotene Bezahlung meist nicht real, was die Aussagen verzerren könne, sagen Kritiker. Manche Ökonomen sind daher der Ansicht, es sei besser, in solchen Untersuchungen echtes Geld anzubieten.

Genau das wurde in einer Studie in die Tat umgesetzt, die 1979 im American Journal of Agricultural Economics veröffentlicht wurde und die Steinback "einen echten Klassiker" nennt. Die Wissenschaftler wollten damals den Wert der Gänsejagd quantifizieren und haben Jägern Summen bis zu 200 Dollar angeboten, falls diese ihre Jagdlizenz ein Jahr lang ruhen lassen.

Die Studie habe ihn fasziniert, als er sie vor 20 Jahren als Student gelesen habe, sagt Steinback, der heute bei der NOAA-Außenstelle in Woods Hole in Massachusetts arbeitet. Und er nutzte sie als Modell für seine aktuelle Forschungsarbeit über den Wert des Hobbyangelns auf dem Meer.

Die Studie soll verschiedene Ansätze der Wertbestimmung vergleichen. Dazu werden alle rund 1900 Inhaber eines Angelscheins in Massachusetts angeschrieben. 500 von ihnen wird mit dem Brief eine Summe zwischen 15 und 500 Dollar angeboten, wenn sie ihre zehn Dollar teure Lizenz für das Jahr 2012 zurückgeben. Die entsprechenden Schecks (die meisten weisen eher die niedrige Summe aus) liegen den Briefen bereits bei. Sobald ein Angler seinen Scheck einlöst, wird sein Angelschein von den Behörden ungültig gemacht.

Eine zweite Gruppe von Hobbyanglern bekommt ähnlich hohe, aber nur hypothetische Angebote. Sie werden also nur gefragt, ob sie bereit wären, für diese oder jene Summe ihren Angelschein zurückzugeben. Und die Mitglieder einer dritten Gruppe werden gefragt, wie viel sie für eine Salzwasserlizenz zu zahlen bereit sind.

Die Ergebnisse werden dann mit den Resultaten einer früheren Studie verglichen, die ebenfalls den Wert des Angelns ergründen sollte. Darin wurden Angler zum Beispiel gefragt, wie weit sie für ihr Hobby reisen würden. Insgesamt wird Steinbacks Studie die NOAA rund 145 000 Dollar kosten, 75.000 Dollar davon entfallen auf die Schecks.

Der Ökonom hatte durchaus damit gerechnet, dass seine Studie Aufregung verursachen könnte. Doch die Stärke des Gegenwinds habe ihn "überrascht", sagt er. Die Briefe lösten bei manchen Anglern die Sorge aus, der Staat Massachusetts habe es im Sinn, die Gebühr für den Angelschein zu erhöhen.

Einige fürchteten sogar, die US-Regierung wolle dem Hobbyfischen ein Ende setzen, indem sie Angelscheine aufkauft. Andere empörten sich über die Kosten der Studie, vor allem nachdem die Zeitung Boston Globe Anfang März verkündet hatte: "In einem Experiment bieten die USA Anglern bis zu 500 Dollar an, damit sie nicht angeln."

"Irre" oder "wohl überlegt"?

Der Zeitungsartikel brachte den Abgeordneten Steve Southerland aus Florida in der vergangenen Woche dazu, der NOAA während einer Anhörung über das Budget der Behörde für 2013 auf den Zahn zu fühlen. Southerland sitzt zum ersten Mal im Kongress und hat früher ein Beerdigungsinstitut geführt.

Als Mitglied des Unterausschusses für natürliche Ressourcen im Repräsentantenhaus sagte er, es habe ihn "weggeblasen", dass die NOAA in "elenden ökonomischen" Zeiten "Hobbyangler dafür bezahlt, nicht zu angeln. Dies ist, als würden wir die Benzinpreise auf neun Dollar pro Gallone hochtreiben, nur um zu sehen, wie viel das Autofahren dem amerikanischen Volk bedeutet. Das ist irre".

Kein anderer Abgeordneter hat ähnliche Beschwerden vorgetragen, auch haben sich die NOAA-Mitglieder, die bei dem Hearing ausgesagt haben, behaupten können. "Der ganze Sinn dieser Angelegenheit", sei es gewesen eine akkurate Wertbestimmung für das Angeln zu erhalten, sagte der NOAA-Direktor für Naturschutz und Wirtschaft, Eric Schwaab. Die Studie sei "nach reiflicher Überlegung" begonnen worden.

Unabhängige Experten nennen die Studie lohnenswert. Angesichts ihres Aufbaus könne die Studie erheblich zum Erkenntnisgewinn beitragen, sagt der Ökonom James Sanchirico von der University of California in Davis. Steinback räumt ein, dass es "ein teurer Ansatz" sei. Aber er könne bei künftigen Umweltstudien zu sparen helfen, weil klar werde, in welcher Relation virtuelle Geldangebote zu echten stünden.

Trotz des rhetorischen Feuerwerks, das er ausgelöst hat, werde er weitermachen, sagt Steinback. Die ersten 125 Schecks hat er versendet. Etwa 20 davon wurden bisher eingelöst.

Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe des internationalen Wissenschaftsmagazins Science, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.sciencemag.org, www.aaas.org.

Deutsche Bearbeitung: Christina Berndt

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