Naturschutz:Auf dem Seeweg durch Amerika

Naturschutz: Bereits in fünf Jahren sollen riesige Frachter über den Nicaraguasee fahren.

Bereits in fünf Jahren sollen riesige Frachter über den Nicaraguasee fahren.

(Foto: Inti Ocon/AFP)

Ein chinesischer Milliardär will einen Kanal quer durch Nicaragua bauen, der Atlantik und Pazifik verbindet. Es würde das Land grundlegend verändern.

Von Robert Gast

Vor 100 Jahren reichte angeblich eine Briefmarke, um die Idee zu begraben. Auf ihr war ein aschespeiender Vulkan zu sehen, von denen es einige gibt in Nicaragua. Ein französischer Lobbyist verschickte Postkarten mit der Briefmarke an US-Senatoren. Das sollte die Politiker von einer Idee abbringen, die 1902 in Washington diskutiert wurde: eine künstliche Wasserstraße quer durch Nicaragua, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet.

Die Amerikaner bauten ihren Kanal letztlich in Panama. Nicaragua, der stolze kleine Staat weiter nördlich, ging leer aus. Heute ist es das ärmste Land Mittelamerikas. Es ist so arm, dass der chinesische Milliardär Wang Jing im Jahr 2013 das Nutzungsrecht für einen 278 Kilometer langen und zehn Kilometer breiten Streifen Land kaufen konnte. Dort soll nun doch noch ein Kanal gebaut werden. Er soll Panama Konkurrenz machen - und angeblich bereits in fünf Jahren fertig sein.

Politiker, Planer und Wissenschaftler sind sich einig: Der Bau wird das Entwicklungsland grundlegend verändern. Strittig ist allerdings, ob die Veränderungen im Sinne der sechs Millionen Einwohner Nicaraguas sein werden. Sie hoffen, dass die Handelsstraße Wohlstand bringt. Vielleicht wird der Kanal sogar beim Schutz der Umwelt helfen, sagen seine Befürworter. Kritiker warnen hingegen vor einem ökologischen Desaster und einem Ausverkauf der Interessen Nicaraguas.

Das Unternehmen "Hong Kong Nicaragua Canal Development Group" hat keine Erfahrung mit großen Infrastrukturprojekten

Aus Sicht vieler Beobachter steht hinter dem Megaprojekt die Volksrepublik China - auch wenn Wang Jing immer wieder bestreitet, ein Strohmann des Pekinger Parteibüros zu sein. So hat sein Unternehmen "Hong Kong Nicaragua Canal Development Group" (HKND) keine Erfahrung mit großen Infrastrukturprojekten. Außerdem wird ihm eine Nähe zur chinesischen Regierung nachgesagt. Für eine Beteiligung Chinas spricht auch, dass eineinhalb Jahre nach der Vertragsunterzeichnung zwischen der HKND und dem Staat Nicaragua noch nicht bekannt ist, wer die mindestens 45 Milliarden Euro für den Bau zahlen soll.

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(Foto: SZ-Karte)

Aus europäischer Sicht wirkt das, was in Nicaragua passiert, ziemlich kurios: Eine öffentliche Ausschreibung, wie bei großen Infrastruktur-Projekten üblich, gab es nicht. Ebenso wenig Studien, die im Vorfeld die Realisierbarkeit und Umweltfolgen abschätzten. Mehr als 30 Klagen gegen das Projekt hat der Oberste Gerichtshof Nicaraguas mit einem einzigen Richterspruch abgewiesen. Bereits vor einem Jahr kam es im kleinen Dörfchen Brito an der Pazifikküste zum Spatenstich, seitdem ruhen allerdings die Bagger. Erst Ende 2016 soll es weitergehen.

Der Kanal soll 30 Meter tief werden, was ihn fast doppelt so tief macht wie den nur rund 80 Kilometer langen Panamakanal. Damit könnten auch Frachter passieren, die im Panamakanal auf Grund laufen würden. Selbst nach einem Ausbau, der dieses Jahr fertig werden soll, können dort nur Schiffe mit bis zu 13 000 Containern fahren. Durch den Nicaragua-Kanal sollen Frachter mit doppelt so viel Ladung passen.

Aus 700 Millionen Kubikmetern Schlamm sollen drei künstliche Inseln entstehen

Dafür müssen allerdings fünf Milliarden Kubikmeter Erde ausgehoben werden. Die Haufen mit Schutt werden eine Fläche bedecken, die größer ist als das Bonner Stadtgebiet. 50 000 Arbeiter sind dafür nötig, schätzt die HKND. Zur Hälfte sollen sie aus Nicaragua kommen, daneben brauche man aber mehr als 12 000 Fachkräfte aus China. Um die Fahrtrinne zu gießen, sind jährlich fünf Millionen Tonnen Zement nötig - zehn Mal so viel, wie gegenwärtig in Nicaragua hergestellt wird.

Der große Kanal ist ein alter Traum im Land der Poeten. Der holländische Ingenieur Jangeert van der Post zählt in einem Buch über die Geschichte des Nicaragua-Kanals 72 Versuche auf, das Projekt zu verwirklichen. Bereits spanische Eroberer wollten die Handelsstraße bauen, um Gold und Silber schneller nach Europa zu schiffen. Auch Alexander von Humboldt hielt Nicaragua für den idealen Ort für einen transozeanischen Kanal.

Die USA erwog die Idee 1902, entschied sich dann aber für Panama. In Nicaragua hinterließ das große Frustration - und den Wunsch, diese Schmach irgendwann wettzumachen. Dieses Bedürfnis will Präsident Daniel Ortega mit seinen Plänen zweifellos bedienen. Im Fernsehen zeigt er stolz Bücher aus dem 19. Jahrhundert, in denen die Kanalroute bereits eingezeichnet ist. "Der Bau ist sehr wichtig, um die Armut zu bekämpfen", sagt er bei solchen Gelegenheiten.

Der Osten Nicaraguas ist hügeliges Nirgendwo

Wer heute durch Nicaragua reist, kann sich indes nur schwer vorstellen, dass hier bald ein Projekt dieser Größenordnung entstehen soll. Die Infrastruktur ist marode, die Armut an jeder Straßenecke sichtbar. Transportmittel Nummer eins sind ausgemusterte US-Schulbusse. Wer die knapp 300 Kilometer von der Pazifik- an die Atlantikküste reisen will, ist schon mal einen Tag lang in solch einem Fahrzeug unterwegs. Und teilt sich den Sitz nicht selten mit einem Sack Kartoffeln oder einem Käfig gackernder Hühner.

Der Osten Nicaraguas ist hügeliges Nirgendwo, in dem es mehr Regenwald als Zivilisation gibt. Der dichter besiedelte Westen ist flacher, aber für die Kanal-Ingenieure keine geringere Herausforderung. Unweit des Pazifiks soll die Wasserstraße durch den Nicaragua-See führen. Im größten Süßwasserreservoir Mittelamerikas müsste allerdings eine Hunderte Meter breite und fünfzehn Meter tiefe Fahrrinne gegraben werden. Aus den anfallenden 700 Millionen Kubikmeter Schlamm sollen drei neue, künstliche Inseln entstehen.

So schön wie die Isla de Ometepe werden sie in keinem Fall sein. Magisch erheben sich die beiden Vulkane in der Mitte des Nicaraguasees. Wer zwischen "Maderas" und "Concepción" am Strand sitzt und den Fischern zuschaut, kann sich nicht vorstellen, dass am Südzipfel der Insel bald riesige Containerschiffe vorbeifahren werden. Für den Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer ist das nur die sichtbarste Veränderung, die dem Naturparadies bevorsteht. Er gehört zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die den Kanal verhindern wollen. "Ich will mir in zehn Jahren wenigstens sagen können, dass ich es versucht habe", sagt Meyer, der seit 30 Jahren in Nicaragua forscht.

Verhindern, dass sich Salzwasser ins Trinkwasser mischt

Damit der Kanal den 160 Kilometer langen See kreuzen kann, müssten Zu- und Abfluss mit Schleusen versehen werden. Sie sollen verhindern, dass sich Salzwasser ins Trinkwasser mischt. Selbst, wenn das gelingt: Beim Graben der Rinne würde vermutlich Vulkanasche vom Boden des Sees aufgewirbelt, Gesteinsschichten müssten wohl mit Dynamit aufgesprengt werden. Auch Quecksilber und Arsen könnten den See vergiften. "Das Ökosystem ist sehr fragil, das Wasser gleichzeitig sehr wichtig für die Menschen", sagt der Biologe Jorge Huete-Pérez von der Akademie der Wissenschaften in Nicaragua.

Auch an anderen Stellen bedroht das Megaprojekt die Natur: 400 000 Hektar Regenwald und Feuchtgebiete müssten weichen, warnten Meyer und Huete-Pérez bereits 2014 im Fachmagazin Nature. Der Vulkanologe Armin Freundt vom Ozeanforschungszentrum Geomar in Kiel weist darauf hin, dass man in Nicaragua ständig mit einem schweren Erdbeben rechnen muss. Bisher könne man das Risiko solch einer Naturkatastrophe aber nicht abschätzen. Seismische Aufnahmen des Untergrunds gebe es bislang nur vereinzelt. "Normalerweise würde man denken, dass man so etwas erst untersucht, ehe man einen Kanal plant", sagt Freundt.

Zumal weitere Naturkatastrophen drohen: Bei einem Vulkanausbruch könnten große Mengen Geröll in den See rutschen und der resultierende Tsunami eine der Schleusen zerstören. Während der Regenzeit könnten Erdrutsche im hügeligen Osten des Landes den Kanal blockieren, sagt Julio Miranda, der für eine kalifornische Ingenieursfirma arbeitet, die an der Erweiterung des Panamakanals mitwirkt.

Das 11 000 Seiten lange Dokument sei oberflächlich und verharmlose die Gefahren

HKND hat kürzlich von dem Londoner Gutachterbüro Environmental Resources Management (ERM) eine umfassende Studie anfertigen lassen, die ökologische und soziale Folgen des Baus analysiert. Das 11 000 Seiten lange Dokument sei aber an vielen Stellen oberflächlich und verharmlose die Gefahren, moniert eine Gruppe von 15 Wissenschaftlern, zu der auch Meyer und Huete-Pérez gehören. Tatsächlich räumen selbst die Autoren des Berichts ein, dass noch weitere Studien nötig seien.

Ob HKND diesen Empfehlungen Folge leisten wird, ist offen. "Wir werden ehrliche und objektive Kritik an dem Projekt beherzigen", zitiert das Fachmagazin Science in seiner aktuellen Ausgabe einen Mitarbeiter der Firma. Man habe auf Empfehlung von ERM bereits die Kanalroute geringfügig geändert, um einen Mangrovenwald an der Pazifikküste zu schützen.

Allzu große Sorgen müssen sich die Hongkonger Planer wegen des Umweltgutachtens aber wohl nicht machen. Die Auftragsarbeit kommt insgesamt zu dem Schluss, dass der Bau des Kanals mögliche Schäden mehr als ausgleichen könnte. Das Projekt könne helfen, jene Umweltzerstörung einzudämmen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten in Nicaragua immer weiter zugenommen habe. So würden im Süden des Landes immer mehr Bäume gerodet, um Platz für Weiden und Ackerland zu machen. Der Kanal könne diesen Trend umkehren: Um der Erosion der Kanal-Ufer vorzubeugen, sollen neue Wälder gepflanzt werden. Und bestehende Naturreservate sollen besser geschützt werden als das bisher der Fall ist.

Bisher sieht es so aus, als spielte der Umweltschutz keine große Rolle

Tatsächlich wird in Nicaragua vielerorts die Umwelt zerstört. So gibt es laut Science Hinweise darauf, dass die Artenvielfalt entlang der Kanalroute seit längerem zurückgeht, weil die Anwohner rücksichtslos mit der Natur umgehen. Auch gelangen immer wieder Abwässer in den Nicaragua-See. Ob der Kanal den Raubbau wirklich stoppen kann? Axel Meyer hat Zweifel: "Der Kanalbau erschließt den Osten des Landes", sagt er. Und wo Menschen hinkommen, da werde gerodet.

Bisher spielen Umweltbedenken bei der Umsetzung des Megaprojekts eine untergeordnete Rolle. Der Kanal soll vor allem die Wirtschaft Nicaraguas ankurbeln. Dabei ist unklar, ob er profitabel sein wird. HKND hat zu dieser Frage ein Gutachten bei der Unternehmensberatung McKinsey in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse nicht publik sind. Bisher sind nur wenige Schiffe zu groß für den ausgebauten Panamakanal.

Erst im Jahr 2064 wird der mittelamerikanische Staat Mehrheitseigner

Nur wenn das Frachtaufkommen in Zukunft stark wächst, könnten genügend dieser Giganten die Weltmeere kreuzen - und den Nicaragua-Kanal wirtschaftlich machen. "Ich kann mir noch nicht vorstellen, dass dieser Kanal wirklich gebaut wird", sagt der Lateinamerika-Experte Günther Maihold von der Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Fraglich ist auch, ob die Bevölkerung Nicaraguas sonderlich viel von dem Kanal haben wird. 2013, im ersten Jahr nach der Vertragsunterzeichnung, gehörten 99 Prozent des Kanals Wang Jings Firma, jedes Jahr wird ein Prozent an den Staat Nicaragua übertragen. Erst im Jahr 2064 wird der mittelamerikanische Staat Mehrheitseigner. Der Popularität der Idee tut das keinen Abbruch: Umfragen zufolge befürworten vier Fünftel der Einheimischen das Projekt. In den vom Bau betroffenen Gebieten, aus denen Zehntausende Menschen umgesiedelt werden müssten, sind es allerdings weniger als die Hälfte.

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