Naturkatastrophen:Verteidigung der Vulkane

Tungurahua volcano activity

Ausbruch des Tungurahua in Ecuador

(Foto: dpa)

Naturkatastrophen können Überraschendes bewirken - zum Beispiel die Erfindung des Fahrrads.

Kommentar von Christian Weber

Der Zusammenhang von Fahrrad und Vulkan ist leider wenig bekannt. Deshalb hier noch mal die Geschichte, die derzeit ihr 200-jähriges Jubiläum feiert: Am 10. April 1815 brach auf der indonesischen Insel Sumbawa der Tambora aus, 100 000 Menschen starben allein in der Region. Der Vulkan pustete 140 Milliarden Tonnen Staub in die Stratosphäre, verdunkelte die Atmosphäre und brachte sinkende Temperaturen. 1816 geriet zum "Jahr ohne Sommer", auch auf der nördlichen Hemisphäre kam es zu Missernten und Hungersnöten.

In dieser Lage, folgerte der Karlsruher Erfinder Karl Drais, dürfe man wertvollen Hafer nicht einfach an Pferde verfüttern. Deshalb dachte er sich eine mechanische Fortbewegungshilfe aus und stellte im Folgejahr die Draisine vor, ein Laufrad, Vorläufer heutiger Fahrräder. Es mag zynisch klingen und ist dennoch nicht ganz falsch: Der Tambora-Ausbruch zeigt, dass auch Naturkatastrophen eine schöpferische Wirkung entfalten können. In mancher Hinsicht, so könnte man argumentieren, muss man also Vulkanausbrüche auch verteidigen.

Es wäre übertrieben, nun voller Freude auf die nächste Naturkatastrophe zu warten

Es gab ja nicht nur die Draisine, sondern viele unerwartete Folgen, gute und schlechte. In der chinesischen Provinz Yunnan stiegen die Bauern vom Reisanbau auf den wetterresistenteren Schlafmohn um, so entstand das "Goldene Dreieck" des Drogenanbaus. In den Alpen wurden neue Straßen gebaut, um bei einer erneuten Hungerkrise schneller Lebensmittel aus dem Süden herbeischaffen zu können. Damit wurde zugleich der Fernhandel an sich gestärkt.

In Mitteleuropa wurde die Landwirtschaft modernisiert; Justus von Liebig entwickelte die organische Chemie und die Mineraldüngung, was die Erträge der Felder deutlich steigerte. In Baden-Württemberg wurde 1818 eine landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt aufgebaut, aus der später die Universität Hohenheim entstand, eine von vielen neuen Ausbildungseinrichtungen, die letztlich zur Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft beigetragen haben.

Es wäre ein wenig übertrieben, nun voller Freude auf die nächste Naturkatastrophe zu warten. Das Beispiel Tambora zeigt zuallererst, wie komplex der Zusammenhang zwischen Naturereignissen, Klima und Gesellschaft sein kann, welch unerwartete Wirkungsschleifen möglich sind, sowohl positiver wie negativer Art. Es ist ein weiteres Argument dafür, den laufenden Klimawandel nicht nur unter meteorologischen Gesichtspunkten zu betrachten, sondern alle Gesellschaftswissenschaften einzubeziehen. Vielleicht endet dann die anstehende große Transformation auch mit ein paar Pluspunkten für die Menschheit.

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