Naturkatastrophen:Der sechste Sinn

Dass Tiere Erdbeben oder Vulkanausbrüche im Voraus wahrnehmen können, wird seit Jahrhunderten vermutet. Wissenschaftlich ist das allerdings kaum zu beweisen.

Von Susanne Lummer

"Ich glaube, Tiere können Katastrophen spüren. Sie haben einen sechsten Sinn", sagte H.D. Ratnayaka, Vizedirektor der Naturschutzbehörde Sri Lankas, nach der Flutwelle.

Naturkatastrophen: Helfen nun beim Aufräumen und wurden vor der Katastrophe unruhig: Elefanten in Thailand.

Helfen nun beim Aufräumen und wurden vor der Katastrophe unruhig: Elefanten in Thailand.

(Foto: Foto: dpa)

Helfer, die im Yala-Nationalpark im Südosten des Landes nach Opfern gesucht hatten, berichteten ihm, dort keine toten Tiere gefunden zu haben. Andere Augenzeugen erklärten, viele Tiere seien kurz vor dem Eintreffen der Welle unruhig geworden und hätten die Flucht ins Landesinnere ergriffen. Zahme Elefanten hätten sich losgerissen und seien panisch auf Anhöhen und Hügel gerannt.

Ähnliche Berichte gab es auch schon bei anderen Beben oder bei Vulkanausbrüchen. Da ist die Rede von Schlangen, die massenhaft aus ihren Verstecken im Boden kriechen. Immer wieder wird auch von aufgeschreckten Vögeln und Nagetieren erzählt oder von Tiefseefischen, die plötzlich an die Wasseroberfläche kommen.

Die Annahme, dass Tiere einen sechsten Sinn für Erdbeben haben, hält sich seit Jahrhunderten. Sie fand sogar Eingang in die aktuelle Fachliteratur der Erdbebenforscher. So widmet der japanische Seismologe Tsuneji Rikitake dem Thema ein eigenes Kapitel in seinem Buch über Vorhersage und Anzeichen von schweren Erdbeben (Prediction and Precursors of Major Earthquakes, erschienen bei Terra Scientific).

Auch statistische Untersuchungen anderer Wissenschaftler aus Japan und der Türkei bestätigen, dass auffallendes Verhalten von Tieren vor starken Erdbeben tatsächlich existiert (1).

Zweifel bleiben

Doch Zweifel bleiben. So verweist der Geophysiker Rainer Kind die Geschichten von Tieren, die Erdbeben im Voraus spüren, ins "Reich der Fabeln". "Auf diesem Gebiet gibt es jede Menge Scharlatane", so der Professor der Freien Universität Berlin und Leiter der Abteilung Seismologie am Geoforschungszentrum in Potsdam.

Schon vor dreißig Jahren habe man versucht zu beweisen, dass beispielsweise die Erwärmung der Erde vor Erdbeben die Ruheperioden von unterirdisch lebenden Tieren unterbricht. "Doch letztendlich haben all diese Hypothesen zu nichts geführt", sagt Kind.

Darüber, dass wissenschaftliche Untersuchungen fehlen, ist sich auch Helmut Tributsch im Klaren. Die Berichte von Tieren, die Naturkatastrophen vorausahnen, beschäftigen den Physikochemiker von der Freien Universität Berlin seit dem schweren Erdbeben im italienischen Friaul im Jahr 1976, wo er selbst ein Haus besitzt.

"Nach dem Beben kamen die dortigen Bauern zu mir, um mich zu fragen, warum sich die Tiere vorher so merkwürdig verhalten hätten. Ich wusste keine Antwort. Aber ich entschloss mich, es herauszufinden."

Bei seinen Recherchen stieß er auf Versuche in China zur Mao-Zeit. Damals wurde die Bevölkerung aufgerufen, Tiere zu beobachten, um herauszufinden, welche Verhaltensweisen ein Erdbeben ankündigen. Im Jahr 1975 wurden aufgrund dieser Erfahrungen viele Einwohner in der Region um Haicheng evakuiert - nur wenige Tage, bevor ein heftiges Beben weite Teile der Stadt zerstörte.

Auch bei der Flutwelle an Weihnachten soll die Beobachtung von Tieren den Ureinwohnern der Inselgruppe der Andamaren das Leben gerettet haben. Zumindest brachten sich die Insulaner rechtzeitig in Sicherheit.

Für die Wissenschaft kaum greifbar

Mit wissenschaftlichen Methoden ließen sich solche Phänomene jedoch sehr schwer erfassen, sagt Tributsch. "Der Aufwand wäre riesig und letztlich muss das auch jemand finanzieren." Er selbst vermutet, dass unter anderem winzige Schwebeteilchen in der Luft, Aerosole, das ungewöhnliche Verhalten der Tiere vor Erdbeben auslösen: Elektrisch positiv geladene Aerosole, wie sie auch bei bestimmten Wetterlagen, etwa Föhn, auftreten, erhöhen die Ausschüttung des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Dies könnte zu Unruhe und Aufregung unter den Tieren führen.

Es bestehen keine Zweifel daran, dass Tiere über viel feinere Sinne verfügen als Menschen. So hält es Helmut Kratochvil von der Universität Wien prinzipiell für möglich, dass die Elefanten in Sri Lanka den Tsunami schon im Voraus spüren konnten. "Elefanten können niederfrequente Schallwellen hören, die ein Mensch längst nicht mehr wahrnehmen kann", sagt der Zoologie-Professor und Experte für Kommunikation unter Elefanten.

Neue Forschungen hätten zudem ergeben, dass Elefanten besonders viele druckempfindliche Tast-Rezeptoren in den Fußsohlen besitzen, mit denen sie den Schall womöglich über den Boden wahrnehmen können. Trotzdem warnt der Zoologe vor Spekulationen und fügt hinzu: "Berichte wie die aus Sri Lanka werden schnell überinterpretiert."

Im Nachhinein methodisch sauber nachzuweisen, dass Elefanten die drohende Katastrophe in Südostasien tatsächlich vorzeitig gespürt haben, ist schwierig. Helmut Tributsch schlägt vor, Satellitenbilder der betroffenen Region auszuwerten. Bilder aus der Zeit kurz vor der Flutwelle könnten große Tierbewegungen erkennen lassen.

(1)Natural Hazards and Earth System Sciences, Bd.4, S. 463, 2004

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