Nasca-Linien in Peru:Kultstätte im Wüstenstaub

Im Süden Perus haben Menschen vor Hunderten Jahren Bilder von gigantischen Ausmaßen in den Wüstenboden gekratzt. Nun wollen Forscher die Bedeutung der berühmten Nasca-Linien entschlüsselt haben.

Michael Zick

Der Kolibri ist etwa 90 Meter groß. Der Astronaut, der Kondor und die Spinne erstrecken sich über ähnliche Ausmaße: Auf eine Fläche von etwa 500 Quadratkilometern, nahe der Stadt Nasca im Süden Perus, haben Menschen vor vielen Jahrhunderten Bilder von gigantischen Ausmaßen in den Wüstenboden gekratzt.

Nasca-Linien in Peru: Eine Landschaft als Kultbereich: Neben anderen Bildern ist im Süden Perus das Bild eines Vogels in den Wüstenboden gekratzt worden.

Eine Landschaft als Kultbereich: Neben anderen Bildern ist im Süden Perus das Bild eines Vogels in den Wüstenboden gekratzt worden.

(Foto: Foto: Reuters)

Manche dieser als Geoglyphen bezeichneten Darstellungen zeigen Tiere oder menschliche Figuren, andere sind geometrische Formen oder schnurgerade Linien von bis zu 20 Kilometern Länge.

Welchen Zweck die Angehörigen einer längst untergegangenen Kultur mit diesen heute Nasca-Linien genannten Darstellungen verfolgten, blieb lange Zeit rätselhaft - sieht man von einer Reihe phantastischer Erklärungen ab, die Esoteriker und Ufo-Gläubige anboten: Die Linien seien Landebahnen für Außerirdische hieß es, ein gigantisches Astro-Lehrbuch oder eine Kartierung unterirdischer Wasserläufe.

Doch auch die seriöse Wissenschaft hatte lange Zeit keine überzeugende Antwort auf das Rätsel der Nasca-Linien. Das hat sich offenbar geändert. Deutsche und Schweizer Forscher verschiedener Fachrichtungen sagen nun, bei den Linien handele es sich um eine riesige Freiluftbühne für Machtdemonstrationen und Kultfeiern. Die Argumente für diese Interpretation klingen überzeugend.

Die gigantischen Geoglyphen bedecken weite Teile der zerfurchten Wüstenlandschaft zwischen den Anden im Osten und dem Pazifik im Westen. Die Menschen der namensgebenden Nasca-Kultur räumten für die Freiluft-Galerie die schwarzgebrannten Oberflächensteine massenhaft beiseite, legten den helleren Untergrund frei und schufen so Linien, Labyrinthe, Trapeze und Tierfiguren.

Phantasten und Wissenschaftler

Die Nasca-Menschen betrieben ihre Kunst von 200 vor Christus bis um das Jahr 600. Die extreme Trockenheit in dem nördlichen Ausläufer der Atacama-Wüste hat die Linien bis heute bewahrt. Deren Existenz war jahrhundertelang in Vergessenheit geraten. Erst als die ersten Linienflugzeuge das Gebiet überquerten, entdeckte man die Linien wieder. Wissenschaftlich beschrieben wurden sie erstmals 1947.

Seitdem mühen sich Phantasten wie der Schweizer Erich von Däniken, aber auch Wissenschaftler um die Deutung der Geoglyphen. Die Dresdner Mathematikerin Maria Reiche fahndete in den Zeichnungen jahrzehntelang nach astronomischen Gesetzmäßigkeiten, die auf einen Kalender hindeuten.

Die fand sie zwar nicht, aber der Forscherin ist es zu verdanken, dass es die Geoglyphen überhaupt noch gibt. Nur ihre Hartnäckigkeit brachte staatlichen Schutz für die Kulturzeugnisse.

Die meisten Deutungsversuche scheiterten daran, dass versucht wurde, die Linien aus sich selbst heraus zu erklären. Markus Reindel begann vor einigen Jahren mit einem anderen Ansatz und richtete seinen Blick nicht nur auf die Linien: "Wenn wir etwas über die Geoglyphen erfahren wollen, müssen wir erst einmal nach den Menschen suchen, die sie angelegt haben."

Soziale Schichtung und Arbeitsteilung

Eine naheliegende Überlegung, die zuvor jedoch unterblieben war. Mit penibler archäologischer Arbeit wurde der Südamerika-Experte der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen, einer Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, rasch fündig. Er legte in der Region Palpa nahe der Linien Siedlungen und Gräber frei.

Obwohl weitgehend zerstört und geplündert, belegen diese Ortschaften eine menschliche Kultur mit sozialer Schichtung und Arbeitsteilung. Bis zu Reindels Grabungen galten die Nasca in der Wissenschaft lediglich als bäuerliche Gemeinschaft. Zudem entdeckte der Archäologe Steinbauten direkt an den Linien, in denen er Reste von Opfergaben fand - Textilien, Meerschweinchenknochen, Keramik.

Seine Ansicht, dass es sich bei den Bauten um Altäre oder Tempel handelte, wird durch häufige Funde von Spondylusmuscheln gestützt. Diese gibt es in Südperu nicht. Sie kamen von den weit entfernten Küsten Ecuadors und waren im gesamten Andenraum ein kultisches Symbol für Fruchtbarkeit und Wasser.

Die Nasca-Linien - nicht nur für die Götter

Aus Durchmesser und Tiefe von Pfostenlöchern, die Reindel und sein peruanischer Kollege Johny Isla an den Enden der Linien fanden, lassen sich bis zu zehn Meter hohe Masten rekonstruieren, die wohl mit Wimpeln bestückt waren, wie sie auf Tongefäßen jener Zeit dargestellt sind. Die Ränder der Linien sind gesäumt von offenbar absichtlich zerbrochenen Keramiken.

Weitere Untersuchungen zeigen, dass der Boden unter den Zeichen selbst stark verdichtet ist. Zudem konnten Geophysiker mehrfache Übermalungen, Erweiterungen und Umgestaltungen der Linien nachweisen.

Schließlich wurden die Geoglyphen von den Wissenschaftlern systematisch vermessen und dokumentiert: Die fotogrammetrische Dokumentation der Region um Nasca und Palpa durch die Geodäsie-Experten der ETH Zürich um Armin Grün eröffnet den Archäologen völlig neue Arbeitsmöglichkeiten.

Gut sichtbare Geoglyphen

Die daraus entstandene virtuelle Landschaft können die Wissenschaftler im Computer drehen, zoomen, kippen und von verschiedenen Richtungen anfliegen. Dadurch wird eine Gesamtschau samt Erdzeichen, Ruinen, Plateaus, Tälern und modernen Ortschaften möglich.

Vor allem Karsten Lambers profitierte von der elektronischen Dokumentation. Der Archäologe hatte sich geärgert, dass es in der Fachliteratur stets hieß, die Bodenzeichnungen seien nur aus der Luft zu sehen. "Das ist einfach nicht wahr, wenn man im Gelände rumläuft, ist jede Geoglyphe am Boden sichtbar."

Für seine Doktorarbeit integrierte er die fotogrammetrischen Darstellungen in ein Geologisches Informationssystem und ließ den Computer an der Züricher Universität rechnen. Zwei Drittel aller Geoglyphen liegen demnach in besonders gut vom Boden aus sichtbarem Gelände. "Auf die Sichtbarkeit wurde von den Erbauern also eigens geachtet. Da fand nichts im Geheimen statt oder nur für die Götter", sagt Lambers.

Dies und die Befunde aus der archäologischen Arbeit führen auch Lambers zu der Überzeugung, dass die Linien für Zeremonien dienten, "die gesehen werden sollten - vom Tal aus, von anderen Geoglyphenplätzen". Wenn ein Clan an seinem Bild zusammenkam, um dort eine religiöse Feier mit Prozession zu veranstalten, "dann war das", so Lambers, "auch ein Stück Machtdemonstration: Hier sind wir!"

Prozessionen mit Musik, Tanz und fahnengeschmückten Pfosten werden auf Keramikgefäßen aus der Gegend immer wieder dargestellt. "Nicht die Linien waren wichtig, sondern das, was darauf passierte", sagt auch Markus Reindel. "Die ganze Landschaft war der Kultbereich - deshalb haben wir in den Siedlungen auch keinen Tempel gefunden."

"Unschätzbare Pionierarbeit"

Peter Fuchs vom Berliner Landesdenkmalamt, der auch für das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin in Peru gräbt, bewertet die neuen Untersuchungen euphorisch: "Das ist unschätzbare Pionierarbeit."

Reindel hat auch eine schlüssige Theorie für die Traditionen, die hinter den Bodenbildern stecken. Der Archäologe hat die Geoglyphen erstmals penibel datiert. Dabei stieß er eine weitere Lehrmeinung um. Die Linien stammen nicht nur von den Nasca-Menschen.

Schon in der vorangegangenen sogenannten Paracas-Kultur, die in den vier Jahrhunderten vor der Nasca-Kultur ihre Blüte erlebte, hatten die Wüsten-Bewohner kunstvolle Erdmalereien angelegt. Allerdings nicht auf dem Wüstenplateau, sondern an den Berghängen.

Mit 15 bis 30 Metern sind die Darstellungen weniger groß, dafür anschaulicher: Es sind keine geometrischen Strukturen, sondern Wesen, Mischungen aus Mensch, Katze und Pflanzen. Rund hundert der bislang den Nasca-Leuten zugeschriebenen Geoglyphen rechnet Reindel der Vorläuferkultur zu.

Und noch einen Schritt ging er zurück. Bevor die vorgeschichtlichen Südperuaner die Berghänge als Leinwand benutzten, dienten ihnen große Felsbrocken als Malgrund. Die darauf dargestellten Felsbilder haben ähnliche Motive: das Männchen mit Antennen am Kopf, mysteriöse Mischlinge, vor allem aber das Augenwesen und das Katzenwesen.

Diese waren offenbar höhere mythische Kreaturen. Sie erscheinen immer wieder auf uralten Textilien und Keramikgefäßen sowie auf Bergflanken - und in der Wüstenebene um Nasca, wo die Menschen einst religiöse Feste inmitten gigantischer Bühnenbilder feierten.

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