Nasa-Chef Griffin:"Schwierig, gefährlich, aber wertvoll"

Der Administrator der US-Raumfahrtbehörde über Marsflüge, die Risiken der bemannten Weltraumforschung und die Abkehr der Nasa von der Erforschung der Erde.

Oliver Das Gupta und Markus C. Schulte v. Drach

Seit 15 Monaten steht Michael Griffin an der Spitze der Nasa. Der Physiker und Ingenieur führt die Weltraumbehörde durch gewaltige Veränderungen. Sie hat ihre Space-Shuttles unter großen Mühen flott gemacht, möchte aber so schnell wie möglich bessere Raumfahrzeuge einsetzen. Präsident George W. Bush hat Flüge zu Mond und Mars angeordnet, die Wissenschaftler protestieren daher gegen Etatkürzungen für ihre Projekte. SZ.de sprach mit Griffin nach einem Besuch im Kontrollzentrum Oberpfaffenhofen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

Nasa-Chef Griffin: Astronaut Eugene Cernan 1972 auf dem Mond. Die nächste Mission zum Erdtrabanten soll 2018 stattfinden

Astronaut Eugene Cernan 1972 auf dem Mond. Die nächste Mission zum Erdtrabanten soll 2018 stattfinden

(Foto: Foto: Reuters)

sueddeutsche.de: "Das Verständnis und der Schutz unseres Heimatplaneten" galt bislang als eines der Ziele der Nasa. Auf den Haushaltsunterlagen dieses Jahr fehlt es plötzlich. Gleichzeitig beantragen Sie Milliarden Dollar für die Erkundung des Weltraumes. Wäre es nicht sinnvoller, den Blick zurück zur Erde zu richten?

Michael Griffin: Wir geben bereits einen bedeutenden Teil unseres Geldes für die Untersuchung der Erde aus - und für die Erforschung der Sonne und ihrer Wechselwirkungen mit dem Erdklima. Ohne Zweifel könnte man mehr ausgeben. Jedes einzelne unserer Vorhaben könnte mehr Geld gebrauchen.

sueddeutsche.de: Deutlich mehr Geld wird es aber wohl nicht geben. Warum verteilen Sie nicht das vorhandene Budget gerechter?

Griffin: Wir glauben, wir finanzieren die einzelnen Bereiche sehr ausgeglichen. Wir müssen einen Kompromiss eingehen zwischen der weiteren Erforschung des Weltalls und der der Erde.

Als sich die Europäer in die neue Welt aufmachten, gab es auch Probleme in Europa. Es wird niemals eine Zeit geben, zu der Menschen keine Probleme haben werden, wo auch immer sie sind. Aber das darf sie nicht aufhalten.

sueddeutsche.de: Die Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind - etwa der Klimawandel - scheinen jedoch sehr groß zu sein.

Griffin: Was ich sagen will: Ob wir ein Raumfahrtprogramm haben oder nicht, wird keinen Einfluss darauf haben, ob es Hitzewellen, Erwärmungs- und Abkühlungstrends geben wird. Denken Sie daran, dass hier in Europa etwa ab 1450 für einige Jahrhunderte ein Klima herrschte, das Wissenschaftler als kleine Eiszeit bezeichnen.

Es ist fraglich, ob es einen bedeutenden Anteil des Menschen daran gegeben haben könnte, da wir nicht die technologischen Möglichkeiten hatten wie heute.

In der Zeit, die wir das Erdklima untersuchen, gab es Erwärmungs- und Abkühlungstrends. Jetzt scheinen wir uns in der Mitte eines Erwärmungstrends zu befinden. Das Erscheinen solcher Trends sollte uns also nicht in der Frage beeinflussen, ob wir ein Raumfahrtprogramm haben oder nicht.

sueddeutsche.de: Präsident Bush hat angekündigt, es werde bemannte Flüge zum Mond, zum Mars und darüber hinaus geben. Worin liegt der Vorteil gegenüber ferngesteuerten oder automatischen Flügen?

Griffin: Worin lag der Vorteil, dass Edmund Hillary und Tenzing Norgay auf den Gipfel des Mount Everest geklettert sind - gegenüber dem Abwurf eines Pakets mit Messgeräten an einem Fallschirm? Menschen streben immer schon danach, zu erforschen, sich ausbreiten, die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu erweitern. Der Weltraum ist nun einmal die neue Grenze unserer heutigen Zeit.

"Schwierig, gefährlich, aber wertvoll"

sueddeutsche.de: Wann wird wieder ein Astronaut seinen Fuß auf den Mond setzen?

Die ISS ist das erstaunlichste Bauprojekt aller Zeiten

"Die ISS ist das erstaunlichste Bauprojekt aller Zeiten." (Michael Griffin)

(Foto: Foto: AFP)

Griffin: Unser Zeitplan sieht unsere 7. Mondlandung für das Jahr 2018 vor. Der Mars sollte zehn Jahre später erreichbar sein - abhängig davon, was unsere Prioritäten in dieser Zeit sein werden.

sueddeutsche.de: Wird dann ein deutscher Astronaut dabei sein?

Griffin: Wenn wir zum Mars fliegen, hoffe ich sehr, dass Astronauten aus verschiedenen Ländern mitreisen werden - und mindestens einer davon soll Europäer sein. Ob ein deutscher Astronaut der ersten Crew angehört, die auf den Mond zurückkehrt, kann ich nicht sagen. Das hängt vor allem von den Europäern ab.

sueddeutsche.de: Aber demnach wird es eine Mission mit internationaler Beteiligung sein?

Griffin: Wir hoffen sehr, dass dies eine internationale Leistung sein wird. Wenn wir unsere Pläne umsetzen können, wird die Crew aus vier Personen bestehen. Mindestens einer davon wird kein US-Astronaut sein, hoffe ich.

sueddeutsche.de: Wird es jemals eine permanente Raumbasis auf dem Mond geben?

Griffin: Vor hundert Jahren haben sich die Leute gefragt, ob es möglich wäre, eine Basis in der Antarktis zu bauen. Die ersten erfolgreichen Expeditionen - ich meine jene, die den Südpol erreichten und lebend heimkamen - fanden 1911/1912 statt. Die erste Basis wurde Mitte der 50er-Jahre errichtet. Und es war sehr schwierig. Heute, fünfzig Jahre später, gibt es dort eine große Forschungsgemeinschaft. Genauso glaube ich, dass es auch eine Basis auf dem Mond geben wird - irgendwann.

sueddeutsche.de: Plant die Nasa noch Service-Missionen zum Hubble Telescope in den verbleibenden vier Space Shuttle-Jahren?

Griffin: Das hoffe ich. Wir werten gerade den Flug der Discovery aus, die letzte Woche gelandet ist. Wir wollen sicher gehen, dass wir alle Daten vestehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir irgendwann in diesem Herbst in der Lage sein werden, einen Wartungs-Flug anzukündigen.

sueddeutsche.de: Was wird aus der Internationalen Raumstation ISS?

Griffin: Die ISS wird das erstaunlichste Bauprojekt aller Zeiten sein. Wenn sie fertig ist, wird sie eine Masse von etwa 400 Tonnen im Orbit darstellen. Und wir werden mit ihrer Hilfe eine Menge lernen: durch ihren Zusammenbau, indem wir dort leben, durch die wissenschaftliche Forschung, die wir dort betreiben.

"Schwierig, gefährlich, aber wertvoll"

sueddeutsche.de: Ist in Zeiten der Mond- und Mars-Pläne überhaupt noch Platz für die ISS?

Nasa-Chef Griffin: Das Hubble Teleskop

Das Hubble Teleskop

(Foto: Foto: AFP)

Griffin: Klar. Wir werden von der ISS aus auf den Mond zurückkehren, und wir werden von dort auch zum Mars fliegen. Wir müssen lernen, für mehrere Jahre am Stück im All zu leben, bevor wir den Roten Planeten besuchen. Und die ISS ist der Ort, an dem wir das tun können. ´

sueddeutsche.de: Sie haben sie einst als zu teuer und zu riskant bezeichnet.

Griffin: Ja, die ISS zu betreiben und zu nutzen, ist riskant. Jeder neue Schritt, der gewagt wird, ist riskant. Doch das Risiko einzugehen, ist es wert, weil die Ziele von höchster Bedeutung sind.

sueddeutsche.de: Müssen wir auch in Zukunft mit großen Katastrophen wie explodierenden Spaceshuttles rechnen?

Griffin: Ich hoffe natürlich, wir werden in den verbleibenden vier Jahren ihrer Dienstzeit keine weitere Spaceshuttle-Katastrophe erleben. Danach wird es eine Zeit geben, in der wir am Boden bleiben - bis wir mit dem Crew Exploration Vehicle starten. Der erste bemannte Start wird frühestens 2012 stattfinden. Aber auf lange Sicht steht es außer Frage, dass es in der bemannten Raumfahrt weitere Unfälle geben wird, die großes Leid über alle bringen werden, die betroffen sind.

sueddeutsche.de: Wie können Sie damit leben?

Griffin: Als die Europäer im 15. Jahrhundert ihre großen Erkundungsfahrten begannen, haben sie viele Schiffe verloren. Bei seiner Weltumsegelung brach Magellan mit fünf Schiffen und etwa 230 Matrosen auf. Ein Schiff und 18 Seeleute kehrten drei Jahre später in den Heimathafen zurück; Magellan selbst war unterwegs gestorben. Nennen Sie mir einen Europäer, der sagen würde, diese Reise wäre für Europa kein großer Schritt nach vorn gewesen.

sueddeutsche.de: Hat der Fortschritt die Toten gerechtfertigt?

Griffin: Es war ein unglaublich riskantes Abenteuer mit einem unglaublich hohen Verlust an Menschenleben. Aber wenn wir darauf zurückschauen, erkennen wir: Das war es wert. Ich behaupte, die Menschheit wird eines Tages ähnlich auf die frühen Schritte bei der Raumforschung zurückblicken: Sie sind schwierig. Sie sind gefährlich. Aber letztendlich sind sie sehr wertvoll.

sueddeutsche.de: Sie haben gerade das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Opferpfaffenhofen besucht. Was war der Anlass Ihrer Reise nach Deutschland?

Griffin: Ich bemühe mich, alle internationalen Partner der USA kennenzulernen, die an vielen unserer Raumfahrtprogramme beteiligt sind, und noch enger mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Die DLR ist verantwortlich für Columbus, das europäische Weltraumlabor der Internationalen Raumstation ISS. Das ist eines der wichtigsten Labore der Raumstation.

Seit April 2005 ist Michael Griffin Administrator der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Der 56 Jahre alte Physiker und Raketenexperte wurde auf Vorschlag von Präsident George W. Bush ernannt. Zuvor hatte er am SDI-Projekt des Pentagon mitgearbeitet, für die CIA neue Technologien erforscht und das Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University geleitet.

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