Nachhaltigkeit:Deutschland - Land der Umweltheuchler

Reiseverkehr zu Ostern

Stau kurz vor Ostern: Mehr als zwei Drittel der Deutschen fahren mehrmals pro Woche Auto.

(Foto: dpa)

Bio-Lebensmittel, faire Mode und Fahrrad statt Auto: Finden die Deutschen alles super. Nur handeln sie überhaupt nicht danach.

Kommentar von Christoph Behrens

Schlimm, dieser viele Plastikmüll in den Meeren. Oder die Abholzung von Wäldern. Die Schadstoffe im Boden erst! Und vom Artensterben und dem Klimawandel ganz zu schweigen. Eine Mehrheit in Deutschland findet all diese und noch mehr Umweltprobleme "sehr bedrohlich", wie eine repräsentative Studie des Umweltbundesamts zeigt.

Zum Glück sind die Deutschen auch bereit zu handeln. Sage und schreibe 97 Prozent finden, dass jeder Einzelne Verantwortung für die Umwelt trägt. Mehr als zwei Drittel sind einverstanden, "dass wir unsere Wirtschaft- und Lebensweise grundlegend umgestalten". 70 Prozent der Autofahrer erklären sich bei der Befragung spontan bereit, mehr zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren.

Toll, dieses Bewusstsein, leider hat es wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Wirklichkeit in Deutschland ist, dass der Anteil von SUV auf den Straßen stetig steigt. Wirklich steigen die meisten seltener als einmal im Monat aufs Fahrrad. Jeder Dritte nutzt nie öffentliche Verkehrsmittel. In anderen Bereichen ist die Fehlwahrnehmung teils noch krasser. Jeder Vierte glaubt, häufig Bioprodukte zu kaufen. Tatsächlich liegt der Marktanteil von Öko-Lebensmitteln bei fünf Prozent, ein Nischenmarkt.

Statt fairer Kleidung: Trend zu Fast Fashion

Auch nachhaltige Mode finden die Konsumenten super und würden gerne mehr davon kaufen. Stattdessen ist Kleidung zum Wegwerfprodukt geworden: 60 neue Teile schafft sich jeder Einwohner durchschnittlich in einem Jahr an, viele bleiben ungetragen. Der Trend zu Fast Fashion wird übrigens gespeist von billigen Fasern aus Polyester, einem Erdölprodukt - womit wir wieder beim Klimawandel wären.

Die Frage ist, warum sich mündige Bürger so gern selbst belügen. Irgendwie ist jedem klar, dass die "sehr bedrohlichen" Umweltprobleme auch mit dem eigenen Konsum zu tun haben, aber an der Ladentheke ist diese Erkenntnis vergessen. Man muss die aktuellen Zahlen daher als Hilferuf lesen: Wir würden gerne etwas ändern, schaffen es aber nicht.

Entscheidungsträger sollten die Leute einfach beim Wort nehmen. 91 Prozent halten weniger Autos in ihrem Ort für wünschenswert? Eine klare Handlungsempfehlung für Bürgermeister. Arbeitnehmer möchten mehr Bio-Produkte in den Kantinen? Könnten ihre Arbeitgeber zügig umsetzen.

Vor allem braucht es statt abstrakter Botschaften klare Ansagen, dort wo Kaufentscheidungen fallen. Auf Produkten wie Kleidung oder Elektronik müssten die Umweltfolgen besser gekennzeichnet werden - wie gut sie sich tatsächlich recyceln lassen, wie viele Ressourcen ihre Herstellung kostet, wie schädlich sie für das Klima sind. Eine solche Umwelt-Ampel, fett auf der Verpackung abgedruckt, würde dafür sorgen, dass sich das abstrakte Umweltbewusstsein eher im Alltag niederschlägt. Eine genauere Messung von Umweltschäden hätte einen wichtigen Nebeneffekt: Was man misst, kann man auch besteuern und somit aktiv beeinflussen. In Großbritannien hat beispielweise eine Mindestabgabe auf CO₂-Emissionen dafür gesorgt, klimaschädlichen Kohlestrom unattraktiv zu machen.

Auch für die Umwelt-Kennzeichnung gibt es erfolgreiche Vorbilder. Auf Eiern ist seit über zehn Jahren zu lesen, woher sie stammen und wie gut es die Hühner haben, die sie legen. Da wehrte sich die Branche heftig, doch die Transparenz wirkt: Bio-Eier bringen so viel Umsatz wie kaum ein anderes Ökoprodukt, Eier aus Käfighaltung findet man kaum noch. Der Preis ist zwar leicht gestiegen. Aber niemand wird deshalb dieses Wochenende aufs Osterei verzichten.

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