Musik und Hirn:Wie die Alten brummen

Neurobiologen ergründen die Wirkung von Musik - allerdings finden nicht alle Fachleute ihre Erkenntnisse überzeugend.

Helmut Mauró

Selbst, wenn sie traurig klingt, bereitet sie noch Freude. Musik, so scheint es, dringt auf wunderbare Weise durch alle kognitiven Schichten und macht sich direkt in die Seele des Menschen breit. Wie das funktioniert, interessiert zunehmend auch Physiker und Psychologen, Pädagogen und Psychiater, Neurobiologen und andere Wissenschaftler, die sich dem derzeit wohl öffentlichkeitswirksamsten Feld verschrieben haben: der Hirnforschung.

Musik und Hirn: Musik, so scheint es, dringt auf wunderbare Weise durch alle kognitiven Schichten.

Musik, so scheint es, dringt auf wunderbare Weise durch alle kognitiven Schichten.

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In Oxford wurde im vergangenen Jahr der Lehrstuhl für Musikwissenschaft gleich mit Eric Clarce, einem Musikpsychologen, besetzt. Allerorten sucht man nach Wirkungsmechanismen, mit deren Kenntnis man aus dem Rohstoff Musik noch mehr herausholen, ihn für alle möglichen therapeutischen Zwecke nutzbar machen kann, sogar zur Steigerung der Intelligenz.

Ein Beispiel dafür sind die Thesen des amerikanischen Psychologen Norman D. Cook, der am Informatik-Lehrstuhl der japanischen Kansai-Universität Atomkerne sichtbar macht und über menschliches Bewusstsein, über Sprachrezeption und musikalische Hirnprozesse forscht.

2002 veröffentlichte er "Tone of Voice and Mind", worin er auf knapp 300 Seiten nichts weniger als die Codierung der menschlichen Emotionen und die physikalisch-physiologischen Grundlagen musikalischer Klänge und Klangwirkungen darlegte. Beeindruckend allemal: Die graphische Bandbreite der Diagramme sowie das souveräne musikwissenschaftliche Parlando.

Im April 2006 veröffentlichte Cook den Aufsatz "The Psychophysics of Harmony Perception", der unter dem Titel "The Psychoacoustics of Harmony Perception" in der Juli-Ausgabe 2008 des American Scientist erschien.

In der Ausgabe des Spiegel vom vierten August konnte man eine Nacherzählung davon lesen mit der Ankündigung, womöglich sei nun "das härteste Rätsel der Klangwahrnehmung geknackt": Der Grund für die unterschiedliche Wirkung von Dur und Moll sei gefunden, das Fiepen eines Welpen sei in der Entwicklungsgeschichte der Verlierer-Sound, musikalisch zu verstehen als Moll, das Röhren und Brummen männlicher Raubtiere dagegen pures Dur, originale Siegerlaune.

Nun wird man aber nicht nur intuitiv hohe Töne eher mit Dur verbinden und dunkle eher mit Moll, sondern auch im musikalischen Zusammenhang einen erhöhten Ton mit Dur und einen erniedrigten mit Moll - auch wenn es bei Cook gerade umgekehrt ist.

Trotzdem muss man berücksichtigen, dass solcherlei musikalisches Empfinden nur scheinbar von einer biologisch verwurzelten Prägung herrührt. Der Münchner Mediziner und Musikwissenschaftler Lorenz Welker berichtet, dass schon ein Neugeborenes Hörerfahrungen für Ganz- und Halbtöne mitbringe, für Dur-Moll-Harmonien - allerdings nur in den westlichen Ländern. Auf Neuguinea etwa komme man mit einem anderen Tonsystem auf die Welt.

Kastrierte Helden

Die musikalische Prägung ist eine kulturelle Angelegenheit und keine anthropologische Konstante. Das heldische Dur in der Oper ist bereits eine Stilisierung, ein Kunstmittel, das Helligkeit suggeriert, positive Vision, unerschütterliche Ordnung, Vollendung. Dazu passt dann auch die jahrhundertelange Dominanz der Kastraten in den Heldenrollen, deren Klang man schwerlich mitkörperlicher Überlegenheit gleichsetzen würde.

Man kann wohl grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass akustische Phänomene der Musik, weder der Kunstmusik noch der Volksmusik, eins zu eins mit entwicklungsbiologischen Phänomenen zusammengebracht werden können. Musik ist aber auch nicht, im anderen Extrem, reine Symbolsprache oder unmittelbare Seelenbewegung.

Auch oder gerade tief empfundene Musik durchläuft nicht nur jene Hirnregionen, in denen die akustischen Signale entschlüsselt werden, sondern auch Sprachzentren und höher entwickelte Regionen.

Musik ähnelt selbst in ihrer unmittelbaren Gefühlsdimension manchmal eher der abgeklärten Zufriedenheit über eine mathematische Formel. Kategorien wie "traurig" oder "fröhlich" passen da nicht, und das Mitgefühl für das Leiden einer Opernfigur ist auch etwas gänzlich anderes als das Gefühl für deren Gesang.

Man muss vielleicht nicht so weit gehen wie Beethoven, der einst seine Hörerinnen verlachte, als sie während seines Klavierspiels in Tränen der Rührung ausbrachen.

Norman D.Cook jedoch scheint sich seiner Sache sicher. Er baut sich ein strukturalistisches Modell, indem er statt vom Grundakkord von einem übermäßigen Dreiklang ausgeht, dessen erhöhte Quint dann zum Ergebnis führt: Das Sieger-Dur entstehe durch Erniedrigung, das Verlierer-Moll durch Erhöhung jener künstlich erhöhten Sexte.

Aber selbst diese abstruse Ausgangskonstruktion ist in sich nicht schlüssig. Denn die Erhöhung einer bereits erhöhten Quint führt zu einer doppelt übermäßigen Quint, nicht zu einer für den Mollakkord nötigen Sext. Außerdem entstünde nach Cooks Modell in einem Fall ein Dur-Grundakkord, im anderen ein Moll-Sextakkord, der eine andere Wirkung hat als ein Moll-Grundakkord.

Wenn man von der Grundstellung der Akkorde ausgeht, entsteht das Dur weiterhin durch die große, im Verlauf also erhöhte Terz, das Moll durch die kleine, also erniedrigte, und nicht umgekehrt.

Trotzdem hat Cook es mit seinem Aufsatz nicht nur in politische Unterhaltungsmagazine, sondern sogar in musikalische Fachzeitschriften geschafft. Und andere wollen da nicht nachstehen. Im kanadischen Montreal hat man sogar ein eigenes Institut gegründet, das Brams - Laboratory for Brain, Music and Sound Research - an der McGill-Universität, an der auch Daniel J. Levitin unterrichtet.

Levitin ist kognitiver Psychologe, Neurowissenchaftler, Fachmann für "Psychology of Electronic Communication" und hat auch Popmusik produziert. In seinem 2006 erschienenen Buch "This is Your Brain on Music" fasst er den Stand der neurowissenschaftlichen Musikforschung zusammen und beschreibt auch sein persönliches und sein wissenschaftliches Verhältnis zum Thema.

Selbst gestellte Fallen

Levitin will dabei offenbar noch leserfreundlicher sein als die Kollegen der Neurobiologie, und er staunt, dass man eine Akkordfolge der Popgruppe "Eagles" auch dann noch wiedererkennen kann, wenn die Musiker statt der vormaligen E-Gitarren nun akustische Gitarren verwenden und statt zwölfsaitiger nur noch sechssaitige.

Das ist beinahe so sensationell wie die Wiedererkennung einer Melodie auf einem vormals schwarzen, nun aber braun lackierten Klavier. Gravierender ist seine Annahme, das in der westlichen Musik in den letzten dreihundert Jahren dominierende Prinzip der metrischen Zweiteilung sei als hierarchisches Ordnungsschema nahezu naturbedingt. Dabei war die Aufteilung einer langen Note in drei kürzere lange Zeit vorrangig.

Sowohl Cook als auch Levitin stellen sich die Fallen, selber, in die sie tappen. So behandeln beide die Dissonanz als absolutes Phänomen, als für jeden Menschen von Natur aus unangenehmes Klangereignis.

Doch ist die Vorstellung, es gebe einen naturgegebenen Dissonanzvorrat zum Ärger der Menschheit, gelinde gesagt unhaltbar. Die Musikwissenschaftlerin Roswitha Schötterer-Traimer hat in ihrer ebenso grundlegend-theoretischen wie für die Praxis hilfreichen Harmonielehre von 1991 dargelegt, warum man eine Dissonanz nicht isoliert definieren und bewerten kann, warum außer der zugehörigen Konsonanz zumindest auch Metrum und Rhythmus einbezogen werden müssen.

Eine Vorhaltsdissonanz bedarf der betonten Taktzeit, ein Halbschluss braucht das Erreichen der fünften Stufe, das Innehalten und die darauf folgende metrische Zäsur; man kann ihn nicht rein harmonisch definieren.

Cook weiß nichts davon. Statt dessen marginalisiert er zum Beispiel Kulturen, die eine große Sekund, also unmittelbar benachbarte Töne, als konsonant empfinden. Bulgarische Frauenchöre, die ihre Lieder statt wie bei uns im Terzabstand im Sekundzusammenklang singen, sind für ihn eigentümliche Ausnahmen. Wie aber kann ein Kulturphänomen eine Ausnahme sein?

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