Musik: Die Sprache des Gefühls:Zwischentöne

Musik ist erstaunlich universell: Auf der ganzen Welt verwenden Menschen ähnliche Tonleitern. Forscher rätseln, ob das mit dem Klang der Stimme zusammenhängt.

Helmut Martin-Jung

Musik rührt zu Tränen und erweicht selbst die Götter. Sie peitscht verzagte Soldaten voran oder wiegt Kinder sanft in den Schlaf. Und sie ist erstaunlich universell. Sogar fernab der Zivilisation lebende afrikanische Ureinwohner, die noch nie westliche Musik gehört haben, erkennen, ob eine Tonfolge eher fröhlich und extrovertiert ist, oder aber eher traurig und verhalten.

Musik, Dur, Moll, dpa

Könnte es sein, dass Musik bei der Evolution des Menschen als eine Art Sprache des Gefühls entstanden ist?

(Foto: Foto: dpa)

Auch diese fernen Völker unterscheiden zwischen Dur und Moll, wie neuere Forschungen zeigen. Aber woher kommt diese nahezu magische Wirkung auf das Gemüt, wieso steht Dur eher für positive oder exaltierte Gefühle, Moll aber für das Gegenteil?

Schon länger wissen Forscher, dass es eine tiefreichende Verbindung zwischen den beiden für den Menschen charakteristischen Fähigkeiten Musik und Sprache gibt. So lassen sich beispielsweise in den Werken von Komponisten verschiedener Länder Melodien und Rhythmen nachweisen, die große Ähnlichkeiten mit den jeweiligen Sprachen aufweisen. Könnte es daher sein, dass Musik bei der Evolution des Menschen als eine Art Sprache des Gefühls entstanden ist?

Diese Theorie vertritt Dale Purves. "Wir glauben, Musik ist ein erfreuliches Nebenprodukt, das der biologische Vorteil der Sprache mit sich gebracht hat", sagt der amerikanische Neurobiologe. Musikalität diene dabei dem Bedürfnis, die Gefühlsregungen zu verstehen, die in der Sprache mitschwingen.

Purves, der an der Duke University in Durham, North Carolina, arbeitet, und die Mitglieder seines Teams analysierten mehr als 7000 Melodien aus klassischer Musik sowie von finnischen Volksliedern in Dur- und Molltonarten mithilfe eines Computeralgorithmus. Das gleiche taten sie mit einer Auswahl von Wörtern und Sätzen, die Testpersonen mal in eher extrovertierter und mal in gedämpfter Stimmung aussprechen ließen.

Erregt oder sanft

Das Ergebnis, veröffentlicht im Fachblatt Journal of the Acoustical Society of America (Bd.127, 491-503, 2010), ist eindeutig: In extrovertierter Musik genauso wie beim emotional erregten Sprechen überwiegen Tonabstände - Experten sprechen von Intervallen -, die für Dur-Tonleitern charakteristisch sind.

Am häufigsten kommt den Forschern zufolge dabei die große Terz vor, genau jenes Intervall also, das - vom Grundton aus gesehen - die Durtonleiter am auffälligsten von der in Moll unterscheidet. Molltonarten haben an dieser Stelle ein weicher klingendes Intervall, die kleine Terz.

Vom Lateinischen mollis (weich) leitet sich auch der Begriff Moll her. Zwischen dem Tonfall von Wörtern, die in gedrückter Stimmung ausgesprochen werden, und Musik in Moll zeigten sich ebenfalls starke Parallelen.

Aber ist das Dur- und Moll-System nicht einfach eine mehr oder weniger willkürliche Setzung, die sich quasi als Tradition etabliert hat und mit der die in Europa entstandene Kunstmusik zu erstaunlicher Blüte kam? Tonleitern sind schließlich nur Folgen von Tönen, die die immer gleiche Aufgabe haben: den Raum zwischen einer Oktave mit sinnvollen Zwischenschritten aufzufüllen.

Der Begriff führt natürlich das gewohnte System bereits im Namen: Sieben weiße Tasten schlägt man beispielsweise auf dem Klavier an, bis man von einem C zum nächsthöheren C, dem achten Ton, kommt, was physikalisch einer Verdopplung der Schallfrequenz entspricht.

Lässt man davon zwei Schritte aus, den vierten und den siebten, ist man bei Tonleitern, die in fünf Schritten die Oktave durchmessen. Solche pentatonischen Skalen kennt man auch aus der Musik Chinas, sie spielen aber auch im Blues eine große Rolle.

Bevorzugt der Mensch bestimmte Tonleitern aufgrund biologischer Voraussetzungen? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Die Biologie der Musik

Eigentlich, so Dale Purves, könnte der Mensch auf dem Weg von einer Oktave zur nächsten etwa 240 verschiedene Tonhöhen unterscheiden - Milliarden unterschiedlicher Tonleitern wären physisch möglich. Doch ein Blick auf die Tonsysteme der Welt zeige, dass diejenigen Tonleitern dominierten, die entweder fünf oder sieben Schritte brauchen - und die zeigen in aller Regel in etwa die Abstufung, wie sie auf einem Klavier zu finden ist.

Purves und sein Team fragten sich daher, ob es für diese offenkundige Bevorzugung quer durch die Kulturen auch eine biologisch bedingte Ursache geben könnte. Die menschliche Stimme erhält eine ihrer charakteristischen Eigenschaften schließlich durch die sogenannte Naturtonreihe.

Tonleitern und Naturtöne

Naturtöne hört man beispielsweise, wenn man einen Plastikschlauch in der Luft kreisen lässt. Diese Töne klingen als sogenannte Obertöne bei jedem Musikinstrument neben dem Grundton mit, sie machen den Hauptunterschied aus zwischen dem Klang zum Beispiel einer Geige und einer Flöte. Und sie geben eben auch den menschlichen Stimmen ihre Färbung.

Für die zweite Studie, veröffentlicht in PloS ONE (online), jagten Purves und Kamraan Gill Millionen möglicher Tonleitern durch den Computer. Sie untersuchten dabei, wie ähnlich die in den Tonleitern vorkommenden Tonabstände zu jenen Naturtönen sind, die die menschliche Stimme prägen. Solche prägenden Töne nennt man Formanten.

Und wieder stellte sich heraus, dass viele der weltweit häufig verwendeten Tonleitern solche sind, bei denen die Intervalle denen ähnlich sind, die auch die Charakteristik der menschlichen Stimme prägen.

Doch die Forscher registrierten auch, dass einige Skalen sich nicht in dieses Raster fügen. Dazu zählt die in Indonesien beheimatete Gamelanmusik, die beispielsweise den französischen Komponisten Claude Debussy um die Wende zum 20. Jahrhundert sehr beindruckt hat. Es gibt dort viele Stimmungen für die Glocken und Gongs. Die meisten aber unterteilen die Oktave in fünf annähernd gleiche Schritte und haben damit nur wenig Ähnlichkeit mit Skalen, die sich an die Naturtonreihe anlehnen.

Das gleiche gilt für Skalen, wie sie den modernen Jazz prägen. Tonleitern beispielsweise, die mit einem Halbtonschritt beginnen, sagte das mathematisch gewonnene Ähnlichkeitsmodell der Forscher nicht vorher. Auch viele im arabischen Raum verwendete Skalen haben mit westlichen Tonleitern wenig zu tun.

Es leuchtet ein, dass neben den Abständen der Töne auch Faktoren wie Tempo, Lautstärke und Rhythmus über den emotionalen Gehalt von Musik entscheiden. Von einer biologischen Verwurzelung des Dur- und Mollsystems zu sprechen, wäre daher zu weit gegriffen. Plausibler erscheint der Schluss, dass "Musik und Sprache ihre Wurzeln in urtümlichen, nonverbalen Lauten (haben), die Gefühle ausdrückten", wie Dan Bowling, einer von Purves' Mitarbeitern annimmt.

Verzicht auf Dur und Moll

Doch wie alle menschlichen Errungenschaften wurde auch die Musik - wo immer letztlich ihr Ursprung lag - kulturell geprägt. Indische Ragas leiten sich zwar meist von Tonleitern her, die auch im Westen verwendet werden, operieren dann aber mit viel kleineren Intervallen.

Die vielgeschmähte Musik zeitgenössischer westlicher Komponisten verzichtet vielfach sogar ganz darauf, Klänge aus dem Dur-Moll-System zu nutzen. Trotzdem hört sie sich für Menschen, die viel mit ihr umgehen, nicht schräg und beliebig an, sondern klingt interessant und durchaus absichtsvoll.

Dass die westlich geprägte musikalische Hochkultur sich überwiegend der Wiedergabe älterer Musik widmet, ist ohnehin ein relativ junges Phänomen. Zu Lebzeiten Bachs und seiner Söhne, ja noch bei Haydn und Mozart, wollten Konzertbesucher kein Stück hören, das älter als ein paar Jahre war.

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