Museen und ihre Sammlungen:Wunderkammern des Wissens

Raubmilben, Mondmeteoriten, Gallensteine: Was tun mit den oft bizarren und manchmal wertvollen Sammlungen, die Amateure und Wissenschaftler hinterlassen?

Hubert Filser

In dieser Geschichte geht es um Raubmilben, um rußige Steine, für die auf Märkten in Westafrika eine Million Euro gezahlt werden, um einen Berliner Musiker, der in Asien Schmetterlinge sucht, um einen Nobelpreisträger, der sein Lebenswerk in Gefahr sieht, und um die womöglich weltweit größte Ansammlung von Gallensteinen. Am Rande kommen ein abgeschnittener Elefantenfuß vor, der als Schirmständer diente, und ein Gürteltier, das nach seinem Ableben als Lampenschirm in einer Berliner Wohnung hing.

200. Geburtstag Naturkundemuseum

Ein Besucher des Berliner Naturkundemuseums betrachtet die in Alkohol eingelegten Präparate.

(Foto: dpa)

Die Menschen, die hinter diesen Objekten stecken, verbindet eine tiefe Leidenschaft: Sie sind Wissenschaftler und Amateur-Forscher, die mit hohem finanziellen und zeitlichen Aufwand oft bemerkenswerte Sammlungen zusammentragen. Am Ende ihres Lebens oder ihrer Karriere stehen sie vor der Frage, was sie mit ihrem Schatz tun sollen.

Das Büro des Nobelpreisträgers Baruch Blumberg in Philadelphia ist gespickt mit Fotos. Sie zeigen ihn als Soldaten bei der US Navy oder in Afrika auf einer Forschungsreise. Mittendrin hängt eine Urkunde von 1993, als er in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen wurde. Aber der 85-jährige Mediziner besitzt noch andere Schätze. Die wertvollsten, wie er findet, lagern in drei mal drei Meter großen Gefrierschränken, seine Blutproben-Sammlung. In den begehbaren Kühlkammern liegen flache Pappkartons mit teilweise 50 Jahre alten Proben, mit deren Hilfe er das Hepatits-B-Virus entdeckt und später einen Impfstoff entwickelt hat. Säuberlich sind die Kartons mit Nummern der Proben versehen, sie enden bei 45.0000.

"Es ist nicht leicht, sich von den Proben zu trennen"

Jahrzehnte hat Blumberg damit verbracht, die Erkrankungen der Leber zu erforschen, die Sammlung am Fox-Chase-Krebszentrum wuchs von Jahr zu Jahr. Nun ist alles untersucht und keiner weiß, was er mit den Blutproben anstellen soll, nicht mal Blumberg selbst. "Es ist nicht leicht, sich von den Proben zu trennen", sagt Anna O'Connell, eine Mitarbeiterin von Blumberg, die im Februar in Rente gegangen ist - nach 51 Jahren am Fox Chase. 40 Jahre verbrachte sie allein damit, sich um Blumbergs Blutproben zu kümmern. Für Wissenschaftler "ist es so, als würde ihr Leben darin stecken", sagt O'Connell. Aber manchmal müsse man eben loslassen.

Blut, Erbgutproben, Krebsgewebe lagern in Kühlschränken von Instituten und Laboren. Solange jemand damit forscht, fragt kaum einer, was die Lagerung kostet. Doch wer nimmt solche Sammlungen später? Schließlich ist es mitunter teuer und aufwändig, das Material zu archivieren und zu lagern. Im Fall Blumberg mussten sogar große Einrichtungen wie das National Cancer Institute (NCI) abwinken. "Sorry, aber nein!", ist die Antwort auf die meisten Anfragen. Es fehlt an Geld, und nach Eindruck des NCI bei manchen Forschern auch an Ideen, was mit ihren Hinterlassenschaften passieren soll, es fehlt eine Art Erbschaftsfolge.

Die meisten Sammler wenden sich an große Museen oder Sammlungen. International gibt es Bestrebungen in Initiativen wie Scientific Collections International, einem OECD-geförderten Projekt, das die Zusammenarbeit großer und kleinerer Einrichtungen koordiniert. Es soll wertvolle Ressourcen sichern und vielen Menschen zur Verfügung stellen. Was aber sind wertvolle Ressourcen? Braucht die Nachwelt den Gürteltier-Lampenschirm, der zusammen mit einem abgesägten Elefantenbein kürzlich im Berliner Museum für Naturkunde landete?

Als die Tür des Stahlschranks im Museum aufgeht, weht modriger Geruch heraus. Sieht so aus, als habe die Tür lange keiner geöffnet. Graue Häute liegen und hängen im Schrank. Am Boden stehen vier abgeschnittene Elefantenfüße. Offenbar sind es die präparierten Beine eines afrikanischen Elefanten. Die Neuerwerbung, die Sammlungsmitarbeiterin Saskia Jancke hervorholt, hat eine silbrig glänzende Innenseite. "Das war wohl mal ein Regenschirmständer", sagt sie achselzuckend.

20.000 in Alkohol eingelegten Spinnen

Ein deutscher Botschaftsangestellter in Afrika habe zwischen 1969 und 1989 das Kuriositätenkabinett zusammengetragen. "Aus solchen Sammlungen suchen wir uns nur einzelne Stücke heraus", sagt Jancke. Ein paar Speere landen in einer ethnologischen Sammlung, Tiergeweihe oder eben das Gürteltier und die Elefantenfüße im Naturkundemuseum. "Es kommen immer wieder Wissenschaftler, die von solchen Objekten genetische Proben brauchen", sagt sie. Aber kann ein Museum alles aufnehmen? "Ein Leopardenfell als Bettvorleger würden wir nicht sammeln", so Jancke.

Museen und ihre Sammlungen: Auch diese schillernden Objekte aus dem menschlichen Körper sind des Aufhebens wert: Das Tablett steht in der weltweit größten Sammlung von Gallensteinen im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité.

Auch diese schillernden Objekte aus dem menschlichen Körper sind des Aufhebens wert: Das Tablett steht in der weltweit größten Sammlung von Gallensteinen im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité.

(Foto: Foto: N. Widulin/Charité)

"Wir haben klare Kriterien", sagt Museumsdirektor Reinhold Leinfelder. "Die Objekte müssen gut dokumentiert sein, sie müssen zu unseren Sammlungsschwerpunkten passen und eine wissenschaftliche Bedeutung haben." So wie beispielsweise die Sammlung mit 20.000 in Alkohol eingelegten Spinnen. Schließlich befänden sich darunter auch die Raubmilben des berühmten Experten Wolfgang Karg.

Es folgt ein faszinierender Gang durch das Museum, durch alte leere Räume mit bröckeligem Stuck, wo bis vor kurzem die Fischsammlung untergebracht war. Es geht Treppen hinauf, Gänge entlang, vorbei an langen Reihen mit Holz- und Metallschränken, hinter denen Felle, Tierschädel oder Käfer liegen, diesmal in den gerade eröffneten, oberen Teil des Ostflügels, in die neue Alkoholsammlung. Die beiden oberen Geschosse der Sammlung sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, nur der phantastische untere Ausstellungsraum, inszeniert wie eine Wunderkammer des Wissens.

Oben stehen in einfachen Regalen mit Alkohol gefüllte Gläser, in denen die wissenschaftlichen Schätze des Museums aufgehoben sind: Schlangen, Säugetiere, Fische, Insekten. Bernsteinfarben leuchtet der Alkohol in manchen alten Gläsern mit wunderbar geschliffenen Stopfen, alle Gelb-, Rot- und Braun-Schattierungen finden sich, und natürlich die Tiere, die im Alkohol schwimmen. Seltsame Stillleben sind das, manche schön, manche gruselig wie die Affen, die mit leeren Augen stumm vor sich hinstarren.

"Ein Abbild des Gedächtnisses der Erde"

Wir landen vor einem Regal mit kleinen Gläschen mit Twist-off-Verschluss, die neueste Technik, um die Gläser dicht zu halten. Nur Milben sieht man keine, nicht mal wenn man die Marmeladengläser dreht. Innen schwimmen kleine Röhrchen mit Aufkleber, und nur in ganz wenigen schwimmen: Raubmilben aus der Gegend um Berlin und Brandenburg, gesammelt von Wolfgang Karg. Er hat einige Unterarten neu entdeckt und bestimmt. Deshalb tragen auch einige Gläser eine rote Markierung, das Merkmal für Typusexemplar, also das Tier, das erstmals zur Artbestimmung verwendet worden ist. Die Sammlungen großer Museen sind auch wissenschaftliche Belegarchive.

"Wir sind daran interessiert, ein Abbild des Gedächtnisses der Erde zu bekommen in Raum und Zeit", sagt Leinfelder. Da es an Mitteln fehlt, will Leinfelder ganz unterschiedliche Museen vernetzen. Idealerweise sammelt jedes Museum gezielt, um seine Ausrichtung zu stärken. Es sei entscheidend, "die Pixeldichte zu erhöhen". Das Bild der Evolution werde so schärfer. Kein Museum könne alles sammeln, sonst werde das Bild beliebig und unscharf. Das macht auch die Auswahl der Exponate leichter.

Gern würden die Museen ihre Sammlungen ständig erweitern, zumal Naturkundemuseen derzeit im Aufwind sind. In den 1990er Jahren waren sie von den aufkommenden Science Centern in die schlafmützige, verstaubte Ecke gedrängt worden. "Doch mittlerweile gibt es wieder eine Sehnsucht nach den Originalen und nach Authentizität", sagt Leinfelder.

Auf ungewöhnlichen Wegen

Wenn man die Sammlungen lebendig halten will, muss man oft ungewöhnliche Wege gehen. Das Paläontologische Museum in München etwa bietet jeden Mittwoch eine Bestimmungsstunde für Steine und Fossilien an. "So bekommen wir oft Hinweise auf neue, interessante Fundstellen", sagt Winfried Werner, stellvertretender Direktor der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie. Vor wenigen Tagen erst hat ein Privatmann ihm Fossilien aus dem Steinbruch in Solnhofen angeboten.

In Berlin dürfen Insekten- oder Meteoritensammler Tagungen im Museum für Naturkunde abhalten. So kam es, dass ein Berliner Musiker, der vor allem im asiatischen Raum auf Tournee war, dem Naturkundemuseum vor wenigen Monaten eine umfangreiche Schmetterlingssammlung anbot. "Das Besondere waren nicht die Prachtexemplare", sagt Leinfelder. "Der Mann hat offenbar mit viel Detailkenntnis viele Kleintiere gesammelt, tausende Unterarten bestimmter Regionen Asiens." Das sind genau die feiner werdenden Pixel im großen Bild der Evolution. Das Bild werde genauer, wenn man regionale Anpassungen einer Art exakt studieren könne.

Die Kuratoren halten bewusst Kontakt zur Szene. Ansgar Greshake, der verantwortliche Wissenschaftler für die renommierte Meteoritensammlung, erzählt im Museum, dass er oft Proben von Hobby-Sammlern und Händlern zur Begutachtung bekommt. Auf den Stahlschränken, in denen seine Schätze lagern, stapeln sich kleine Kartons, in denen die Meteoriten meist in Scheiben zugeschickt werden. "Kontakte sind extrem wichtig", sagt er. "Wir können nicht darauf hoffen, dass uns irgendeiner seine wertvolle Sammlung hinterlässt. Dafür sind die Stücke zu teuer." Mond- oder Marsmeteoriten werden oft grammweise angeboten, bis zu 1000 Euro das Gramm. Greshake erzählt von den Größen im Geschäft, wie dem Amerikaner Adam Hupé, der schon mal Millionen hinblättert. So wohl im Jahr 2007, als er auf einem Markt in der marokkanischen Stadt Erfoud einen 11,5 Kilogramm schweren Mondmeteoriten gekauft hat, der in der Sahara gefunden worden war.

Greshake erzählt unglaubliche Geschichten, etwa vom 127 Kilogramm schweren Brocken aus Ensisheim, der 1492 in einer Kirche angekettet wurde - Goethe soll sich später ein Stück davon gesichert haben. Vom Meteoriten, den Katharina die Große geschickt hat, vom Mondgestein, das die Nasa unter strengsten Auflagen hier gelagert hat, vom ältesten deutschen Marsmeteoriten, den Jahrzehnte keiner erkannt hatte.

Viele solche Geschichten finden sich in den Museen, sie handeln meist von leidenschaftlichen Forschern und Sammlern. Etliche Museen verdanken solchen Leuten ihre Gründung. Alexander von Humboldt hat mit den Objekten seiner Südamerika-Expedition vor 200 Jahren den Grundstock für das Berliner Naturkundemuseum gelegt. Wir brauchen Bildung, war sein Credo, Bildung ergibt sich durch Forschung, und für Forschung braucht man Sammlungen. Deshalb ist es klug, die Schätze zu bewahren. "Wir sind eine Art Hüter der Informationen, die in der Zukunft noch wertvoll sein können", sagt Nobelpreisträger Blumberg. Wer weiß, welche Erkrankung man einmal anhand seiner Blutproben-Sammlung untersuchen können wird?

Gallensteine wie exquisite Süßigkeiten

Und deshalb sollte man auch die besondere Kollektion der Navena Widulin wertschätzen: Die Präparatorin im Medizin-Historischen Museum der Charité sammelt seit 13 Jahren Gallensteine, höchst bemerkenswerte Objekte aus dem menschlichen Körper, die mal aussehen wie Karamell-Bonbons, manchmal schillern, manchmal glatt sind, manchmal klein und kieselig sind, oder groß wie eine Kartoffel. In durchsichtigen Behältern hebt sie jeden Gallenstein auf, den sie bekommt. "Ich finde das faszinierend", sagt sie. "Mein Chef ist auch begeistert."

In langen Reihen stehen die Behälter gestapelt, man könnte den Ort für ein Lager exquisiter Süßigkeiten halten. Vielleicht ist es auch der optischen Qualität zu verdanken, dass alle Menschen, die von der Gallenstein-Sammlung hören, Navena Widulin unterstützen, indem sie ihr Steine aus Gallenoperationen zuschicken. Inzwischen gibt es weltweit kein Museum, das eine größere Gallensteinsammlung hat. Was man wissenschaftlich damit anstellen soll, weiß keiner so genau.

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