Mordprozess Haar:Die Brutalität der TäterInnen

Eine Frau sägt ihrem Freund mit einer Kreissäge den Kopf ab, heute wurde sie für ihre grausame Tat verurteilt. Dabei sagt man doch immer, Männer töten oft und mit viel Gewalt, Frauen selten, und wenn, dann leise mit Gift. Stimmt das also nicht?

Von Felix Hütten

Der Kreissägen-Angriff im Horrorhaus: Eine Studentin, 32 Jahre ist sie heute, hat ihren Freund an ein Bett gefesselt und die Augen verbunden - um ihn anschließend grausam zu töten. Der Frau wurde an diesem Freitag wegen Totschlags zu zwölf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hingegen hatte eine lebenslange Haft wegen Mordes gefordert.

Man muss kein Tatort-Experte sein um zu ahnen, dass ein Kreissägenschnitt eine äußert blutige Methode ist, um einen Menschen vom Leben zu erleichtern. Hinzukommt, dass die Frau die Leiche im Garten verscharrt haben soll. Das klingt brachial, kaltherzig. Und das bei einer Frau? Man sagt ja immer, Männer töten oft und brutal, Frauen selten, und wenn, dann leise mit Gift. Stimmt das also nicht?

Wie oft töten Frauen im Vergleich zu Männern?

In der kriminologischen Forschung wurden lange Zeit vor allem Männer untersucht, die Frau als Täterin ist erst in den vergangenen Jahren in den Blick der Wissenschaft geraten. Und obwohl jeder Mensch anders ist, jede Tat einzigartig, zeigen die Zahlen ein paar interessante Trends. Zum Beispiel die Kriminalstatistik: Etwa 2000 Fälle von Mord und Totschlag ermittelten die deutschen Behörden im Jahr 2014, 87 Prozent der Verdächtigen waren Männer, 13 Prozent Frauen. Frauen also, da gibt es wenig Zweifel, töten deutlich seltener ihre Mitmenschen als Männer. Das bedeutet allerdings nicht unbedingt, dass sie an sich friedliebender sind. Während sich Wut und Aggression bei Männern in der Regel nach außen entlädt, richten Frauen diese oft gegen sich selbst: Selbstverletzungen und Essstörungen kommen bei Frauen deutlich häufiger vor als bei Männern.

Wie töten Frauen im Vergleich zu Männern?

Auch das Klischee der stillen Giftmörderin (heute in Form von Medikamenten) scheint nicht ganz zu stimmen: Eine Studie aus Schweden zeigt, dass Frauen, wenn sie denn töten, häufig zum Messer greifen, meist endet es im Körper des Intimpartners. Männer schießen oder töten mit stumpfer Gewalt, mit der Faust also, mit Tritten oder Würgen. Die Kriminalgeschichte aber kennt auch Täterinnen, die mit Äxten, Pistolen oder anderen Gegenständen getötet haben. Da sich Studien zu Tötungsmethoden aber immer nur auf bekannte, aufgeklärte oder verurteilte Fälle beziehen, gibt es einen Dunkelbereich, in dem nicht klar ist, wie das Mordwerkzeug wirklich aussah.

Warum töten Frauen?

Bleibt die Frage, ob Frauen aus anderen Gründen töten als Männer. Hier zeigen zahlreiche Mord- und Totschlagsfälle Unterschiede. Frauen töten selten aus Verletzung der Ehre. Gewalt fasziniert sie in der Regel weniger - im zivilen Leben. Studien aus Bürgerkriegsgebieten zeigen, dass sich diese Geschlechterunterschiede auflösen, wenn Frauen Teil einer bewaffneten Gruppe sind, sagt Mareike Augsburger, Gewalt- und Traumaforscherin an der Universität Zürich.

Im normalen Leben hingegen töten Frauen, mit Ausnahmen, eher aus Sorge um das eigene Leben oder das ihrer Kinder. Sie verletzten, das zeigen mehrere Studien, ihre Partner, Familienmitglieder oder, aus einem falsch verstandenen Schutzverhalten, ihre Kinder. Gewalt zur Befriedigung oder Vertuschung von Sexphantasien oder auch die Freude an Qual und Folter kommen bei Frauen hingegen seltener vor.

Doch die Interpretation von Studien und Daten zu Ursachen von Gewalt ist knifflig. In der Wissenschaft besteht Einigkeit, dass es den einen Grund nicht gibt. Neben biologischen Faktoren spielen auch soziale Normen eine wichtige Rolle. Frauen werden zum Beispiel in vielen Regionen der Erde, auch in Deutschland, noch immer häufig als ruhig, leise und zurückhaltend angesehen, und in diesem Bild auch erzogen. Das zeigt sich im Alltag: Aggressives Verhalten von Männern ist in der Öffentlichkeit eher akzeptiert - weil es schlicht bekannter ist. Schreiende und prügelnde Frauen hingegen bewertet die Öffentlichkeit eher als befremdlich - auch, weil es vielen Menschen unbekannt ist. Beispiel Film und Fernsehen. Hier sind es vor allem Männer, die muskelbepackt und bewaffnet schlagen, schießen und töten.

Eine weitere wichtige Ursache von Gewalt ist: Gewalt. Es ist bekannt, dass Täter oft im Kindesalter Opfer von Misshandlungen waren. Weibliche Täterinnen sind häufig depressiv, zeigen eine Tendenz zur Selbstverletzung, wurden in der Kindheit sexuell oder psychisch misshandelt oder emotional vernachlässigt. Im Gegensatz dazu haben sie seltener eine antisoziale oder narzisstische Persönlichkeitsstruktur als männliche Täter. Auch hier aber ist Vorsicht geboten, denn Frauen werden seltener als Männer auf solche Störungen untersucht, weshalb die Einschätzungen nicht umfänglich stimmen müssen.

Die biologischen Ursachen der Gewalt

Wissenschaftler forschen seit Jahren zu biologischen Ursachen der Gewalt. Die bis heute nicht umfassend geklärte Frage lautet, ob es eine genetische Veranlagung für Aggression gibt - quasi eine Art Killer-Gen, das im Zusammenspiel mit schlimmen Kindheitserfahrungen Gewalt auslöst. Im Fokus der Forschung steht das Serotonin-System des Menschen. Serotonin ist ein Botenstoff, der auf vielfältige Weise die Stimmung, den Appetit, die Lust - und eben auch die Aggression eines Menschen beeinflusst.

Forscher vermuten, dass der Defekt eines speziellen Enzyms, das eigentlich Serotonin abbaut, zu kriminellen Verhalten führt. Interessanterweise liegt das Gen, das die sogenannte Monoaminooxidase A (MAO-A) codiert, auf einem X-Chromosom. Fällt dieses Enzym aus, sind vor allem Männer betroffen. Da Frauen zwei X-Chromosomen haben, können sie, so die Hypothese, einen Defekt eher ausgleichen.

Bei einer Untersuchung aus dem Jahr 2002 wurden in Neuseeland Probanden auf die Hypothese hin untersucht, wie genau sich Gewalterfahrungen im Kindesalter auf biochemische Prozesse im Körper auswirken. Ergebnis: In der Gruppe der untersuchten Männer, die im Kindesalter misshandelt wurden, waren Patienten mit einer geringen MAO-A-Aktivität eher kriminell als jene mit intaktem Enzym. Frauen zeigten seltener aggressives Verhalten, und wenn, dann war bei ihnen ebenfalls das Enzym beschädigt. Allerdings wäre es zu einfach, die Ursache von Gewalt in einem Gen zu suchen. Kritiker bemängeln daher, dass Studien zu MAO-A vom eigentlichen Problem ablenkten: Wer etwas gegen Gewalt unternehmen will, sollte sich nicht um fehlerhafte Enzyme kümmern, sondern um Opfer von Missbrauch und Vernachlässigung - damit aus ihnen später nicht Täter werden.

Deshalb konzentrieren sich weitere Forschungsprojekte auf die bereits erwähnten sozialen Faktoren - also beispielsweise auf die Frage, welche Rolle das Elternhaus in der Karriere eines Kriminellen wirklich spielt. Häufig beobachtet wird, dass Jugendliche, die von ihren Eltern nicht wertgeschätzt werden, ein derart gestörtes Selbstbild entwickeln, dass sie ihre Straftaten selbst gar nicht als massiven Regelverstoß wahrnehmen.

Letztlich aber, und das ist wichtig zu verstehen, ist die Frage nach dem Geschlecht nicht unbedingt immer sinnvoll. Um eine Tat bewerten zu können, muss man die Motive und Hintergründe des Täters - oder der Täterin kennen. Genau dies macht den Fall von Haar so knifflig, denn auch am Tag der Urteilsverkündung bleibt das Motiv der Täterin weiterhin unklar. Sie sagt: "Mir ist unbegreiflich, wie es zu meiner Tat gekommen ist."

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