Moral und Ökologie:Der Wert des Waldes

Die geplante Ölförderung im Yasuní-Nationalpark in Ecuador ruft weltweit Proteste hervor. Wilfried Hinsch von der RWTH Aachen, über den Konflikt als moralisches Problem.

Tina Baier

Wilfried Hinsch ist Professor für praktische Philosophie an der RWTH Aachen.

SZ: Ecuador fordert von anderen Ländern Geld dafür, dass es seinen eigenen Regenwald nicht zerstört. Ist das nicht Erpressung?

Hinsch: Nein. Ecuador ist ein souveräner Staat, der über seine Ressourcen frei verfügen kann. Nun ist es in diesem Fall so, dass der Regenwald nicht nur für Ecuador Bedeutung hat, sondern für die ganze Welt.

Eine Entschädigung durch andere, reichere Länder müsste möglich sein, weil die gesamte Erdbevölkerung davon in der einen oder anderen Art und Weise profitiert. Ich würde sagen, das wäre ein vernünftiges Geschäft. Wichtig wäre nur sicherzustellen, dass Ecuador nicht erst das Geld nimmt und dann doch das Öl fördert und die Indianer vertreibt.

SZ: Ecuador darf die Indianer also vertreiben, wenn es kein Geld bekommt?

Hinsch: Es ist ein hoher Wert, dass die Indianer dort leben. Doch dass durch staatliche Aktionen Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, kommt auch anderswo vor - etwa bei Enteignungen oder beim Bau von Schnellstraßen. Ein weiteres Beispiel sind die Veränderungen, die der Niedergang der Kohle-Industrie für das Ruhrgebiet mit sich gebracht hat. Es kann sicher nicht so etwas geben, wie eine Bestandsgarantie für Wohngebiete und Lebensräume von Menschen.

SZ: Auch nicht, wenn es um die letzten Indianer eines Stammes geht?

Hinsch: Irgendwann wird auch der letzte Kumpel aus dem Ruhrgebiet nicht mehr arbeiten können und seine Lebensform ändern müssen. Die Gegner von Industrieprojekten sind zu schnell bei der Hand mit absoluten Rechten für Menschen oder Biotope. Es ist unvereinbar zu sagen, das Menschenleben sei von absolutem Wert, aber gleichzeitig weiß jeder, dass im Straßenverkehr immerfort Menschen sterben. Trotzdem nimmt man das nicht zum Anlass, den Verkehr einzustellen.

SZ: Wäre die Ölförderung in Ecuador zu rechtfertigen, wenn unter dem Nationalpark mehr als nur der Weltbedarf von elf Tagen lagern würde?

Hinsch: Im Prinzip kann es immer einen Punkt geben, wo man den Schaden in Kauf nehmen würde, weil der Nutzen größer ist. Beim Yasuní-Nationalpark ist das sicher nicht der Fall. Aber wenn irgendwo auf der Welt ein Ölfeld entdeckt würde, das alle Atomkraftwerke hundert Jahre lang überflüssig machen würde, würde man sich die Förderung doch sehr ernsthaft überlegen - auch wenn eine Gruppe von Personen dafür ihren natürlichen Lebensraum verlassen müsste.

SZ: Wenn im Yasuní-Nationalpark keine Indianer leben würden, gäbe es wahrscheinlich weniger Proteste. Haben Affen, die in dem Wald leben oder der Wald an sich weniger Rechte?

Hinsch: Natürlich haben Pflanzen und Tiere einen Wert an sich. Die Frage ist, welches Gewicht man einem Wert gibt. Ein Kollege hat mal die Ansicht vertreten, der Schutz der Wale sei viel wichtiger, als ein einzelnes Menschenleben. Aber das Problem ist ja, dass sich Menschen mit verschiedenen Wertvorstellungen darauf einigen müssen, wie sie mit der Natur umgehen. Und da sind Vorstellungen, die die Natur als Selbstzweck betrachten, schwierig durchzusetzen.

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