Mobiltelefone und Hirntumoren:Kein Grund zur Entwarnung

Nach zehn Jahren werden die Ergebnisse der bislang größten Studie zum Strahlenrisiko durch Handys veröffentlicht. Einige der beteiligten Forscher glauben nun an ein Risiko.

Große Hoffnungen hatten sowohl Handy-Firmen als auch Interessengruppen, die Mobiltelefone für gefährlich halten, in die Studie gesetzt - aber alle wurden enttäuscht:

Handy, dpa

Über einen Zeitraum von zehn Jahren werteten die Forscher die Daten von 13.000 Handy-Nutzern aus 13 Ländern aus.

(Foto: Foto: dpa)

Die bisher größte Untersuchung zu möglichen Verbindungen zwischen dem Gebrauch von Handys und Hirnkrebs, der Interphone-Studie, wird vermutlich Anlass zum Streit sein.

"Die Ergebnisse erlauben wirklich nicht den Schluss, dass von der Handy-Nutzung ein Risiko ausgeht", sagt der Direktor der Internationalen Behörde für Krebsforschung (IARC) der WHO, Christopher Wild. Für eine Entwarnung sei es aber auch zu früh. "Es wäre voreilig zu sagen, dass mit der Handy-Nutzung kein Risiko verbunden ist."

"Wir können nicht einfach ausschließen, dass es keine Auswirkungen gibt", fügt Elisabeth Cardis vom Umweltforschungszentrum Creal in Barcelona, die die Studie geleitet hat, hinzu.

In die mehr als zehn Jahre laufende Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren die Daten von 13.000 Handy-Nutzern aus 13 Ländern (Australien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweden und den USA) eingeflossen.

Es handelte sich um eine sogenannte Fall-Kontrollstudie mit etwa 5200 Patienten mit Hirntumoren und rund 7700 gesunden Kontrollpersonen. In Deutschland waren etwa 800 erkrankte Personen und doppelt so viel Gesunde interviewt worden.

Doch die 21 beteiligten Forscher haben nun festgestellt, dass die Untersuchung schwer zu interpretieren ist.

Ein Problem sei, dass die Studie bereits im Jahr 2000 gestartet wurde. Im Untersuchungszeitraum sei die Handy-Nutzung noch deutlich geringer gewesen als heute. Selbst die besonders intensiven Mobiltelefonierer in der Studie hätten ihr Handy im Schnitt nur eine halbe Stunde am Ohr gehabt.

Inzwischen nutzten gerade junge Leute ihr Handy schon eine Stunde oder länger am Tag. Allerdings seien die modernen Mobiltelefone auch strahlungsärmer, es werde mehr über SMS kommuniziert und es würden verstärkt Headsets eingesetzt.

Streit um die Interpretationen

Eine weitere Schwäche der Untersuchung sei, dass die Teilnehmer im Nachhinein nach ihren Telefongewohnheiten befragt wurden. Daraus könnten Ungenauigkeiten resultieren, weil die Probanden sich irrten, räumten die Forscher ein.

Zur Überraschung der Wissenschaftler gab es sogar Hinweise darauf, dass Handy-Nutzer ein geringeres Hirnkrebs-Risiko hatten, als Personen, die nie ein Mobiltelefon benutzt hatten. Doch "das hat sicherlich keine biologische Basis, sondern liegt an methodischen Problemen unserer Studie'', sagt Cardis.

Gerade diejenigen aber, die viele Jahre lang intensiv ein Handy benutzt hatten, waren möglicherweise einer deutlich erhöhten Gefahr ausgesetzt, an einem seltenen Hirntumor zu erkranken. Wer etwa zehn Jahre lang jeden Tag eine halbe Stunde das Mobiltelefon benutzt hatte, für den war dieses Risiko um 40 Prozent erhöht.

"Die obersten zehn Prozent unserer Studiengruppe scheinen tatsächlich ein erhöhtes Risiko zu haben, ein Gliom zu entwickeln", sagt Elisabeth Cardis vom Umweltforschungszentrum Creal in Barcelona, die die Studie geleitet hat. Gliome gehören zu den häufigsten Hirntumoren.

Der Wissenschaftlerin zufolge sprechen die Orte der Tumorbildung auf einem möglichen Zusammenhang mit dem Telefonieren. So hatten Vieltelefonierer unter den Studienteilnehmern weit überdurchschnittlich häufig einen Krebsbefall in der Nähe des Ohrs. Außerdem war eher jene Kopfhälfte betroffen, an die die Patienten eigenen Angaben zufolge das Handy häufiger gehalten hatten.

Die Forscher hatten mehrere Jahre über die Interpretation der Ergebnisse diskutiert, ohne sich auf ein gemeinsames Fazit einigen zu können, weshalb einige beteiligte Gruppen ihre Daten bereits vorab veröffentlichten. IARC-Direktor Wild hat zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern nun eine Zusammenfassung aus allen Daten erstellt.

Die Studien wurden zum Teil mit Geldern der Mobilfunkindustrie finanziert.

Jetzt setzen viele Forscher ihre Hoffnungen auf eine weitere Untersuchung, die kürzlich begonnen wurde. Dabei sollen eine Viertel Million Menschen in fünf europäischen Ländern nach ihrer gegenwärtigen Handy-Nutzung befragen werden.

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