Mienenspiel:Angst schärft die Sinne

Furchtsam aufgerissene Augen, angeekeltes Naserümpfen - unsere Gesichtsausdrücke haben sich nicht zufällig entwickelt: Das Mienenspiel beeinflusst den Seh- und Geruchssinn.

Joachim Marschall

Gefühle stehen uns bisweilen deutlich ins Gesicht geschrieben. Weit aufgerissene Augen bedeuten Furcht, ein Naserümpfen bekundet Ekel, diese Sprache wird überall auf der Welt verstanden. Für ein Lächeln werden die Gesichtsmuskeln auf Neuseeland genauso bewegt wie in Lappland.

Mienenspiel: Anst steht uns ins Gesicht geschrieben.

Anst steht uns ins Gesicht geschrieben.

(Foto: Foto: pixelio)

Aber warum, könnte man fragen, gerade so und nicht anders? Kanadische Wissenschaftler konnten nun eine alte Vermutung von Charles Darwin bestätigen: Dass sich unser Mienenspiel im Laufe der Evolution nicht zufällig entwickelt hat, sondern unseren Vorfahren auch einmal handfeste Vorteile bot.

Psychologen der University of Toronto trainierten Versuchsteilnehmer darauf, zwei grundlegende Gesichtsausdrücke besonders authentisch darzustellen, Angst und Ekel. Bei Furcht, stellten die Forscher fest, führen die weit aufgerissenen Augen und gehobenen Brauen dazu, dass sich das Gesichtsfeld vergrößert.

Mit ängstlich verzerrter Miene können wir vor allem Objekte am oberen Rand des Sehfeldes ein bisschen früher erkennen, ohne die Augen zu bewegen - in brenzligen Situationen möglicherweise ein Überlebensvorteil. Zudem erhöhen die angespannten Muskeln die Geschwindigkeit, mit der die Augen horizontal bewegt werden können.

Anpassung an die Situation

Im Ernstfall könne so die Umgebung etwas schneller nach möglichen Gefahren abgetastet werden, sagt Adam Anderson, der Leiter der Studie. "Gesichtsausdrücke könnten also ihren Ursprung darin haben, die Sinnesleistungen an die Situation anzupassen." Das beschränkt sich aber nicht nur auf das Sehen.

Wie Atemtests und Bilder aus dem Kernspintomographen offenbarten, weiten sich beim Angst-Gesicht auch die Nasenräume, weshalb mit jedem Atemzug mehr Luft durch den Riechkolben strömt.

Beim Ekel zeigt sich das umgekehrte Bild. Zum einen äußerlich, wie die Forscher per Bildanalyse feststellten - die Bewegungen der Gesichtsmuskeln verlaufen bei Angst und Ekel genau gegenläufig. Auch die Wirkung auf die Sinne kehrt sich um.

Das Sehfeld verkleinert sich, die horizontalen Augenbewegungen verlangsamen. Ein Blick in den Scanner zeigte zudem, dass sich beim angewiderten Naserümpfen die Hohlräume in der Nase verengen, als gelte es, einströmenden Mief abzuwehren. Ganz allgemein, so Anderson, scheint bei Angst alles darauf abzuzielen, mehr Sinneseindrücke aufzunehmen, bei Ekel hingegen, möglichst wenig von Außen mitzubekommen (Nature Neuroscience, online).

Dass solche nützlichen Muskelbewegungen der Ursprung unserer heutigen Gesichtsausdrücke sind, hatte Darwin bereits 1872 vermutet, überprüft hatte die Idee allerdings noch niemand. Stattdessen waren viele Forscher davon überzeugt, dass sich die Mimik auch zu jenem Zweck entwickelt hat, der heute vorherrscht: um sich anderen mitzuteilen. Die ängstlichen oder angeekelten Mienen wären demnach im Laufe der Evolution so entstanden, dass sie einfach besonders gut zu unterscheiden sind.

"Wenn das stimmt, wären die Gesichtsausdrücke aber im Prinzip austauschbar", sagt Andersons Mitarbeiter Joshua Susskind, einer der führenden Forscher hinter der neuen Studie. "Unsere Forschung zeigt aber, dass es aus evolutionärer Sicht wenig sinnvoll wäre, bei einem Gefühl von Ekel ängstlich zu schauen."

Angst schärft die Sinne

Wenn es nur darum ginge, möglichst verschieden auszusehen, müssten Angst und Ekel auch nicht genau gegenläufige Bewegungen der Gesichtsmuskeln hervorrufen - der Ausdruck könnte rein zufällig sein. Das scheint aber, so Susskind, auch bei anderen Gesichtsausdrücken nicht der Fall zu sein. Bei Überraschung etwa würden wir ebenfalls die Augen weit aufreißen und die Brauen heben, vermutlich um in Schrecksekunden mehr Informationen aufnehmen zu können.

Wütende Asiaten

Allerdings geben die Wissenschaftler zu bedenken, dass die tatsächlich gemessene Wahrnehmungsveränderung ziemlich klein ausfiel. Obwohl sich die Mimik also ursprünglich einmal zu diesem Zweck entwickelt haben könnte, steht mittlerweile wohl eher ihre soziale Funktion im Vordergrund. Mit der Zeit wurde die Verknüpfung zwischen Mine und Gefühl so fest, dass heute mindestens sechs grundlegende Ausdrücke anscheinend in allen Kulturen der Welt verstanden werden - neben Angst und Ekel auch Wut, Trauer, Freude und Überraschung.

Mit den wortlosen Signalen teilen wir nicht nur in Millisekunden mit, welche Stimmung wir gerade durchleben, sondern verraten dem Empfänger der Botschaft auch etwas über unsere Absichten - etwa, ob wir uns aggressiv oder freundlich verhalten wollen. Dabei kommt die Erfahrung ins Spiel, wie die im kanadischen Montreal lehrende Psychologin Ursula Hess feststellte.

So werden lächelnden Männern häufiger freundliche Absichten unterstellt als lächelnden Frauen. Vermutlich, so die Forscherin, weil Frauen insgesamt öfter lächeln. Wenn Männer also ihre Mundwinkel heben, ist dies ein selteneres Ereignis, dem daher mehr Bedeutung beigemessen wird. Wohl aus demselben Grund waren ihre Probanden der Ansicht, man müsse sich vor zornig blickenden Japanern mehr in Acht nehmen als vor wütend schauenden Amerikanern. Von Asiaten werden so deutliche Gefühlsregungen weniger erwartet - die Lage scheint ernster.

Das Mienenspiel wirkt heute als deutliches Signal, das den Beobachter auch unbewusst auf eine Reaktion vorbereitet, nämlich entweder zu fliehen oder sich anderen zuzuwenden. Wie die amerikanische Psychologin Abigail Marsh feststellte, wirkt dabei vor allem das ängstliche Gesicht anders als erwartet. Obwohl es Gefahr signalisiert, löst es eine Hinwendung zum verängstigten Gegenüber aus.

Die Forscher nutzten dabei das bekannte Prinzip, dass wir bei Sinnesreizen, die mit Vermeidung verknüpft sind, unwillkürlich die Gelenke ausstrecken. Sahen die Probanden jedoch in ein furchtsames Gesicht, beugten sie unbewusst ihre Muskeln, was eine Annäherung vorbereitet - obwohl der Blick "Gefahr" bedeutet.

Marsh versteht diesen Blick daher auch als Botschaft an einen Gegner, vor dem man sich fürchtet: "Ein ängstliches Gesicht könnte Beschwichtigung zum Ausdruck bringen, mit der Absicht, Konflikte zu lindern oder an Versöhnung und Zusammengehörigkeit zu appellieren - ähnlich den Unterwerfungsgesten, die man von anderen Spezies kennt." Vom ursprünglichen Zweck, die Sinnesschärfe zu verbessern, hätte sich das Angst-Gesicht damit schon ein gutes Stück entfernt.

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