Menschlicher Geist:"Das Rätsel ist im Wesentlichen entschlüsselt"

Interview mit dem Biologen Franz Wuketits von der Uni Wien.

sueddeutsche.de: Viele Menschen gehen davon aus, dass der menschliche Geist zu freien Entscheidungen fähig ist, dass er aber für die Wissenschaft vielleicht immer ein Rätsel bleiben wird.

Wuketits: Das Geheimnis des menschlichen Geistes ist im Wesentlichen entschlüsselt. Nicht zur Gänze. Aber aus evolutionstheoretischer Sicht besteht kein Zweifel daran, dass das, was Sie als Geist bezeichnen, dem Gehirn entspringt beziehungsweise eine Systemeigenschaft des Gehirns ist.

Wir sprechen hier von hochkomplizierten, neuronalen Mechanismen, die unter bestimmten Rahmenbedingungen zu verschiedenen Bewusstseinszuständen führen.

sueddeutsche.de: Wie definieren Sie dann Bewusstsein?

Wuketits: Ein Zustand des Gehirns, der dessen Träger in die Lage versetzt, Situationen in seiner Umgebung beziehungsweise seine eigene Situation zu reflektieren. Darüber nachzudenken.

Unser Gehirn besteht aus einem hochkompexen Netz von Nervenzellen. "Geist entspringt ohne Zweifel dem Gehirn." (Foto: Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Aber kann ich nicht gerade dank der Reflektion und Selbstreflektion bewusste Entscheidungen fällen? Das klingt doch nach freiem Willen.

Wuketits: Selbstreflektion und das Abwägen von Gründen zum Beispiel sind kein Beweis für einen freien Willen. Sie spiegeln lediglich den komplexen Entscheidungsprozess wieder, der in unserem Gehirn stattfindet. Und ich behaupte nicht, dass es keinen Willen gibt.

Wir wollen alles mögliche. Ein langes Leben, einen Flug zum Mond. Die Frage ist, ob dieser Wille frei ist. Da sage ich: Nein.

Auch mein Kater hat ja einen Willen. Der will unbedingt auf unserem Küchentisch spazieren, obwohl er es nicht darf. Aber das ist keine Frage einer freien Entscheidung, sondern hängt mit seinen Neuronen und sonstigen biologischen Mechanismen zusammen.

Weiter zum nächsten Teil: "Wir versuchen, uns alles zu erklären"

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