Menschheitsgeschichte:Verhängnisvolle Kopierfehler

Vor 70.000 Jahren hätte sich die Menschheit fast in zwei getrennte Arten aufgespaltet: ein episches Drama, das ins Erbgut geschrieben steht.

Christopher Schrader

"Was wäre gewesen, wenn ..." ist ein vergnügliches Spiel für Cocktail-Partys. Geschichtsfans malen sich aus, wie die Welt aussähe, wenn zum Beispiel Hannibal die Römer besiegt oder Süleyman der Prächtige Wien 1529 bei der ersten Belagerung durch die Türken erobert hätte. Doch ein Szenario zu entwerfen, in dem die Menschheit ausstirbt oder sich in zwei getrennte biologische Arten aufspaltet, wäre den Partygängern bisher wohl schwergefallen. Das nötige Hintergrundwissen liefert jetzt ein internationales Genetikerteam: Naturkatastrophen oder Dürren vor 40.000 bis 70.000 Jahren hätten das wohl bewirken können.

Buschmänner, dpa

Buschmänner in der Kalahari: Eine Menschheitsgruppe wanderte nach Süden, wo heute fünf Linien vor allem bei den Buschmännern zu finden sind.

(Foto: Foto: dpa)

Die Mitarbeiter der Forschergruppe sammeln seit Jahren überall auf der Welt Erbgutproben und isolieren genetische Marker. Sie konzentrierten sich auf DNS aus Mitochondrien, die von der Mutter unverändert an die Kinder weitergegeben wird. Weil sich dabei immer wieder kleine Kopierfehler einschleichen, können Genetiker etliche Entwicklungslinien der Menschheit unterscheiden. Anhand der Proben von alteingesessenen Völkern lesen sie dann ab, in welchen Schritten Homo sapiens die Erde erobert hat. Die Daten bestätigen immer wieder, dass die Spezies in Afrika entstanden ist. Vor etwa 60.000 Jahren sind von dort die Vorfahren aller Asiaten, Australier, Europäer und Amerikaner aufgebrochen.

30 erkennbare Linien

Die neue Analyse befasst sich nun mit der Zeit, die Homo Sapiens vorher in Afrika verbracht hat (American Journal of Human Genetics, Bd. 82, S. 1, 2008). Dort hatte sich die Art in zwei Gruppen aufgeteilt, wie sich an den Mitochondrien von 624 Probanden zeigt. Eine wanderte anscheinend nach Süden, wo heute fünf Linien vor allem bei den Buschmännern der Khoi und San zu finden sind. Die andere blieb im Osten des Kontinents und spaltete sich in gut 30 genetisch erkennbare Linien auf.

Schwere Dürreperioden verhinderten dann wahrscheinlich jeden Kontakt, 50.000 bis 100.000 Jahre lang haben sich die Gruppen getrennt entwickelt. Nach den Gesetzen der Evolution führt eine so lange räumliche Trennung womöglich dazu, dass sich Vertreter beider Gruppen nicht mehr miteinander fortpflanzen können. Dann hätte sich die biologische Art gespalten. Bei den Menschen aber fanden die Gruppen vor 40.000 Jahren in Afrika wieder zusammen. Diese Wiedervereinigung fiel offenbar in eine Zeit des Bevölkerungswachstums. Die Anfänge der modernen Kultur waren gelegt, Werkzeug erleichterte das Überleben.

Fundstücke aus der Vergangenheit

Dagegen war die Menschheit vor etwa 70.000 Jahren durch eine Krise gegangen und hätte zum Beispiel in Folge eines großen Vulkanausbruchs aussterben können. Weniger als 2000 fortpflanzungsfähige Erwachsene gab es noch, hatte zuvor schon eine andere Forschungsgruppe berechnet. Die neuen Daten passen in das Bild. "Kleine Gruppen früher Menschen, von den harten Umweltbedingungen auseinandergezwungen, treten vom Abgrund weg, finden zusammen und besiedeln die Welt. Das ist wirklich ein episches Drama. Und es steht im Erbgut geschrieben", sagt Spencer Wells vom Genographic Project, einer der Autoren.

Mark Stoneking vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig stimmt zu, formuliert es aber nüchterner: "Alle Daten bestätigen, dass die Menschheit einmal durch einen Flaschenhals gegangen ist." Was allerdings die mögliche Aufspaltung in zwei Arten betrifft, ist er skeptisch. Ob die Gruppen wirklich geographisch getrennt waren, könne man erst genau wissen, wenn weitere Teile des Erbguts die gleichen Merkmale einer Aufspaltung zeigen. Auch Friedemann Schrenk, der als Paläontologe von der Universität Frankfurt sonst eher nach Fundstücken aus der Vergangenheit gräbt, hofft auf weitere genetische Analysen. "Die Anatomie ist beim modernen Menschen viel zu variabel. Mit Schädeln, Zähnen oder Knochen werden wir diese Fragen kaum beantworten können."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: