Menschheitsgeschichte:Die ersten Metzger

Lesezeit: 3 min

Wann Menschen begonnen haben, Fleisch mit Werkzeugen zu bearbeiten, lässt sich rückwirkend nur anhand von Einkerbungen in fossilen Knochen herausfinden. Doch handelt es sich dabei tatsächlich um die Spuren von Urzeit-Metzgern?

Von Hubert Filser

Der Zeitpunkt, an dem die Vorfahren des Homo sapiens begannen, Fleisch mit Werkzeugen zu bearbeiten, ist ein spannender Wendepunkt der Menschheitsgeschichte. Haben schon Vertreter der Vormenschen-gattung Australopithecus, zu der auch die berühmte Lucy gehört, vor 3,4 Millionen Jahren mit scharfkantigen Hilfsmitteln Fleisch verendeter Tiere von den Knochen geschabt? Außer ein paar Kerben in Knochen gibt es leider keine harten Belege des handwerklichen Tuns der ersten Metzger. Das sorgt seit Jahren für Streit um die Befunde. Eine Gruppe um den amerikanischen Paläoanthropologen Tim White von der Universität Berkeley und Yonatan Sahle von der Universität Tübingen hat nun eine Reihe verdächtiger Knochen aus einer menschheitsgeschichtlich wichtigen Region entlang des äthiopischen Flusses Awash neu untersucht. Die Erkenntnisse sind eine Enttäuschung für die These von der Urzeit-Metzgerei. Die Forscher interpretieren die meisten der vermeintlichen Schnittspuren auf den 2,5 bis 4,2 Millionen Jahre alten Knochen als Spuren von Krokodilszähnen ( PNAS, online).

Krokodilbisse hinterlassen die verschiedenartigsten Spuren auf den Knochen der Opfer

Krokodile kamen einst in großer Zahl in den Flusslandschaften des Pliozäns und Pleistozäns vor. In den Sedimentschichten der eingekerbten Knochen fanden sich in der Regel auch Überreste von Krokodilen. Untersuchungen mit Nilkrokodilen in Tansania zeigten, dass Tiere mit ihren unterschiedlich großen Zähnen den Knochen von Beutetieren (auch Menschen) eine ganze Bandbreite von Kerben, Schrammen und Furchen zufügen können, wenn sie ihr Opfer packen und es mit schnellen Drehungen um die eigene Achse unter Kontrolle bringen. Zudem gibt es, so argumentieren die Forscher, an keiner der drei untersuchten Fundstellen in der Afar-Senke Hinweise auf Steinwerkzeuge. Die ältesten Spuren scharfer Faustkeile stammen aus dem äthiopischen Gona und sind 2,6 Millionen Jahre alt.

Schnittspuren richtig zu verstehen, ist keine einfache Aufgabe, selbst mit Hochleistungsmikroskopen. Lange Zeit, monieren White und seine Kollegen, seien Kerben auf Knochen auf der Basis experimenteller und augenscheinlicher Untersuchungen aus den 1980er-Jahren falsch interpretiert worden. Kerben in U-Form ordnete man eher Raubtieren zu, solche in V-Form eher den scharfen Klingen von Schneidewerkzeugen. Tiefe Rillen oder größere Vertiefungen in Verbindung mit Schnittspuren galten als Indiz für die massivere Einwirkung von Steinwerkzeugen. Generell habe sich die Vorstellung festgesetzt, dass entweder Werkzeuge oder Raubtiere Ursachen für Kerben im Knochen sein können.

Die Forscher warnen davor, von der Form einer Kerbe oder Ritzung auf den Verursacher zu schließen. Wie Experimente zeigten, lasse sich das gleiche Ergebnis auf höchst unterschiedliche Weise erreichen. Krokodilzähne eines einzigen Tieres führten zu höchst verschiedenen Bissspuren. "Bei den 4,2 und 3,4 Millionen alten Kerben auf Knochen, zu denen auch zwei Oberarmknochen von Australophitecenen gehören, konnten wir zweifelsfrei Krokodile als Ursache nachweisen", sagt der Tübinger Forscher Yonatan Sahle, der in Tübingen eine DFG-Forschungsgruppe leitet. "Die Vormenschen sind also mitnichten kannibalisiert worden." Lediglich bei den 2,5 Millionen Jahre alten Knochen bleibe es möglich, dass frühzeitliche Metzger am Werk waren. Davor wurden vermutlich keine Steinwerkzeuge benutzt.

Generell bräuchte man deutlich mehr Vergleichsproben, um die Kerben verlässlich zuordnen zu können. Zum Vergleich machten die Wissenschaftler auch Experimente mit Steinwerkzeugen an Schafskadavern, schabten Fleisch von den Knochen und dokumentierten die Spuren an den Knochen. Eine ganze Bandbreite möglicher Ursachen sei denkbar, sagen White und seine Kollegen. Sogar wenn Tiere über Knochen trampeln, können harte Körnchen im Boden Kerben hinterlassen.

Die bisherige Praxis der Interpretation halten die Forscher für einen "gefährlichen Weg". Je kleiner die Knochen seien und je weniger Fossilien eine Fundstelle insgesamt enthalte, umso höher sei die Gefahr der Falschinterpretation. Tim White hat in den vergangenen Jahren vielfach auf dieses Dilemma hingewiesen. "Wenn Fossilien von Fundorten entlang von Flüssen stammen, empfehlen wir, dass künftig Forscher nachweisen müssen, dass Krokodile dort als Verursacher vermeintlicher Schnittspuren nicht infrage kommen", sagt auch Yonatan Sahle. "Wir müssen mehr wie forensische Wissenschaftler arbeiten, so als ob wir den Ort eines Verbrechens untersuchen."

Ungewöhnlich für eine wissenschaftliche Veröffentlichung ist der ausführliche Schlussteil, ein Appell an Kollegen, bei Ausgrabungen künftig kritischer zu arbeiten und eine Bandbreite möglicher Ursachen in Betracht zu ziehen. Das akademische Belohnungssystem sei immer mehr an "klickzahlengenerierte Unterhaltung" gekoppelt, klagen die Autoren.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: