Medizin:Verwirrung nach dem Test

Wenn Patienten in Tests ihr Risiko auf eine Alzheimer-Erkrankung bestimmen lassen, bleiben sie meist irritiert zurück. Die Ergebnisse suggerieren zwar Gewissheit, sorgen bei Betroffenen jedoch vor allem für Verunsicherung.

Von Werner Bartens

Manchmal gibt es Untersuchungen, die legen den Irrsinn der Wissenschaft unverstellt bloß. Sie zeigen, dass Fortschritt in der Forschung bei allen Vorteilen auch Kehrseiten für die Patienten haben kann. Ethiker und Altersmediziner aus Philadelphia haben jetzt eine solche Studie vorgelegt. Im Fachmagazin JAMA Neurology legen sie dar, zu welchen Missverständnissen es führen kann, wenn älteren Menschen mitgeteilt wird, dass eine Untersuchung ein "erhöhtes" Risiko für Alzheimer-Demenz ergibt, jene Senioren aber geistig voll auf der Höhe sind und bisher keinerlei kognitive Einschränkung bemerken.

Das Team um Jason Karlawish hatte 50 gesunde Menschen im Alter zwischen 65 und 85 Jahren interviewt, bei denen im Rahmen eines Hirn-Scans Amyloid-Ablagerungen entdeckt wurden. Zwar finden sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten vermehrt derartige Plaques, welche Bedeutung sie für einen möglichen Krankheitsbeginn und den weiteren Verlauf haben, ist jedoch ungewiss. Als die beschwerdefreien Teilnehmer der Untersuchung mit den Ergebnissen konfrontiert wurden, reagierten sie sehr verschieden. "Ich habe nicht damit gerechnet, denn ich renne ja mein ganzes Leben lang", sagte eine 71-Jährige. "Ich laufe Marathon." Eine 75-Jährige war nicht überrascht, schließlich "bestätigt das meine Erwartungen - bei meiner Familiengeschichte".

Unterschiedlich war auch die Interpretation der Befunde aus dem Hirn-Scan. "Ich habe Anzeichen für eine Frühform von Alzheimer", vermutete ein 67-jähriger Mann, während eine 72-Jährige die lebensnahe Deutung bevorzugte: "So wie ich das verstehe, werde ich vielleicht Alzheimer bekommen - vielleicht aber auch nicht." Noch vertrauter mit medizinischen Unwägbarkeiten war eine 73-Jährige: "Wenn sie Amyloid-Plaques bei dir finden, heißt das noch lange nicht, dass du auch Alzheimer bekommst. Genauso wie es nicht bedeutet, dass du keinen Alzheimer bekommen kannst, wenn sie keine Plaques bei dir finden", sagte sie.

"Ärzte, die Menschen solche Ergebnisse mitteilen, sollten darauf vorbereitet sein, ihnen zu erklären, warum die Amyloid-Ablagerungen als 'erhöht' bezeichnet werden und was das für ihr Demenz-Risiko bedeutet", sagt der Medizinethiker und Neurologe Karlawish. In der aktuellen Studie waren die Probanden ziemlich irritiert infolge der unklaren Aussagen zu den Untersuchungsergebnissen. "Ich habe einen technischen Hintergrund, und da ist es frustrierend, wenn Daten zwar vorhanden sind, aber keiner einem sagen kann, was sie bedeuten", kritisierte ein 75-Jähriger. Eine 68-Jährige wollte die Aufnahmen sehen und wissen, "worüber reden wir, geht es um neun Amyloid-Ablagerungen oder um 9000?"

Wenn die Resultate Unsicherheit schaffen, sollten Ärzte von Untersuchungen abraten

Angesichts der Verwirrung, zu der die unklaren Diagnosen bei kognitiv gesunden Senioren führen, kommt Jason Karlawish zu der pragmatischen Erkenntnis, dass "Biomarker in Zukunft zuverlässiger werden müssen - oder aber Ärzte und Wissenschaftler den Patienten beibringen sollten, sich auf Unsicherheiten einzustellen und damit umzugehen". Schließlich folgt aus dem Befund vermehrter Amyloid-Ablagerungen eine mehr als reichlich vage Prognose - und eine Behandlung gibt es weder zu diesem frühen Zeitpunkt noch wenn die Erkrankung tatsächlich eingetreten sein sollte.

Ökonomische Anreize und die irrige Annahme, dass eine Untersuchung mehr Klarheit als Ungewissheit bringt, führen dazu, dass Tests in fast allen Bereichen der Medizin deutlich zunehmen. "Mit dem Fortschritt der molekularen Diagnostik werden Ärzte immer öfter vor der Herausforderung stehen, Informationen mit unklarer Bedeutung zu vermitteln", schreibt der Altersforscher Winston Chiong in einem Kommentar. Ärzte könnten sich allerdings auch vornehmen, Patienten von Untersuchungen abzuraten, die zur Verunsicherung beitragen und keine Konsequenzen nach sich ziehen. Dies gilt nicht nur für die unklare Risikoerfassung für Demenz, sondern oft auch für die Bestimmung der Tumormarker bei Krebspatienten oder für vorgeburtliche Tests. Denn diffuse Information ist nicht gleichbedeutend mit Erkenntnis.

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