Medizin:Spenderniere aus der Kühltruhe

Nanopartikel machen Gewebestücke frostfest. Künftig könnten mit Hilfe einer solchen Technik einzelne Organe oder gar ganze Gliedmaßen eingefroren und eingelagert werden.

Von Hanno Charisius

Sollen Organe eines Toten transplantiert werden, bleibt nicht viel Zeit. Vier Stunden für ein Herz, acht bis zwölf für eine Leber, am längsten hält noch eine Niere mit den heutigen Möglichkeiten: etwa einen Tag. Wenn die gespendeten Organe in dieser Zeit nicht beim Empfänger ankommen, sind sie verloren. In Deutschland werden so nur sehr wenige Organe unbrauchbar, weil der Bedarf groß ist und die Transportwege kurz sind, doch in den USA liegt die Ausfallquote bei etwa 60 Prozent. "Könnte man nur die Hälfte dieser Organe retten, würde es in zwei bis drei Jahren keine Wartelisten für Spenderorgane mehr geben", schreiben der Bioingenieur John Bischof von der University of Minnesota und seine Kollegen in der Einleitung eines Fachaufsatzes, in dem sie eine mögliche Lösung für dieses Problem präsentieren.

Das Team hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich zwar noch keine menschlichen Organe einfrieren lassen, aber zumindest größere Gewebestücke. Ohne besondere Maßnahmen würde das Gewebe beim Auftauen durch scharfkantige Eiskristalle zerstört. Bischofs Team tränkte Organstücke vor dem Einfrieren in einer Eisennanopartikel-Lösung und erwärmte sie später mit einer Technik, die an jene eines Induktionskochfelds erinnert. Nach dem Prozedere werden die Nanopartikel wieder ausgespült. Menschliche Hautzellen konnten die Forscher auf diesem Weg einfrieren und auftauen, ohne dass diese Schaden nahmen. Es klappte auch mit Blutgefäßen und Herzklappen von Schweinen, heißt es in Science Translational Medicine.

Bis zu 50 Milliliter große Gewebestücke können die Cryoexperten derzeit verarbeiten. Bislang sei schonendes Auftauen nur in Proben bis ein Milliliter gelungen, sagt Bischof. Gewebe legt man nicht einfach ins Gefrierfach, sondern "vitrifiziert" es, wobei Frostschutzmittel das Wasser verdrängt. Dazu existieren einige Methoden, doch bislang gelang das Auftauen nicht.

Bischof will das neue Verfahren jetzt an Organen von Kaninchen erproben. Derzeit würden in seinem Labor Nieren der Versuchstiere mit den Nanopartikeln behandelt, sagt Bischof. Ob auch sie das Auftauen in den Induktionsspulen schadlos überstehen, soll sich in einigen Wochen zeigen.

Je größer das Gewebestück, desto schwieriger ist es, Frostschutzmittel und Nanopartikel gleichmäßig darin zu verteilen und später wieder restlos auszuspülen. Die Nanopartikel müssen möglichst jede Zelle erreichen, denn sie werden durch das elektrische Feld der Induktionsspule erhitzt und tauen das umliegende Gewebe auf. Geschieht das ungleichmäßig, schadet es dem Gewebe.

Organe, Gewebestücke und ganze Hände könnten künftig eingelagert werden

Das Team von Bischof hat das Verfahren nicht nur entwickelt, sondern auch Patentschutz beantragt. Das amerikanische Verteidigungsministerium hat Geld für die Weiterentwicklung der Technologie gegeben. Um damit auch menschliche Organe zu konservieren, seien jedoch noch zahlreiche Anpassungen notwendig, sagt Kelvin Brockbank vom Unternehmen Tissue Testing Technologies, der mit Bischof zusammenarbeitet. Bevor man damit Organe einlagern könne, würde es wahrscheinlich schon Tiefkühlgewebebanken für Augenhornhäute, Blutgefäße, Hautstücke, Herzklappen, Sehnen und Bänder geben.

In anderthalb Jahren hofft Brockbank das Verfahren an menschlichen Gewebestücken testen zu können, die aus Haut, Muskeln und Blutgefäßen bestehen. In sieben bis zehn Jahren hält er Organbanken für möglich, wo man auch Körperteile einlagern könnte. Es bestehe ein riesiger Bedarf an Händen und anderen Gliedmaßen. Und kann man auch einen ganzen Körper konservieren? "Vielleicht", sagt Brockbank, "aber ich glaube nicht, dass es innerhalb der nächsten 100 Jahre funktioniert." Außerdem wisse niemand, ob die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn das Prozedere überstehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: