Medizin:Hoffnung auf ein normales Leben

In einer kleinen Studie mit zehn Patienten, die an der Bluterkrankheit leiden, hat sich eine Gentherapie als erfolgreich erwiesen. Doch bis die Behandlung allen Betroffenen angeboten werden kann, werden noch Jahre vergehen.

Von Kathrin Zinkant

Ein blauer Fleck. Ein Kratzer. Ein Hieb auf die Gelenke - ein gesunder Mensch vergisst solche Blessuren schnell. Kaum hat er sich gestoßen und winzige Gefäße dabei verletzt, eilt ein Arsenal von körpereigenen Stoffen zu Hilfe, um das ins Gewebe strömende Blut zu stoppen. Bluter aber bluten. Immer weiter, nach außen wie innen, weil ihrem Arsenal ein wichtiger Gerinnungsfaktor fehlt. Selbst ein fester Schlag auf den Arm kann lebensbedrohlich werden, wenn sie nicht permanent mit Spritzen vorbeugen. Bislang galt die Krankheit als unheilbar.

Doch jetzt könnte eine Gentherapie berechtigte Hoffnungen wecken. Wie ein Team von Genetikern und Hämatologen in der aktuellen Ausgabe des Medizinjournals New England Journal of Medicine berichtet, ist es erstmals gelungen, zehn Bluter, denen der Gerinnungsfaktor IX fehlt, gentherapeutisch so weit zu behandeln, dass sie ohne Medikamente normal leben können. Die Forscher brachten das Gen für den fehlenden Gerinnungsfaktor mithilfe einer neuartigen Fähre in die Leberzellen der Patienten. Im Untersuchungszeitraum von mindestens einem halben Jahr waren acht der zehn Patienten unabhängig von intravenöser Medikation. Schwere Nebenwirkungen traten in keinem einzigen Fall auf.

Obwohl die Ergebnisse in größeren Studien überprüft werden müssen, bevor an eine Zulassung überhaupt zu denken ist, setzt die aktuelle Erhebung durchaus ein Zeichen, denn die Bluterkrankheit ist eine seltene, aber äußerst belastende Erbkrankheit. In Deutschland werden heute etwa 3500 Fälle pro Jahr im Register des Paul-Ehrlich-Instituts verzeichnet, die Diagnose erfolgt bald nach der Geburt, wobei sich der Schweregrad der Erkrankung meist erst nach sechs Monaten bestimmen lässt. Die Behandlung erfolgt dann lebenslang durch die Gabe des fehlenden Gerinnungsfaktors, der intravenös gespritzt wird.

Bluter können mit dieser Prophylaxe zwar ein fast normales Leben führen, doch kommt es immer wieder zu Komplikationen. So bildet das Immunsystem bei einigen Patienten Antikörper gegen den aus fremdem Blut gewonnenen Gerinnungsfaktor, der damit seine Wirkung verliert. Und als eine der größten Tragödien der Medizingeschichte darf man sicherlich die Welle von Infektionen mit dem Aids-Erreger HIV betrachten. Weltweit steckten sich in den 1980er-Jahren mehr als 20 000 Bluter über die Präparate an, die ihnen das Überleben sichern sollten. Heute ist das Risiko, sich über die aus Blutplasma gewonnenen Produkte mit HIV zu infizieren, äußerst gering. Gleich Null ist es aber immer noch nicht - und auch andere Viren können übertragen werden.

Es wird noch Jahre dauern, bis die Therapie allen Patienten angeboten werden kann

Allein eine Gentherapie könnte Bluter heilen, doch wie bei fast allen Versuchen, erbliche Krankheiten durch eine gesunde Kopie des Gens im Körper zu therapieren, krankte der Ansatz lange an den Fähren, die den an ihr Ziel bringen. In den meisten Fällen handelt es sich um abgewandelte Viren, die gezielt in Zellen eindringen und ihre Fracht dort entladen. Die ersten dieser sogenannten Vektoren integrierten sich aber an den falschen Stellen im Erbgut und lösten dadurch Krebs aus. Mehrere Studien mussten deshalb abgebrochen werden.

Mittlerweile gibt es jedoch Genfähren, die als relativ sicher eingestuft werden. Einen solchen Virusvektor benutzten auch die Forscher vom Children's Hospital in Philadelphia für ihre aktuelle Arbeit. "Die Autoren dieser Studie haben eine neue Variante eines AAV-Vektors eingesetzt, mit dem sich therapeutische Gene besonders effizient in die Leber einführen lassen", sagt Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie an der Universitätsklinik in Freiburg. Außerdem habe zum Erfolg beigetragen, dass eine Variante verwendet wurde, die besonders viel Faktor IX produziert.

Derzeit laufen Untersuchungen, die im Fall der Bluter-Gentherapie noch mehr Gewissheit schaffen können. Bei Ärzten herrscht trotz der noch nötigen Studien bereits großer Optimismus: "Mit der Gentherapie haben betroffene Patienten nun eine weitere Therapieoption, die in wenigen Jahren für einen Großteil der Patienten verfügbar sein wird", sagt Johannes Oldenburg, Leiter der Experimentellen Hämatologie und Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Bonn. "Sie würde es den Patienten erlauben, in Zukunft nahezu vollständig auf Spritzen zu verzichten und damit ein weitgehend normales Leben zu führen."

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