Medizin:Geregelte Ausbildung

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Faste jeder kann sich in Deutschland zum Heilpraktiker schulen lassen. Eine Expertengruppe fordert jetzt Minimalstandards, um die Bevölkerung vor Heilpraktikern mit unzureichenden medizinischen Kenntnissen zu schützen.

Von Kathrin Zinkant

Wer nach Parallelwelten im deutschen Gesundheitssystem sucht, muss sich eigentlich nur an einen Kneipentisch setzen und das Stichwort Heilpraktiker in die Runde werfen. Immer gibt es einen, der sagt: "Das sind Esoteriker." Und immer gibt es einen, der sagt: "Mir hat ein Homöopath geholfen, als kein Arzt die Rückenschmerzen in den Griff bekommen hat." Es ist ein tiefer Graben, der unüberwindbar erscheint - insbesondere in Deutschland.

Im Deutschen Ärzteblatt ist nun ein Memorandum von hochrangigen Experten erschienen, das den Brückenschlag versucht und eine neue Lösungsidee unterbreitet. Zum selbsternannten Münsteraner Kreis zählen neben dem Medizinjuristen und früheren Ethikratmitglied Jochen Taupitz die ehemalige Homöopathin Natalie Grams und weitere Fachleute sowie die Ärztin und Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, die das Papier initiiert hat. "Wir wollten ausloten, wie ein solidarisches Gesundheitswesen verantwortlich und fair mit dem Clash zwischen gefährlicher Pseudowissenschaft und Selbstbestimmung umgehen sollte", sagt Schöne-Seifert.

Nicht einmal die genaue Zahl der Heilpraktiker ist bekannt

Der Münsteraner Kreis kritisiert vor allem die mangelnde Ausbildung der Heilpraktiker: ein Hauptschulabschluss und autodidaktisch erworbene Kenntnisse reichen aus, um die staatliche Prüfung zum Heilpraktiker abzulegen. Dass diese Heilpraktiker an Patienten fast die gleichen Krankheiten behandeln, wie ein studierter und durch zwei Staatsexamen geprüfter Arzt, halten die Autoren für inakzeptabel. Lehrangebote an privaten Schulen gebe es zwar. "Man muss anerkennen, dass sich einige Heilpraktikerverbände um eine zumindest intensive Ausbildung bemühen", sagt Jochen Taupitz von der Universität Mannheim. Viele Heilpraktiker kennen zudem ihre Grenzen und verweisen Patienten mit schweren Erkrankungen an einen Mediziner. Aber weder Ausbildung noch umfassende Selbstbeschränkung sind verpflichtend oder an Vorgaben gebunden.

Das müsse sich nach Ansicht des Münsteraner Kreises ändern. Zumal es Fälle gibt, in denen Heilpraktiken Menschenleben kosten - wie zuletzt bei drei Krebspatienten, die nach der Therapie eines Heilpraktikers in Brüggen (Niederrhein) starben. Der Mann hatte per Infusion ein nicht zugelassenes Mittel verabreicht. Wie oft es zu solchen und anderen Fehlbehandlungen in der Heilpraktik kommt, ist unbekannt. Nicht einmal die genaue Zahl der in Deutschland tätigen Heilpraktiker ist aktenkundig, sie liegt mutmaßlich zwischen 48 000 und 120 000. Für Patienten ist an der Berufsbezeichnung jedoch nicht erkenntlich, ob und welche Ausbildung der einzelne Heilpraktiker genossen hat.

"Aufgrund der üblichen hohen Qualitätsstandards gehen Menschen hierzulande davon aus, dass diese Standards alle wichtigen Lebensbereiche regulieren - also auch die Gesundheitsversorgung durch Heilpraktiker", schreiben die Experten. Dass dem nicht so ist, halten sie für nicht länger hinnehmbar. "Es wäre undenkbar, jemandem die Steuerung eines Flugzeugs anzuvertrauen, dessen ganze Kompetenz in einem erfolgreich absolvierten Workshop über die Sage des Ikarus besteht."

Solche Vergleiche klingen wenig versöhnlich. Tatsächlich sehen die Autoren eine mögliche Lösung des Problems darin, den Heilpraktikerberuf abzuschaffen. Die Gruppe um Schöne-Seifert schlägt alternativ jedoch eine "Kompetenzlösung" vor, die den Beruf mit einer verpflichtenden Grundausbildung aus dem Bereich der nichtakademischen Gesundheitsberufe ausstattet. Das würde bedeuten: Wer Heilpraktiker werden will, muss erst die staatlich anerkannte dreijährige Ausbildung zum Krankenpfleger, Logopäden oder Physiotherapeuten absolvieren. "Die Anwärter sollen als Grundrüstzeug ein medizinisch zuverlässiges Verständnis von Gesundheit und Krankheit erwerben", sagt Christian Weymayr, Journalist und Experte für Komplementär-alternative Medizin, der zum Münsteraner Kreis gehört.

Der Ausbildung könnte dann eine Qualifizierung zum Heilpraktiker folgen. Laut Memorandum gehört dazu, den "wissenschaftlich fundierten Umgang" mit den Methoden der Heilpraktik zu erlernen. Der Fach-Heilpraktiker müsste also anerkennen, dass die Wirkung von Homöopathie oder Bach-Blüten nicht belegt ist. "Daran, dass die meisten heilpraktischen Verfahren wissenschaftlich unhaltbar sind, ändert eine dreijährige Ausbildung nichts", sagt Weymayr. Schließlich sollen Heilpraktiker die Verfahren nur im medizinisch erlernten Feld anwenden dürfen. "Ein Physiotherapie-Fachheilpraktiker etwa bliebe beschränkt auf Beschwerden und Erkrankungen im Bewegungsapparat".

Der Präsident des Fachverbands Deutscher Heilpraktiker, Christian Wilms, kritisierte auf Anfrage der SZ , dass im Expertenkreis kein Heilpraktiker vertreten gewesen sei. "Hier scheint es ausschließlich darum zu gehen, unliebsame Konkurrenz loszuwerden und die erfolgreiche Arbeit der Kollegenschaft zu diskreditieren", sagt Wilms. Das Bundesministerium für Gesundheit wollte das Memorandum auf mehrmalige Nachfrage der SZ nicht direkt kommentieren. Im Fall der Heilpraktiker seien die Gesundheitsbehörden der Bundesländer in der Verantwortung, "für die Überwachung und Überprüfung der Heilpraktiker in ihrem beruflichen Handeln Sorge zu tragen", hieß es.

Darüber hinaus verweist das Ministerium auf die Möglichkeit von Schadenersatzansprüchen "wegen eines Behandlungsfehlers". Das reicht nach Ansicht des Münsteraner Kreises nicht aus. "Es muss darum gehen, dass die Bevölkerung vor Heilpraktikern mit unzureichenden medizinischen Kenntnissen beschützt wird", sagt Jochen Taupitz. Schadenersatz nutze dem Patienten wenig, wenn seine Gesundheit bereits beschädigt sei.

© SZ vom 22.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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