Medizin:"Gebärende werden sich selbst überlassen"

Die Hebamme Dorothy Ngoma kämpft gegen das Sterben der Mütter in Malawi. Jetzt wirbt sie in Europa um Hilfe.

Constanze von Bullion

Sie könnte so ein Biest eigentlich mal mitbringen. So eine Malariamücke hätte gut in ihrem Koffer Platz, sagt Dorothy Ngoma, sie könnte sie durch die Flughafenkontrolle in Malawi schmuggeln und nach Deutschland bringen, sozusagen als Erinnerung, dass medizinische Probleme sich von einer Seite der Erde zur anderen bewegen können.

Gott verhüte, sagt sie dann und lässt ein Lachen los, das ein bisschen wie ein Erdbeben klingt, sie wünscht niemandem Zustände wie in Malawi, und außerdem. Sie schaut raus auf die Straße Unter den Linden, über der ein Regenschauer niedergeht. Außerdem ist das da draußen sowieso kein geeignetes Biotop für Wesen aus ihren Breiten, findet sie.

Dorothy Ngoma ist 54 Jahre alt, Vorsitzende der Krankenschwestern- und Hebammenvereinigung von Malawi, eine Frau wie ein Kraftwerk, die für Pessimismus keine Zeit zu haben scheint.

Für ihr Engagement in Sachen Gesundheit ist sie international ausgezeichnet worden. Jetzt ist sie als Botschafterin der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam in Europa unterwegs und wirbt dafür, armen Ländern nachhaltiger zu helfen - auch damit ihre Probleme nicht eines Tages wie die Malariamücke in den reichen Ländern ankommen.

In Berlin will Dorothy Ngoma zu einem Kongress, jetzt sitzt sie in Wollpulli und Wollschal in einem Caféhaus und erzählt von zu Hause. Malawi ist eines der ärmsten Länder der Erde, es liegt im Südosten Afrikas und seine 13 Millionen Bewohner werden im Schnitt nicht älter als 41 Jahre.

16 Frauen sterben jeden Tag in Malawi

Das liegt am Hunger, an Malaria und Tuberkulose und an HIV. Gefährdet sind vor allem junge Mädchen. 16 Frauen sterben jeden Tag in Malawi, viele von ihnen, weil sie bei der Geburt eines Kindes verbluten, andere schaffen es nicht ins Krankenhaus, wenn es Komplikationen gibt - oder sterben dort, weil sich niemand um sie kümmern kann.

"Es ist eine ganze Kette von geschultem medizinischen Personal, an dem es fehlt", sagt Dorothy Ngoma, die seit Jahren gegen den Aderlass kämpft, der das Gesundheitswesen ihres Landes an den Rand des Kollapses gebracht hat. In den Jahren 2000 bis 2005 ist jede zweite Krankenschwester ausgewandert. Auch Ärzte verlassen das Land in Scharen, allein in Manchester arbeiten 800 malawische Ärzte, in Malawi nur noch 260.

"Gebärende werden sich selbst überlassen"

Die Schwestern, die zurückbleiben, sind oft alt und selbst krank, viele haben sich bei Patienten mit HIV oder Tuberkulose angesteckt - oder sind ausgebrannt. Krankenschwestern verdienen in Malawi 120 Dollar im Monat, und weil das oft nicht reicht, übernehmen sie 24-Stunden-Schichten, bei denen sie 50 bis 100 Patienten versorgen müssen. "Die werden missbraucht, es ist unmenschlich", sagt Ngoma.

Nachts wacht manchmal nur eine einzige Frau über eine Station von 800 Kranken. "Die Schwestern schlafen ein, und die Frauen, die gebären, sind sich selbst überlassen."

Dorothy Ngoma hat längst aufgehört, die Katastrophen zu zählen, die sie bei Geburten erlebt hat. Eine von ihnen, eine typische, begann in einem der abgelegenen Dörfer. Viele Mädchen werden dort mit 14 Jahren verheiratet, und weil sie oft noch zu schmal sind zum Gebären, kann es zu inneren Verletzungen kommen, die sie für immer inkontinent machen können und zu Ausgestoßenen.

Ein Kaiserschnitt kann das verhindern, aber viele verpassen es, rechtzeitig zu einer Krankenstation zu gehen. Kommt dann das Kind, helfen Frauen des Dorfes auf dem Boden einer Hütte. "Sie haben keine Ahnung", sagt Ngoma, "sie sagen nur, die Frauen sollen pressen."

Eine 16-Jährige presste also, einen Tag lang, einen zweiten, einen dritten, das Wasser im Dorf war ausgegangen; und als sie völlig dehydriert war und nicht mehr konnte, brachte man sie ins nächste Dorf; und dann, an Tag vier, in die Ambulanz zu Dorothy Ngoma. Sie hörte den Bauch der jungen Frau ab, aber sie hörte nichts. "Als das Baby per Kaiserschnitt geholt wurde, ging die Haut schon ab." Es war längst tot, und die Mutter hatte so schwere Infektionen, dass sie trotz Antibiotika starb.

"Versteck die Pille in der Kohle"

Wer Dorothy Ngoma eine Weile zuhört, beginnt sich zu fragen, wie sie das alles aushält und was sie antreibt, ihre Kolleginnen anzutreiben, damit sie durchhalten, weitermachen, nicht weglaufen. Sie lacht, wenn sie das hört: "Ich denke immer, morgen wird's besser, ich hab' das von zu Hause."

Als Dorothy Ngoma noch ein Kind war, da hat sie auf einer Farm bei Zomba gelebt, der ehemaligen Kolonialhauptstadt. Sie ist dort mit zwei Geschwistern aufgewachsen, in eher ärmlichen Verhältnissen und bei einem Großvater, der mal Lehrer war und sie angetrieben hat zu lernen, mehr zu lernen und noch mehr.

Nach der Highschool ist sie aufs College und nach der Hebammenschule an die Universität in Nairobi. Da war sie 28, verheiratet und hatte ihr erstes Kind; und nachdem sie als Unidozentin zurückkam nach Malawi, hat sie ein Gesundheitsprogramm entwickelt, dessen Motto heißt: "Children by choice, not by chance", was bedeutet, dass Frauen ihre Kinder kriegen sollen, wann sie wollen.

Als Dorothy Ngoma mit dieser Arbeit anfing, benutzen nur 14 Prozent ihrer Patientinnen Verhütungsmittel, als sie aufhörte, waren es 29 Prozent.

"Gebärende werden sich selbst überlassen"

Dazwischen lagen Jahre harter Arbeit, in denen ihr Team Frauen aufgeklärt und ihnen ungewöhnliche Ratschläge gegeben hat. "Wenn dein Mann nicht will, dass du die Pille nimmst, versteck' sie im Kohlesack, da fasst er nicht hin."

Oder: "Komm morgen früh, wenn dein Mann auf dem Markt ist, wir machen schnell eine Sterilisation." Schnell? Sie macht jetzt eine Geste, als würde sie einen Reißverschluss öffnen. "Zwei Schnitte, auf, zu, zwei Stiche, fertig." Und wenn der Mann fragt, warum keine Kinder mehr kommen, "dann sagen sie, Gott hat es so gewollt".

Dorothy Ngoma hat so ihren eigenen Draht zum lieben Gott; es ist ein inniger, das ist nicht zu überhören, und wenn man sie fragt, was sie von der Sexuallehre der katholischen Kirche hält, holt sie Luft und sagt: "Gott hat uns Menschen doch Verstand gegeben." Nur ein Männerverein wie der Vatikan, findet sie, bringe es fertig, Familienplanung zu verbieten, und das in Afrika.

"Ich sehe, wie diese Frauen unter ungewollten Schwangerschaften leiden, Jahr für Jahr. Und dann sagt man ihnen: Keine Abtreibung, du musst das Baby kriegen, selbst wenn es dich umbringt." Sie wird jetzt ärgerlich, erzählt von den dunklen Ecken auf Malawis Märkten, wo weggemacht wird, was nicht verhütet worden ist. Bis zu 40 Prozent der Todesfälle von Müttern gehen auf solche Abtreibungen zurück.

Einen Tag später wird Dorothy Ngoma in Berlin vor einem Saal stehen, in dem Nicht-Regierungsorganisationen aus aller Welt über nachhaltige Entwicklungshilfe diskutieren. Jahr für Jahr versickerten viele Dollars unkontrolliert im staatlichen Gesundheitssystem von Malawi, sagt Ngoma. "Das meiste kassieren irgendwelche Funktionäre."

Initiativen müssten mehr Transparenz erzwingen, fordert sie, und Nicht-Regierungsorganisation müssten effektiver kooperieren. Arbeiten, härter arbeiten, alles geben. Eigentlich ist das eine ganz einfache Botschaft.

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