Medizin:Cannabis aus der Internet-Apotheke

Wer nur den Kick sucht, findet sicher einfachere Wege. Zwar lässt sich Cannabis seit August über die Internetseite www.hanfapotheke.org wie beinahe jede legale Ware online bestellen - allerdings steht diese Möglichkeit nur Kranken offen und ist an strikte Auflagen geknüpft: Der Kunde muss an einer schweren Erkrankung leiden, bei der alle anderen Mittel versagen oder zu unerträglichen Nebenwirkungen führen.

Wiebke Rögener

Darüber hinaus prüft ein Vertrauensarzt der Hanfapotheke in jedem Einzelfall die Aussicht, dass Cannabinoide die Beschwerden lindern. Gibt er sein O.K., wird dem Patienten das von Spendern zur Verfügung gestellte Cannabis kostenlos zugeschickt. "Das ist ein Ausweg für Schwerkranke, die keinen Zugang zur illegalen Drogenszene haben und wünschen", erklärt der Arzt Franjo Grotenhermen aus dem Förderkreis der Hanfapotheke.

Cannabis als Medizin

Cannabis als Medizin -in den Niederlanden schon 2003 möglich

(Foto: Foto: dpa)

Droge als einziger Ausweg

Eindeutig legal ist das Projekt aber auch nicht. Denn Cannabis darf als "nicht verkehrsfähige" Droge weder hergestellt noch eingeführt werden. Darum sorgt die Online-Vermittlung dafür, dass Patienten und Spender anonym bleiben. "Ich weiß nicht, ob ich mit Strafverfolgung rechnen muss", sagt Grotenhermen.

Ein Rechtsgutachten des Bremer Juristen Lorenz Böllinger macht deutlich: Einerseits verstoßen Spender, die den Drogenhanf anbauen oder schmuggeln, ebenso gegen das Betäubungsmittelgesetz wie die Kranken, die sich die Substanz beschaffen. Andererseits können sich beide auf den Notstand berufen, in dem sich ein Schwerkranker befindet, für den die Droge oft der einzige Ausweg ist. Immerhin entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe im Juni 2004: Die Einnahme von Cannabis kann aus Notstandgesichtspunkten gerechtfertigt sein.

Relikt der Volksmedizin oder Wunderdroge

Seit Tausenden von Jahren wird Cannabis sativa, besser bekannt als Marihuana, in der Heilkunde genutzt. Selbst die strenge Queen Victoria soll den Stoff gegen Menstruationsbeschwerden verwendet haben. Bis zum heutigen Tag aber wird darüber gestritten, ob und in welchen Fällen das Kraut anderen Medikamenten überlegen ist.

Mal wird es als Wunderdroge gesehen, die gegen beinahe jedes Leiden von Kopfschmerz bis Krebs helfen soll, mal als Relikt aus der Volksmedizin, das durch moderne Medikamente weitgehend überflüssig geworden sei. Es gehe den Befürwortern der Marihuana-Medizin nur darum, die Droge für den Freizeitgebrauch zu legalisieren, sagt etwa die Schweizer Neurologin Barbara Bulamo (Schweizer Medizinisches Forum, Bd. 5, S. 276, 2005).

Die Informationen, die die Hanfapotheker zur Verfügung stellen, zeichnen dagegen ein differenzierteres Bild: Relativ gut durch Studien belegt ist demnach die Wirksamkeit von Cannabis gegen Appetitlosigkeit und Abmagerung bei HIV-Infizierten, gegen spastische Krämpfe und Multiple Sklerose (MS). So haben kanadische Behörden kürzlich Cannabis für die Behandlung von MS zugelassen. Schlechter ist die Datenlage für Depressionen oder Bewegungsstörungen. Gegen Übelkeit und Erbrechen bei der Krebstherapie ist Cannabis zwar wirksam, doch helfen Medikamente wie Metoclopramid besser. Tierexperimente deuten auch auf eine Wirksamkeit von Cannabis gegen Arterienverkalkung hin (Nature, Bd. 434, S. 782, 2005).

Vielversprechend scheint der Einsatz von Hanfwirkstoffen zudem bei chronischen Darmentzündungen zu sein. Zumindest bei Mäusen lindern Cannabinoide die Symptome, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und der Universität München festgestellt (Journal of Clinical Investigation, Bd. 113, S. 1202, 2004). Seit Februar dieses Jahres wird in der Münchner Uniklinik ein Hanfextrakt an Patienten erprobt, die an der Darmerkrankung Morbus Crohn leiden.

Erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

Derweil entdeckten britische Forscher, dass Cannabis dem kranken Darm gleich doppelt gut tut: In menschlicher Darmschleimhaut identifizierten sie zwei Rezeptoren für Cannabinoide. Einer davon fördert, wenn der Wirkstoff ankoppelt, die Wundheilung, der andere reguliert Entzündungsprozesse (Gastroenterology, Bd. 129, S. 437, 2005).

Zu den Nebenwirkungen der Droge gehören, neben der berauschenden Wirkung und dem Suchtpotential, nach langem Gebrauch ein leicht erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Doch gebe es auch Hinweise, dass Cannabis Nervenzellen schützen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer entgegenwirken kann, berichten Neurologen des University College London. Vor dem klinischen Einsatz seien aber mehr und bessere Studien notwendig.

"Die Pharmaindustrie setzt darauf, Wirkstoffe zu entwickeln, die wie Cannabis wirken, aber die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten", berichtet Martin Storr von der Universität München. Derartige Medikamente würden beispielsweise auf die Rezeptoren im Darm wirken, aber keinen Rausch auslösen. Doch auf solche Entwicklungen könnten viele Schwerkranke nicht warten, sagt Franjo Grotenhermen. "Und es müssen in jedem Fall künftig Cannabinoide zugelassen werden, die ins Hirn vordringen, wenn dort die Ursache der Erkrankung liegt."

Zwar gibt es eine legale Möglichkeit an halbsynthetisches Cannabis zu kommen. Dronabinol heißt der Stoff, der seit 1998 von der Firma THC-Pharma hergestellt und vertrieben wird, die eine Vorstufe des Wirkstoffs aus legalem Faserhanf gewinnt und diese dann auf chemischem Weg in die Droge umwandelt.

Mit einem Betäubungsmittelrezept können Patienten in jeder Apotheke Dronabinol-Zubereitungen erhalten. Doch oft weigerten sich die Krankenkassen, die Kosten zu übernehmen, die zehn mal höher lägen als bei natürlichem Cannabis, sagt Grotenhermen. Und so bleibe vielen Patienten nur die Notlösung Hanfapotheke - die allerdings nicht für die Qualität der vermittelten Hanfdroge bürgen kann.

(SZ vom 7.9.2005)

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