Materialforschung:Physiker streiten um Wunder-Wasserstoff

Materialforschung: Metallischer Wasserstoff oder Messfehler?

Metallischer Wasserstoff oder Messfehler?

(Foto: R. Dias, I.F. Silvera)
  • US-Physiker behaupten im Wissenschaftsjournal Science, metallischen Wasserstoff in Form eines Festkörpers erzeugt zu haben.
  • Der Stoff gilt als Wundermaterial, theoretisch kann er elektrischen Strom ohne Widerstand leiten und somit Energieprobleme lösen.
  • Andere Wissenschaftler zweifeln die Studie an, ein Beweis sei bei dem Experiment nicht erbracht worden.

Von Patrick Illinger

Handfeste Auseinandersetzungen unter Wissenschaftlern, das kennt man eigentlich eher von Anthropologen. Unter Knochenforschern kommt es immer wieder zu Krach, der gerne mit Verbalinjurien ausgetragen wird. Ein Beispiel ist die Frage, ob es auf der indonesischen Insel Flores einst eine eigene Menschenart gab. Nun bekämpfen sich auch Physiker mit harten Bandagen. Ihr Thema ist eines, von der man denken sollte, dass sie sich mit einem Experiment gütlich klären lassen müsste: Lässt sich Wasserstoff, das leichteste Element des Universums, so fest zusammenpressen, dass es ein metallischer Festkörper wird?

Physiker halten diese abenteuerlich klingende Verwandlung durchaus für möglich. Dass im tiefsten Inneren des Planeten Jupiter metallischer Wasserstoff steckt, wenngleich in flüssiger Form, wird seit langem vermutet. Diesen extremen Aggregatszustand des normalerweise gasförmigen Wasserstoffs als Festkörper im Labor herzustellen, ist jedoch alles andere als einfach. Nun meinen Physiker der angesehenen Harvard-Universität bei Boston, es geschafft zu haben. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science. Im vergangenen Oktober hatten sie sogar Kollegen in ihr Labor eingeladen, um einen mikroskopisch kleinen, rötlich-silbern glänzenden Fleck zu bewundern. Nach fester Überzeugung des Experimentators Isaac Silvera handelte es dabei sich um metallisch gewordenen, festen Wasserstoff, entstanden unter dem Druck einer ausgeklügelten Diamantpresse. Den gesamten Tag über seien Kollegen Schlange gestanden, berichtet der Physiker, um das Wunder zu bestaunen.

Kollegen halten das ganze jedoch für Unsinn. Das Wort "Müll" genüge nicht, um dieses Experiment zu beschreiben, zitiert Science einen aufgebrachten Fachkollegen, den Hochdruck-Physiker Eugene Gregoryanz von der Universität in Edinburgh. Auch Forscher in Deutschland sind skeptisch: "Aus unserer Sicht ist das nicht überzeugend", sagt Mikhail Eremets vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Von "offensichtlichem Betrug" sprechen manche Kritiker.

Traum vom supraleitenden Material

Tatsächlich streiten hier nicht nur Experten über ein hochspezielles Thema. Sollte es gelingen, Wasserstoff zu einem Metall zusammenzupressen, könnte dieses Wundermaterial womöglich bei Raumtemperatur überdauern - und es wäre supraleitend. Elektrischer Widerstand wäre somit eine Sache der Vergangenheit. Der Nutzen eines solchen Materials, aus dem sich vielleicht sogar elektrische Schaltkreise bauen ließen, wäre unvorstellbar groß. Elektronische Geräte könnten monatelang ohne Ladekabel arbeiten. Der Rechengeschwindigkeit von Computern wären kaum mehr Grenzen gesetzt.

Doch von dieser Traumwelt ist bislang nur der Streit unter Physikern Realität. Der Disput entzündet sich unter anderem an der Frage, wie man nachweist, dass zusammengepresster Wasserstoff tatsächlich metallisch geworden ist. Die im Labor von zwei Diamanten zusammengepressten Proben sind winzig. Wasserstoff kann sich unter dem extremen Druck des Versuchsaufbaus, einem Millionenfachen des Atmosphärendrucks auf der Erdoberfläche - in Ritzen der Diamantköpfe absetzen und diese sogar angreifen. Daher nutzen die Experimentatoren eine Art Schutzschicht auf ihren Diamanten. Doch genau diese Schicht versperrt die freie Sicht auf den Wasserstoff und verhindert eine Überprüfung.

Kurz bevor ihre Presse 500 Milliarden Pascal erreichte, habe die Farbe ihrer Probe von schwarz zu metallisch-rötlich gewechselt, berichten Isaac Silvera und sein Doktorand. Laserstrahlen seien zudem reflektiert worden wie von einer spiegelnden Oberfläche. Die Kritiker halten das nicht für einen ausreichenden Beweis. Es könne sich um ein Artefakt handeln, also ein unechtes Signal, das durch die Messung selbst entstanden ist. Oder um eine flüssige Form metallischen Wasserstoffs, nutzlos für technische Anwendungen.

Die umstrittene Probe steckt derzeit noch zwischen den Diamanten der Hochdruckpresse in Harvard. Silvera will sie mit weiteren Tests untersuchen, bevor er sie aus der Apparatur befreit, um zu sehen, ob das neue Material womöglich "metastabil" ist, also bei Raumtemperatur zumindest nicht sofort zerfällt.

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