Material von Skiern:Kernkompetenz

Ski-Manufaktur "Artisan Skis" in Hechendorf, 2012

Das Ski-Vokabular ist heute kompliziert: Titanal-Legierung, Camber, Flex, MOD, ARC. Um einfaches Holz kommen gute Ski jedoch auch nicht herum.

(Foto: Johannes Simon)

Moderne Alpinski sind mit ihren Urahnen kaum noch zu vergleichen. Doch ein Bauteil hat sich trotz allem Fortschritt gehalten: Gute Skikerne werden auch heute noch aus Holz hergestellt.

Von Bernd Eberhart

Der Skifahrer fachsimpelt gerne über sein Material. "Mit meinem Rocker gehen die Schwünge butterweich", erklärt der Sitznachbar in der Gondel bereits in der Talstation. "Und mit dem Vibrationskiller fangen die Latten gar nicht erst das Flattern an", erwidert seine Kollegin. Bis zur Mittelstation hat man dann alles über Titanal-Legierungen, Kanten, Camber, Flex, MOD, ARC, Carbon Stringers und Infrarot-Basiswachs gehört. Voller Stolz lassen am Gipfel dann alle ihre edlen Bretter in den frischen Schnee plumpsen. Bis auf einen. Der erntet entsetzte Blicke von den Mitfahrern: "Das ist aber ein Einsteigermodell", geht ein Raunen durch die Runde. "Die haben ja nicht einmal einen Holzkern, alles Schaumstoff!" Und schon sind die Wintersportexperten auf ihren Highspeed UHM-Belägen oder ihren Speedwall Multilayer Woodcore-Geschossen davongebraust.

Ein Kern aus Holz? Zwischen all den hochmodernen Werkstoffen mit den pompösen Namen? Tatsächlich, auch heute noch statten die meisten Hersteller ihre guten Modelle mit dem Naturmaterial aus, und jeder Weltcup wird auf Holzlatten gewonnen. Und dafür gibt es Gründe.

"Immer mehr Firmen ersetzen die Schäume wieder durch Holzkerne"

Überwiegend Einsteigermodelle bekommen heute einen Kern aus Schaumstoff. "Da muss man verschiedene Methoden unterscheiden", sagt Bernhard Mayr, der viele Jahre lang bei einem großen österreichischen Skihersteller für die Entwicklung zuständig war. Bei billigen Skimodellen oder bei vielen Kinderskiern würden der sogenannte Ober- und Untergurt des Skis zuerst geformt und zwischen diese beiden Schichten dann ein flüssiger Schaum eingespritzt. Dieser "foam injection process" ist laut Mayr eine sehr preisgünstige Herstellungsmethode, diese Skier sind aber weich und nicht sehr langlebig.

Zwar könnten aus hochwertigen, festen Schäumen wie Isocore oder Rohacell auch durchaus gute und besonders leichte Skier gefertigt werden, meint der Experte. Die wären dann teilweise sogar leichter als die Holzmodelle. Die Schaumkerne müssen dafür jedoch aus fertig ausgehärteten Platten herausgefräst und bearbeitet werden. So entsteht viel Arbeit und viel Abfall - und ein möglicher Kostenvorteil gegenüber Holz ist wieder eingebüßt.

Ein paar Skihersteller verfolgen noch den Ansatz mit hochwertigen Schaumkernen, teilweise auch in Kombination mit Holz. "Aber immer mehr Firmen ersetzen die Schäume wieder durch Holzkerne", sagt Jürg Mock, Verkaufsleiter bei der Firma Hess im schweizerischen Döttingen. Der Mann kennt die Branche: Die Furnier- und Sperrholzfabrik Hess ist Weltmarktführer im Bereich der Ski- und Snowboardkerne aus Schichtholz. Fast alle Hersteller, ob groß oder klein, bestücken ihre Latten mit einem Innenleben aus Döttingen. In dieser Saison fertigt Hess die Kerne für über 100 Skimodelle, vom zahmen Pistenrutscher bis zur bissigen Rennmaschine. "Eigentlich jeder Rennski auf dem Siegerpodest kommt von uns", sagt Mock stolz.

Ein Ski mit Holzkern ist spritziger, lebendiger. Ein guter Fahrer merkt das

Holz ist nach wie vor im Trend. Sicherlich hat das auch Marketinggründe - Holz mutet natürlich und nachhaltig an, es klingt nach altbewährt und dynamisch zugleich. Aber es bringt auch echte Pluspunkte auf der Piste. "Ein Ski mit Holzkern verhält sich anders, er ist spritziger, lebendiger", sagt Bernhard Mayr. "Ein sehr guter Skifahrer merkt das, gerade im Rennbereich." Mayr hat viele Innovationen kommen und gehen sehen. Der Holzkern jedoch war eine feste Größe. "Die eigentlich tragenden Teile eines Skis sind der Unter- und Obergurt", erklärt Mayr. Diese Schichten bestehen aus laminierten Glas- oder Kohlefasern, meist ergänzt durch eine stabilisierende Metallschicht aus Aluminium oder Titanal. Beim Fahren verteilen diese Gurte die auf den Ski wirkenden Drücke und Züge gleichmäßig über das Sportgerät; außerdem verleihen sie ihm seine Verwindungssteifigkeit. "Die Aufgabe des Kerns ist einerseits, Ober- und Untergurt stabil miteinander zu verbinden", sagt Mayr. "Andererseits wird die Biegelinie des Skis, also seine Steifigkeit, über den Dickenverlauf des Kerns gesteuert."

Neben der Performance auf der Piste bringt das Holz aber auch Vorteile in der Produktion: Es ist ungiftig, lässt sich bis auf einen zehntel Millimeter genau bearbeiten und ist druck- und temperaturstabil. "Die verschiedenen Schichten des Skis werden zum Schluss mit bis zu zehn Bar Druck verleimt. Wenn der Kern dabei nachgeben würde, wäre jeder Ski anders", erklärt Bernhard Mayr. Auf Holz ist hier Verlass. Außerdem hat sich die Industrie über die Jahre auf den Werkstoff eingestellt und die passenden Maschinen und Technologien zur Bearbeitung entwickelt.

Esche und Buche für den Rennski

Hinter der Fabrikhalle der Firma Hess stapeln sich ganze Berge von Baumstämmen, die für die Skipisten bestimmt sind. Sie warten auf das Abschälen: In eine riesige Drehbank eingespannt rotieren die Stämme dabei um ihre eigene Achse. Mit einem mehrere Meter langen Messer wird dann - ungefähr wie bei einem überdimensionierten Bleistiftspitzer - Schicht um Schicht Furnier vom Stamm abgeschält. Dieses rund drei Millimeter dicke Schälfurnier wird daraufhin getrocknet, auf zwei Meter Breite zugeschnitten und verleimt: eine Schicht Holz, eine Schicht Leim, eine Schicht Holz - bis eine Höhe von gut zehn Zentimetern erreicht ist. Heraus kommen massive Schichtholzplatten, etwa zwei auf zwei Meter lang, zehn Zentimeter hoch.

Scheibchenweise sägt ein Arbeiter nun zentimeterdicke Latten von einem dieser Blöcke: Zwei Meter lang, zehn Zentimeter breit, einen Zentimeter dick. Eine CNC-Fräse verleiht diesen Rohkernen dann ihre endgültige Form und ihr Höhenprofil - fertig ist das Herz des Skis. In der Skifabrik wird dann dieses hölzerne Herzstück zwischen Glasfaser- und Kunstharzschichten zum fertigen Pistengerät verbacken.

Das Verleimen in Schichten verleiht dem Skikern berechenbare Eigenschaften. Gleichmäßiger Flex, einheitliche Steifigkeit, verlässliche Stabilität. Über die Auswahl der Holzarten für die verschiedenen Furnierschichten kann Jürg Mock diese Eigenschaften genau bestimmen: "Esche zum Beispiel ist ein klassisches Skiholz. Zusammen mit Buche wird sie gerne für einen Rennski verwendet, die beiden Harthölzer machen den Ski sehr steif." Wird dann beispielsweise noch das afrikanische Okumé mit verbaut, gewinnt der Ski an Laufruhe und Flex: "Okumé ist sehr langfaserig, der Ski reagiert dadurch unglaublich gut", erklärt Mock. Massentauglichere Ski dagegen werden oft aus Pappel, Tanne und Buche gefertigt. Die Kombination ergibt einen nicht ganz so steifen, dafür etwas leichteren Skikern. Es gibt beliebig viele Kombinationsmöglichkeiten der Holzschichten. Und jede Firma schwört auf einen anderen Mix, sagt Mock: "Die Grundeigenschaften des Skis, sozusagen seinen Charakter, die macht der Kern aus."

Ein Holzski erholt sich über Nacht - genau wie sein Fahrer

Das Gewicht spielt aber auch eine immer größere Rolle. An einem Tourenski beispielsweise entlastet jedes eingesparte Gramm den Skiwanderer. Hersteller von Damenski werben mit möglichst leichten Modellen, Freerider wollen mit möglichst leichten Latten auf dem Tiefschnee schwimmen. Pappel, Paulownia oder sogar Balsa sind hier die Hölzer der Wahl. Immer öfter kommt auch eine alternative Herstellungsweise zum Einsatz: Bei sogenannten Massivholzkernen werden keine Schälfurnierschichten übereinander verleimt, sondern circa zwei Zentimeter breite, gesägte Hölzer nebeneinander geklebt. Das spart deutlich an Gewicht, bringt aber Abstriche bei der Steifigkeit der Ski.

Letzten Endes ist es die Kombination seiner Eigenschaften, die das Holz auch heute noch zum optimalen Pistenmaterial macht: relativ geringes Gewicht bei hoher Stabilität und Flexibilität. Dazu kommen altbewährte und gute Verarbeitungsmöglichkeiten, und eine lange Lebensdauer - denn anders als bei Kunststoffen gibt es keine Weichmacher, die sich verflüchtigen und das Material brüchig werden lassen. Als organischer Stoff passt sich Holz außerdem verschiedenen Bedingungen an und hat sogar eine gewisse Regenerationsfähigkeit: "Wenn der Ski viel gefahren wird, dann verliert er über den Tag an Vorspannung, er wird weicher", erklärt Jürg Mock. "Ein Holzski erholt sich dann wieder über Nacht." Genau wie sein Fahrer.

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