Malaria-Medikament:Die mächtige Malaria

Schreckensszenario: Forscher sind in Sorge, dass die Erreger von Malaria weltweit Resistenzen gegen die neueste Therapie der Krankheit bilden könnten.

Martrin Enserink

"Es ist ein katastrophales Szenario", sagt ein Wissenschaftler. "Es ist ein globales Desaster", sagt ein anderer. Was die Forscher schaudern lässt, ist die Vorstellung, dass die Erreger von Malaria weltweit Resistenzen gegen die neueste und beste Therapie der Krankheit bilden könnten. Diese Behandlung wird mit ACT abgekürzt; es handelt sich um eine Kombination einer Artemisinin-ähnlichen Substanz mit einer Arznei, die es Malaria-Parasiten erschweren soll, resistent zu werden.

Malaria-Medikament: In Gebieten, in welchen Medikamenten-Intoleranz angetroffen wird, sollen Mücken intensiv bekämpft werden.

In Gebieten, in welchen Medikamenten-Intoleranz angetroffen wird, sollen Mücken intensiv bekämpft werden.

(Foto: Foto: dpa)

Artemisinin ist ein Wirkstoff aus dem Beifußgewächs Artemisia annua. Sollten dagegen Resistenzen entstehen, hätten große Teile der Welt keine Medikamente gegen Malaria mehr; die Zahl der Kranken und Toten könnte in die Höhe schnellen und die Hoffnung zunichte machen, dass die Welt kurz davor steht, die Malaria endlich einzudämmen.

Eben dieses Schreckensszenario könnte bereits seinen Anfang genommen haben. Eine solche Entstehung von Resistenzen wird derzeit in Westkambodscha beobachtet, entlang der Grenze zu Thailand. Das zeigen mehrere Studien, die in der vergangenen Woche auf der Jahrestagung der American Society of Tropical Medicine and Hygiene (ASTMH) in New Orleans präsentiert wurden.

Kühner Vorstoß

Die Daten verleihen einem kühnen Vorstoß aus dem vergangenen Jahr neue Dringlichkeit: Damals schlugen Experten vor, die Malaria in jenen Gebieten mit aller Macht auszurotten, in denen Resistenzen aufzukommen scheinen. In diesen Tagen nun versammeln sich Fachleute in Phnom Penh, um zu diskutieren, wie der Plan umgesetzt werden soll. Koordinieren wird ihn die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung wolle die Anstrengungen finanzieren, sagt WHO-Malaria-Experte Pascal Ringwald.

Das Ausmaß und die Natur der Resistenzbildung seien bisher nicht vollständig verstanden, sagt Nicholas White von der Mahidol-Universität in Bangkok, der in Kürze eine Studie über das Phänomen publizieren wird. Der bedeutendste Parameter, den Wissenschaftler bisher dokumentieren konnten, scheint zu sein: Wenn die Malaria-Parasiten resistent geworden sind, dauert es länger, das Blut von Patienten mit Hilfe von Medikamenten von diesen Parasiten zu befreien. Die Medikamente haben aber nicht völlig an Wirksamkeit verloren. Deshalb sagen die meisten Forscher lieber, die Parasiten seien "tolerant" statt "resistent". Aber wie auch immer man es nennt, sagt White: Die Daten seien besorgniserregend.

Kambodschas westliche Grenze ist schon seit langem eine Brutstätte für Resistenzen gegen Malariamedikamente. Auch die älteren Mittel Chloroquin und Mefloquin hätten hier zuerst versagt, bevor sie schließlich auch anderswo in der Welt nutzlos wurden. Wissenschaftler glauben den Grund für diese Entwicklung zu kennen: In Kambodscha würden die Medikamente häufig in zu niedrigen Dosierungen eingesetzt, auch seien gefälschte Arzneien verbreitet. Im Fall der Artemisinin-Therapien hat Kambodscha ein weiteres Problem: In dem Land sind auch viele Artemisinin-Monotherapien auf dem Markt, die besonders schnell zu Resistenzen führen, weil die zweite, resistenzverhindernde Substanz fehlt.

Die mächtige Malaria

Die Resistenzen auszumachen, scheint schwieriger zu sein, als es zunächst aussah. Wenn die Therapie bei einem einzelnen Patienten versagt, ist das noch lange kein Beweis für Resistenz. Zum Beispiel schlägt die Behandlung mitunter einfach nicht an, weil die Wirkstoffspiegel im Blut nicht hoch genug sind. Um eine Resistenz zuverlässig zu erkennen, müssen Ärzte die Parasiten aus dem Blut des Patienten in einem Reaktionsgefäß mit den Medikamenten zusammenbringen und beobachten, wie stark sie sich dann noch vermehren. Selbst diese Ergebnisse aber sind schwer zu interpretieren. So konnten Wissenschaftler bisher keine eindeutigen genetischen Hinweise auf Resistenzen in den Parasiten identifizieren.

"Die Leute wollten es nicht glauben"

Vor diesem Hintergrund waren Malaria-Experten bei früheren Berichten über Resistenzen häufig skeptisch. Als Harald Noedl, der heute an der Medizinischen Universität Wien arbeitet, während der ASTMH-Konferenz vor zwei Jahren erstmals Resistenzdaten präsentierte, wurde er "angegriffen", wie Ringwald sagt. Und Ringwald selbst hatte ebenfalls Probleme damit, eigene Daten zum Thema zu publizieren. "Die Leute wollten es nicht glauben", sagt er.

Jetzt, zwei Jahre danach, gibt es neue Daten, und die Skepsis ist verblasst, wie Dyann Wirth von der Harvard-Universität sagt. In der vergangenen Woche berichtete Noedl im New England Journal of Medicine von einer verzögerten Parasiten-Bekämpfung im Blut von zwei von 60-jährigen Patienten aus Westkambodscha, die mit dem Artemisinin-Derivat Artesunat behandelt wurden. Das Medikament brauchte bei diesen beiden Patienten 133 beziehungsweise 95 Stunden statt der durchschnittlichen 59 Stunden, obwohl es ausreichend dosiert war.

Der neue Plan zur Eindämmung der Resistenzen verfolgt konkrete Ziele: Die Malaria soll in jenen Gebieten eliminiert werden, wo Medikamenten-Toleranz gefunden wurde. Zudem soll die Übertragung in einer großen Region rund um die betroffenen Gebiete minimiert werden. Dem Plan zufolge sollen Kranke schnell und umfassend mit Artemisinin-Kombinationstherapien behandelt werden, Mücken sollen intensiv bekämpft werden. Geplant ist zudem, Mückennetze zu verteilen, die mit Insektiziden imprägniert sind. Monotherapien mit Artemisinin-Derivaten sollen verboten werden.

"Wir brauchen Daten"

Zudem gründeten Wissenschaftler auf der ASTMH-Konferenz das Worldwide Antimalarial Resistance Network (WWARN). Diese weltweite Datenbank wird an der britischen Universität Oxford eingerichtet und soll Informationen über Resistenzen sammeln. Solche Daten verschwanden oft für Jahre in Schubladen, während sie auf die Publikation warten, sagt der Epidemiologe Philippe Guérin, der WWARN leiten soll und derzeit für Ärzte ohne Grenzen arbeitet. Als Gegenleistung für eine schnelle Veröffentlichung werde das Netzwerk Wissenschaftlern Hilfe bei der statistischen Analyse ihrer Daten anbieten. Vor allem hoffen die Initiatoren, dass sie die Wege vereinheitlichen können, auf denen derzeit nach Resistenzen gefahndet wird. "Wir brauchen wirklich Daten, die wir in Echtzeit teilen", sagt Philip Rosenthal von der University of California in San Francisco. Aber, fügt er hinzu, auch standardisierte Methoden für Resistenz-Tests seien noch eine Herausforderung.

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