Liebesleben:Es gibt noch Sex in der Ehe

Wenn zwei ständig miteinander ins Bett wollen, haben sie möglicherweise ein Problem, wenig Sex in der Langzeitbeziehung muss dagegen kein schlechtes Zeichen sein. Was Paare zusammenhält und warum Liebe manchmal gelingt.

Werner Bartens

Wenig Sex in der Langzeitbeziehung? Das muss nicht zwangsläufig ein schlechtes Zeichen sein - sofern nicht schon jedes Interesse füreinander erloschen ist. Vielmehr können seltenere Intimkontakte in einer längeren Paarbeziehung darauf hindeuten, dass sich beide Partner sicher gebunden fühlen und nicht befürchten, dass einer die Beziehung bald verlassen wird. Wer hingegen ständig miteinander ins Bett will, könnte eher in Konflikten verstrickt sein oder chronisch unsicher, ob die Beziehung noch hält.

Sex in der Ehe

Wenn eine Frau auf eine lange Partnerschaft hofft, sollte sie sich tendenziell einen Mann suchen, der Konflikten gern aus dem Weg geht und Entscheidungen vermeidet.

(Foto: imago)

Für zufriedene Paare folgt daraus allerdings auch: "Dauerhafte Sicherheit und häufiger, guter Sex schließen sich aus", wie die Psychotherapeutin Kirsten von Sydow von der Universität Hamburg nüchtern feststellte.

Am vergangenen Wochenende konnte man während der Münchner Tagung "Bindungen - Paare, Sexualität und Kinder" viel fürs Leben lernen, zumindest fürs Beziehungsleben. Karl Heinz Brisch, Leiter der Psychosomatik am Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität, hatte ein sehr abwechslungsreiches Tagungsprogramm zusammengestellt. Die Konferenz war seit Juli ausgebucht, was sicherlich auch am Thema Sex lag.

Die Referenten waren sich einig darüber, dass Sex kein triebgesteuerter Instinkt ist, der die Menschen mehr (nach Expertenansicht sind hier eher Männer gemeint) oder weniger (tendenziell Frauen) überfällt und dem sie sich nicht entziehen können. Vielmehr spiegeln sich im Sexualverhalten und den entsprechenden Wünschen frühe Bindungserfahrungen wider.

Ein unsicherer Mann ist oft eine sichere Partie

So haben ängstliche Frauen häufiger wechselnde Sexpartner, während Menschen, die sich ihrer selbst sicher fühlen, weniger zu Affären neigen, und ihr erster Geschlechtsverkehr auch in fortgeschrittenerem Alter stattfindet.

"Melancholischer Sex ist sehr verbreitet", sagte die Therapeutin Kate White vom Bowlby Centre in London, was eine freundliche Umschreibung für Sex ist, der wenig Lust bereitet. Sie beschrieb einen unsicheren Patienten aus ihrer Praxis. Er könne zwar, wie er sagt, "mit vielen Leuten vögeln, aber einem Partner aufrecht und direkt ins Gesicht zu schauen, fällt mir schwer".

Es ging während der Tagung natürlich nicht nur um Sex, sondern auch darum, was Paare auf Dauer zusammenhält. Wenn eine Frau auf eine lange Partnerschaft hofft, sollte sie sich tendenziell einen unsicheren Mann suchen, könnte ein Fazit der Untersuchungen von Julia Berkic vom Bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik lauten.

Ihr Team hatte Paare im ländlichen Bayern untersucht, die im Mittel bereits 28 Jahre miteinander verheiratet waren. Nicht nur, weil es ihnen so gut ging. Ein Drittel war "stabil unglücklich" oder "unsicher und resigniert in der Beziehung". Gemeinsame Kinder, Projekte wie Hausbau oder berufliche Entwicklung und psychische Verstrickungen hielten die Paare aber in ihrem Unglück zusammen.

Auf der Suche nach einer Formel für stabile Paarbeziehungen kommen Forscher daher nicht nur zu dem naheliegenden Schluss, dass gefestigte Menschen, die sich in ihrer Beziehung wohl und sicher gebunden fühlen, vermutlich recht lange zusammenbleiben werden. Sicherheit aus der Herkunftsfamilie ist ein "Schutzfaktor" für eine lange Ehe. Und wer sich sicher gebunden fühlt, kann den Partner genauer wahrnehmen und auf ihn eingehen und stabilisiert damit wiederum die Bindung.

Sex zu geplanten Zeiten

Manchmal garantieren aber auch vermeintliche Schwächen ein dauerhaftes Eheleben. Ambivalente wie auch ängstliche Frauen trennen sich nur ungern. Männer, die Konflikten gern aus dem Weg gehen und Entscheidungen vermeiden, sind ebenfalls besonders geeignet für eine stabile Beziehung.

"Ein unsicherer Mann und eine sichere Frau - das ist oft ein ziemlich haltbares Paket", sagt Julia Berkic. "Vermeidende Männer haben naturgemäß ja eine Scheu davor, ihre Frauen zu verlassen."

Zu einiger Erregung führten im mit 800 Teilnehmern voll besetzten Auditorium die Thesen des erfahrenen Paartherapeuten Hans Jellouschek. Er sprach über die Partnerliebe, die der Handlungslogik der Hingabe folge, und in der keine Schuldscheine ausgestellt werden könnten. Gerechtigkeit zwischen Partnern sei zwar vielleicht wünschenswert, aber damit lasse sich Liebe nicht wieder herstellen.

Da Beziehungen die Tendenz haben, "von selbst schlechter zu werden", müsse das Paar etwas dafür tun, dass ihnen die Liebe nicht abhandenkommt - als Nebenwirkung stärkt die Partnerliebe schließlich auch die Bindungssicherheit und Autonomie der Kinder. Auch für den Sex altgedienter Paare regte Jellouschek "geplante Zeiten und Orte" an, "weil es einen ja nicht mehr so zum anderen treibt". Und manchmal käme der Appetit ja auch beim Essen.

Im Publikum war die Reaktion zwiespältig. Diese Argumentation höre sich für viele Leute komisch an, ereiferte sich eine Teilnehmerin. "Gerade ältere Frauen haben ja so oft schon ihrem Mann zuliebe mitgemacht", obwohl sie keine Lust verspürten.

Es entwickelte sich eine muntere Diskussion darüber, wie oft Sex bei chronischen Paaren "normal" sei. Man müsse die aus humanistischen Quellen überlieferte Anregung: zweimal in der Woche nicht so eng sehen, kamen die Diskutanten überein, viele Paare mit Kindern hätten nur einmal im Monat Sex.

Händchenhalten senkt die Schmerzwahrnehmung

Spätestens jetzt machte sich die linke Hälfte des Hörsaals wieder Gedanken über das Paar in der achten Reihe, das dem Alter nach auch schon Jahrzehnte zusammen sein konnte. Die beiden hielten während der zweitägigen Konferenz permanent Händchen, kuschelten sich aneinander und tauschten bei dramatischen Passagen im Vortrag Küsschen aus. Waren sie frisch verliebt? Mussten sie sich permanent ihrer Bindung versichern? Oder hatten sie eine Wette mit ihrem Paartherapeuten laufen?

Wie gut, dass James Coan von der University of Virginia den Turteltauben Rüstzeug aus dem Hirnscanner lieferte. Sein Vortrag lautete: "Warum wir uns gern an der Hand halten". In zahlreichen Studien hatte Coans Team beobachtet, dass Händchenhalten nicht nur das subjektive Bedrohungsgefühl senkt, sondern die lindernde und stärkende Wirkung an vielen Körperfunktionen abzulesen ist.

Die motorische wie die emotionale Anspannung sind geringer, auch die Schmerzwahrnehmung sinkt. Sogar ein Hügel wirkt anders. Allein empfinden Menschen einen Berg als steiler, als wenn ein Freund dabei ist. Je länger und besser man den Freund kennt, desto flacher erscheint der Anstieg.

Während der Tagung ging es auch um Störungen und Pathologien der Bindung und Elternschaft. Bezeichnend sei hier nur ein Fall von Egon Garstick genannt, dem es gelungen ist, in der Zürcher "Stiftung Mütterhilfe" eine "Vaterschaftswerkstatt" aufzubauen. Er berät unruhige und depressive Männer, die nach der Geburt ihres Kindes nicht damit zurechtkommen, dass sie nicht mehr die wichtigste Rolle für ihre Frau spielen, sondern erst an zweiter - oder fünfter - Stelle kommen.

Besonders drastisch drückte dies ein Mann aus, der in der Beratung für sich feststellte: "Ich habe gezeugt und verloren."

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