Lebensmittel in Biogasanlagen:Strom aus dem Supermarkt

Nicht nur Mais oder Raps landen in Biogasanlagen zur Erzeugung von Strom. Mittlerweile vergären dort tonnenweise fertig produzierte Lebensmittel, wie etwa Süßigkeiten. Fehlt diese Nahrung bald auf den Tafeln für Bedürftige?

Von Christoph Behrens

"Werde ich es übers Herz bringen, Lebensmittel zu verbrennen?", fragt ein Landwirt in einem Agrarforum im Internet. Kostbare Lebensmittel, also etwa Mais oder Raps in die Biogasanlage zu kippen - da könne doch was nicht stimmen, oder? "Und sonntags in der Kirche beten wir dann 'unser täglich Brot lass uns verbrennen'", antwortet ihm ein Kollege zynisch. Das war vor vier Jahren, der Aufbau von Biogasanlagen war gerade in vollem Gange. Etwa 8000 Anlagen in Deutschland produzieren heute aus potenziell Essbarem Biogas, mehr als zehn Mal so viele wie vor 15 Jahren. 7,5 Millionen Haushalte werden mit Strom versorgt, wenn das so erzeugte Biogas verbrennt und Generatoren antreibt. Gepäppelt von Subventionen, ist es Routine geworden, Mais und Raps in Energie zu verwandeln.

Dieser schnelle Ausbau hat aber auch dazu geführt, dass mittlerweile immer mehr ursprünglich für den Verzehr produzierte, oft sogar abgepackte Lebensmittel in die Anlagen wandern - die Branche schätzt, dass jedes Jahr zwischen einer und eineinhalb Millionen Tonnen Speisereste zu brennbarem Gas vergoren werden. Das kann verschimmelter Käse sein, aber auch Fertiggerichte oder noch einwandfreies Gemüse, das lediglich für den Supermarkt nicht mehr frisch genug aussieht.

Die Tendenz sei stetig steigend, berichtet ein Entsorger, der sich auf Supermärkte spezialisiert hat. "Ich habe schon Colaflaschenberge in Biogasanlagen verschwinden sehen, nur weil sie falsch etikettiert waren", sagt der Biotechnologe Günther Bochmann von der Universität für Bodenkultur Wien. Auch international wächst das Geschäft: Im Frühjahr 2014 nahm eine 1,2-Megawatt-Pilotanlage im Süden Londons den Betrieb auf, die zu 90 Prozent Lebensmittelabfälle verwertet. Hauptsächlich Retouren aus dem Einzelhandel wie "TK-Erbsen, Käse, Süßwaren", teilt der Betreiber mit. Biogas-Spezialist Bochmann vermutet, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz mittlerweile ein Großteil der organischen Supermarktabfälle in Biogasanlagen endet.

Lebensmittel in Biogasanlagen: Tiefkühlprodukte werden als "Retouren aus dem Einzelhandel" häufig in Biogasanlagen verwertet

Tiefkühlprodukte werden als "Retouren aus dem Einzelhandel" häufig in Biogasanlagen verwertet

(Foto: MT Energie)

Für diese ist die Verwertung ein lukratives Geschäft. Mit bis zu 15,26 Cent pro Kilowattstunde wird die Verarbeitung von Bioabfällen über den Strompreis derzeit gefördert - und damit indirekt auch die Wegwerfkultur von Lebensmitteln. 5,85 Milliarden Euro erhielten die Biogas-Betreiber 2012 an Subventionen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Speisereste und originalverpackte Nahrungsmittel machen derzeit zwar nur einen kleinen Teil der verarbeiteten Gesamtmenge aus, dennoch dürften sich die Subventionen dafür in einer Größenordnung von etwa 100 Millionen Euro jährlich bewegen, wenn man eine durchschnittliche elektrische Leistung von 750 kWh pro Tonne Lebensmittel zugrunde legt.

Der Kampf um die Abfälle könnte sich in Zukunft verschärfen, denn die Bioenergiebranche steuert auf harte Zeiten zu. Die seit August geltende Novelle des EEG ist für die Industrie nicht gut ausgegangen. Den rasanten Ausbau der Anlagen haben die Politiker gestoppt, den Bonus für "nachwachsende Rohstoffe" wie Mais und Raps auf Betreiben der SPD zusammengestrichen. Neue Anlagen sollen vor allem mit Abfallstoffen gefüllt werden.

Fehlen die Lebensmittel nun an den Tafeln, die Bedürftige versorgen?

"Hannelore Kraft hat uns ordentlich in die Suppe gespuckt", klagte ein ehemaliger Verbandschef auf einer Tagung. Viele versuchten jetzt zu überleben, sagt eine Sprecherin des Verbands Biogas. Lediglich die Abfallvergärung sieht die Branche noch als lukrativ an. Damit hatte vor der Förderung der erneuerbaren Energie auch alles begonnen. Nur gibt es heute viel mehr Anlagen als vor 15 Jahren, die gefüllt werden müssen.

Das könnte die Betreiber möglicherweise in Konflikt mit den Tafeln bringen, jenen gemeinnützigen Organisationen, die sich überschüssiger Lebensmittel bislang annehmen, um sie an Bedürftige zu verteilen. Viele der in Biogasanlagen vergorenen Lebensmittel wären noch einwandfrei verzehrbar. Die Tafeln beobachten die Entwicklung, dass mehr und mehr davon in Biogasanlagen landet statt auf Tellern, daher mit Sorge. "Ich möchte noch nicht von Konkurrenz sprechen, aber wir sehen deutlich, dass da ein anderer Player um sich greift", sagt Stefanie Bresgott vom Bundesverband Deutsche Tafel. "Lebensmittel sollten verzehrt werden können, nicht produziert und anschließend verbrannt werden." Die Tafeln verspüren seit Jahren steigende Nachfrage, allein in München holen derzeit 18 000 Bedürftige regelmäßig Lebensmittel ab, doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Der große Andrang führe "immer wieder zu Engpässen", so der Bundesverband. Zugleich werden die gespendeten Lebensmittel seit Jahren weniger.

Lebensmittel in Biogasanlagen: Abfallvergärungsanlagen in Deutschland (klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrößern)

Abfallvergärungsanlagen in Deutschland (klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrößern)

(Foto: DBFZ)

"Nicht derjenige, der die Lebensmittel verwertet, ist der Schuldige, sondern der, der sie produziert oder unachtsam wegwirft", hält der Biogas-Verband dem Vorwurf entgegen, die Branche trete zunehmend in Konkurrenz zu den Tafeln auf. Dennoch müsse die Branche mit dem Dauervorwurf leben, etwas zu entsorgen, was prinzipiell noch anderweitig nutzbar wäre.

Noch können beide Parteien nebeneinander existieren, zu groß ist schlicht der Berg von Lebensmitteln, der übrig bleibt. In Deutschland sind das nach Erhebungen der Universität Stuttgart etwa elf Millionen Tonnen pro Jahr. Biogasanlagen seien daher insgesamt "eine notwendige Option, um Lebensmittel zu verwerten", findet Felicitas Schneider vom Institut für Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur in Wien. Besser sei es allerdings, wenn die Hersteller so planten, dass am Ende keine Lebensmittel mehr übrig bleiben, die dann nurmehr in teurem Strom verwandelt werden.

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