Lebensmittel:Abfall auf der Speisekarte

DIE MEISTEN DEUTSCHEN SCHEREN SICH NICHT UM ACRYLAMID IN POMMES

Bei der Herstellung von Pommes fallen große Mengen von Kartoffelschalen an, die entsorgt werden. Sie lassen sich aber vielleicht auch sinnvoll nutzen.

(Foto: DPA/DPAWEB)

Kartoffeln, Spargel, Zucker und Fleisch: Bei vielen Nahrungsmitteln fallen in der Verarbeitung Reststoffe an. Bislang werden sie teuer entsorgt. Nun wollen Forscher die Abfälle nutzen - etwa um Lebensmittel gesünder zu machen.

Von Kathrin Burger

Kartoffel- und Orangenschalen, Wein- und Biertreber, Molke und sogenannter Rapskuchen - all diese und viele weitere Reststoffe fallen tonnenweise in der Lebensmittel-Industrie an. Häufig landen sie als Abfall auf der Deponie - dabei können einige von ihnen möglicherweise noch genutzt werden. Denn der vermeintliche Abfall strotzt vor Eiweiß, Ballaststoffen und bioaktiven Substanzen.

Auch in den Abwässern etwa von Fisch- oder Öl-verarbeitenden Betrieben finden sich zahlreiche Nährstoffe, die eigentlich zu schade für den Müll sind. Zumal diese Abfälle auch ein Umweltproblem sind: Organischer Abfall auf Deponien verursacht beispielsweise erhebliche Mengen des klimaschädlichen Gases Methan.

Lässt sich mit den Abfallbergen nicht auch etwas Sinnvolles anstellen? Das untersuchen in jüngster Zeit immer mehr Forscher, auch im Rahmen mehrerer EU-Projekte.

Laut dem Forschungskreis der Ernährungsindustrie fallen allein 30 Millionen Tonnen Reststoffe jährlich in der EU in der pflanzenverarbeitenden Industrie an. Weltweit die meisten Abfälle entstehen in der Kartoffel-Industrie, etwa bei der Herstellung von Tiefkühl-Pommes frites. Auch Zitrusfrüchte sind wegen der steigenden Nachfrage nach Fruchtsäften für einen Großteil der Mengen verantwortlich, gefolgt von Pressrückständen aus der Weinproduktion.

Bei der Nudelherstellung gibt es zudem Teig-Abfälle, in Mühlen Kleie-Reststoffe. Ein Problem sind auch die Abwässer aus Oliven-Mühlen - 30 Milliarden Liter fallen davon jährlich in der EU an - sowie Ölkuchen. Die Zuckerindustrie produziert Melasse; nur rund 15 Prozent der Rübe werden zu Zucker. Der Rest ist Abfall.

Lebensmittel: Werden Oliven zu Öl verarbeitet, entstehen Abwässer - und die könnten sich eines Tages zu Bioplastik verarbeiten lassen, hoffen Forscher.

Werden Oliven zu Öl verarbeitet, entstehen Abwässer - und die könnten sich eines Tages zu Bioplastik verarbeiten lassen, hoffen Forscher.

(Foto: AFP)

Auch bei der Käse-Herstellung oder am Schlachthof bleiben Stoffe zurück, Molke, Blut und Knochen zum Beispiel. In der Fleischindustrie können die Abfälle sogar die Hälfte des Lebendgewichtes eines Tieres ausmachen. Und die Abfallmengen in der Lebensmittelindustrie steigen. Schließlich wollen Verbraucher immer mehr des sogenannten "Convenience Food" haben, das sind leicht zuzubereitende, vorgefertigte Produkte. Der Markt dafür wächst jährlich um drei Prozent. Zudem möchte der Verbraucher, dass die enthaltenen Ingredienzien natürlich sind und nicht aus der Chemieküche stammen.

Warum also nicht einen Teil der Reststoffe wieder der Lebensmittelproduktion zuführen? Charis Galanakis, Biotechnologe an der Universität von Lemesos in Zypern, hat in einer Übersichtsarbeit vergangenes Jahr nachgezählt. Demnach beschäftigten sich in jüngster Zeit mehr als 5000 Forschungsarbeiten mit dem sogenannten "Upgrading von Reststoffen".

Ansetzen können die Forscher zum Beispiel beim Spargel. In seinen Resten stecken Substanzen wie Saponine, Phenole oder Ballaststoffe, die laut José María Fuentes-Alventosa, Lebensmitteltechnologe am Instituto de la Grasa in Sevilla, den Cholesterinspiegel im Blut senken könnten. "Spargelreste sind darum prädestiniert für die Entwicklung von Functional Food", sagt der Forscher.

Functional Food ist Essen mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen, dazu zählen etwa cholesterinsenkende Margarine oder mit Vitaminen angereicherter Fruchtsaft. Kürzlich hat Fuentes-Alventosa eine neue Methode vorgestellt, wie sich aus Spargelschalen und verholzten Stängeln bioaktive Substanzen herauslösen lassen. Dafür erhitzte der Wissenschaftler die Spargelreste für zwei Stunden bei 121 Grad und machte die gesuchten Stoffe so leichter zugänglich.

Um die bioaktiven Substanzen zu extrahieren, eignet sich dann zum Beispiel eine Methode namens "supercritical fluid extraction". Dabei wird mit Kohlendioxid gearbeitet, man braucht also keine giftigen Lösungsmittel wie Hexan. So lässt sich ungefähr die Hälfte des in Tomatenpulpe vorhandenen Betacarotins oder Lykopins gewinnen.

Auch Phenole aus Traubenkernen oder Oliventrester - einem Reststoff bei der Ölherstellung - sowie natürliche Pigmente kann man auf diese Weise isolieren. Wichtig bei jedem Verfahren ist, dass Eigenschaften wie das Antioxidations-Potenzial der Substanzen erhalten bleiben. "Antioxidanzien sind nicht nur gesund, sondern haben auch konservierende Eigenschaften.

Das macht sie für den Lebensmitteltechniker besonders interessant", erklärt der griechische Wissenschaftler Galanakis. So würden zugesetzte Carotinoide zum Beispiel Fruchtsäfte länger haltbar machen.

Aber schmecken muss es auch

Doch nützt auch die beste Technik nichts, wenn das Produkt hinterher nicht schmeckt, mag es auch noch so gesund sein. Deshalb laden die Forscher auch regelmäßig zu Verkostungen ein. Polnische Wissenschaftler um Urzula Gawlik-Dziki von der Universität Lublin haben kürzlich ermittelt, inwieweit sich Zwiebelschalen-Extrakte in einem Brot verwerten lassen. Bis zu drei Prozent des Weizenmehls konnte durch Zwiebelpulver ersetzt werden, ohne dass Probanden in einer Verkostung dies geschmacklich monierten.

Mittlerweile ist das Recycling von Reststoffen ein EU-weites Thema. Bis 2016 muss das organische Material in Deponien um 35 Prozent reduziert werden, dazu haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet.

Die Europäische Union fördert dazu diverse Projekte, etwa im Rahmen des "Life Programms". Bei der seit Januar laufenden "Valorlact-Initiative" im Baskenland untersuchen Wissenschaftler, wie man Molke noch effizienter weiterverwerten kann. Und das "Prospare-Projekt" hat zum Ziel, bislang ungenutzte Proteine und Fette aus der Fleischindustrie in anderen Lebensmitteln einzusetzen. Das soll nicht nur die Abfallmenge verringern, sondern auch der Gesundheit der Verbraucher zugute kommen - so ist zumindest die Hoffnung.

Doch finden die Reststoffe nicht nur in Lebensmitteln Anwendung. Manche werden in Biogasanlagen verheizt, andere, etwa Rapskuchen, landen im Futtertrog von Schweinen oder bei Fischen in Aquakulturen. Was gut verrottet, dient auch als Dünger. Abwässer aus fischverarbeitenden Anlagen düngen in Japan Reisfelder, solche aus der Olivenöl-Herstellung sollen eines Tages zu Bioplastik werden.

Sogar in Kleidung kann man Abfälle verwerten. Manche Hersteller experimentieren mit Garnen aus Krabbenschalen, Tofu- oder Maisabfällen. Anke Domaske, die Erfinderin eines Milch-Garns, fertigt ihre Kleidungsstücke aus Rohmilch, die nicht den Qualitätskriterien des Handels entspricht. Und die Kosmetik-Industrie rührt Traubenkern-Extrakte oder Aprikosenkernöl, die der Hautalterung vorbeugen sollen, in ihre Cremes. Vorteile hat das für beide Seiten: Der Hersteller muss seine Reststoffe nicht mehr teuer entsorgen, er macht damit sogar einen kleinen Gewinn. Zudem hübscht das Upgrading die Umweltbilanz auf. Und der Käufer kommt leicht an die Rohstoffe, die er für seine Mixturen braucht.

Dennoch ist vor allem die Verwendung von Reststoffen in Lebensmitteln höchst umstritten - und bislang kaum etabliert. "Man hat das Zeug früher an Rinder und Schweine verfüttert, weil es für den Menschen alles Mögliche war, nur nicht gesund", sagt der Lebensmittel-Experte Udo Pollmer. Die anfallenden Reststoffe müssten darum mit einem Gesundheitsmärchen vermarktet werden, damit der Verbraucher auf den Geschmack komme.

Der Journalist Hans-Ulrich Grimm schreibt in seinem Buch "Die Suppe lügt", dass der Mensch genauso gut Karotten, Kartoffeln oder Rote Bete essen könnte. "Das wäre womöglich genauso gesund und sogar noch preisgünstiger, da die teure Arbeitskraft der Lebensmitteltechnologen eingespart werden könnte." Selbst Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Ernährung wiederholen gebetsmühlenartig, dass Functional Food keine Garantie für eine ausgewogene Ernährung darstelle.

Trotz aller Fortschritte in der Forschung gibt es auch in der Industrie noch Vorbehalte. "Die Verbraucher könnten schnell denken, wir mischen Müll ins Essen", sagt ein Branchenkenner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Zudem können sich gerade kleine Betriebe wie Ölmühlen selten eine Anlage leisten, die das Recycling ermöglicht. "Die Technologien sind da, aber nicht für alle erschwinglich", sagt der Forscher Galanakis. Darum gibt es derzeit noch kaum ein aus Reststoffen gewonnenes Produkt zu kaufen.

Mit einer Ausnahme: Molke. Das Nebenprodukt aus der Käseherstellung findet heute nicht nur Anwendung in fast jedem Fertigprodukt - es macht zum Beispiel Tiefkühl-Torten cremig. Der Reststoff aus den Käsereien gilt auch als Renner unter den kalorienarmen Wellness-Drinks. 1970 wurden fünf Prozent der Molke zu Lebensmitteln verarbeitet, im Jahr 2000 waren es 50 Prozent. Und die Nachfrage wächst derzeit jährlich um vier Prozent.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: