Landwirtschaft:"In 20 Jahren werden wir keine Pestizide mehr brauchen"

Landwirtschaft: Manche Bakterien können Pflanzen helfen, sich gegen Schädlinge besser zu wehren

Manche Bakterien können Pflanzen helfen, sich gegen Schädlinge besser zu wehren

(Foto: Nick Sloff / Pennsylvania State University)
  • Mikroorganismen, die in und auf Pflanzen leben, können für diese sehr nützlich sein und sollen helfen, den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zu verringern.
  • Mit Hilfe spezieller Bakterien oder Pilze können bereits Pflanzen vor Krebs geschützt oder Schädlinge abgetötet werden.
  • Gesetzliche Regulierungen verhindern eine breite Anwendung von Pflanzen-Probiotika in der Praxis.

Von Kathrin Burger

Sie sitzen überall. Auf den Blättern, auf den Wurzeln und auch auf Blüten und Samen. Pflanzen beherbergen zahlreiche kleine Mitbewohner: Bakterien, Archaebakterien, Pilze und Viren. Ihre Erforschung ist derzeit in vollem Gange. Denn unter diesen Mikroorganismen gibt es nicht nur Pflanzenschädlinge, sondern mindestens genauso viele Nützlinge, die die Abwehr stärken und das Wachstum fördern. Nicht nur Menschen besitzen also ein "Mikrobiom", das ihre Gesundheit beeinflusst, sondern auch Pflanzen.

Forscher wollen dieses "Phytobiom" so verändern, dass Ackerpflanzen gegen bestimmte Krankheiten geschützt werden. Einzelne solcher "Probiotika" sind sogar schon auf dem Markt. Die große Hoffnung ist, dadurch den Einsatz von Pestiziden verringern zu können. "Mikrobielle Pflanzenschutzmittel sind einfach umweltfreundlicher und sicherer", sagt Gabriele Berg, Biotechnologin an der Universität Graz.

Bio-Pestizide: Sich die Kleinsten zu Nutze machen

Ganz neu ist das Prinzip der Bio-Pestizide aber nicht: So setzt man etwa Bacillus-thuringiensis-Präparate seit 1964 im Biolandbau gegen diverse Insekten wie zum Beispiel den Kartoffelkäfer ein. Bacillus thuringiensis ist ein Bodenbakterium. Werden die Mikroben von den Käferlarven aufgenommen, schädigen sie deren Darm und töten sie. Aber erst durch neue Technologien ist es möglich, den Mikrobenreichtum in Pflanzen und Böden sichtbar zu machen und die Funktionen der Kleinstlebewesen nach und nach aufzuschlüsseln.

So weiß man, dass Pflanzen etwa 20 Prozent ihrer Kohlenhydrate an die wuselige Wohngemeinschaft im Boden abgeben. Im Gegenzug sondern Bakterien und Pilze antibiotisch wirksame Stoffe ab, die Schädlinge abtöten. Außerdem verändern sie die Genaktivität von Pflanzenzellen, was unter anderem die Abwehrkräfte steigern kann. Berg hat beispielsweise herausgefunden, dass Bodenbakterien, die Kohlpflanzen besiedeln, gegen Nematoden und den Schadpilz Verticillium longisporum vorgehen. Der Clou dabei: Diese Bakterien, wie etwa Serratia plymuthica, bilden zudem aus Inhaltsstoffen im Kohl Aromastoffe, die womöglich gegen Krebs feien. Würde man Kohlpflanzen also gezielt mit solchen Bakterien "beimpfen", könnte die Pflanze möglicherweise Schädlinge besser abwehren und zusätzlich auch noch der Gesundheit des Menschen dienen.

Ziemlich gut erforscht ist auch die Bakteriengattung Pseudomonas, die verschiedene Breitband-Antibiotika produziert. Alexandre Jousset, Mikrobiologe an der Universität Utrecht, verfolgt aber noch eine andere Idee: Er sucht Pseudomonaden, die besonders viel fressen und dadurch das Nahrungsangebot für Krankheitserreger schmälern, sodass diese nicht wachsen können. Er will herausfinden, welche Mischung dieser Bakterien am effektivsten gegen Wurzelschädlinge wirkt. Jousset erforscht außerdem verschiedene Viren-Stämme, die etwa den Schleimfäule-Erreger bei Tomaten abtöten. "In 20 Jahren werden wir keine Pestizide mehr brauchen", prophezeit er.

Mikroben als Wunderwaffe

Als nützlich haben sich auch Bodenpilze erwiesen. Franz Lang, Molekularbiologe an der Université de Montréal, untersucht derzeit Pilze der Abteilung Ascomycota, die sich in den Wurzeln von Cranberry-Büschen tummeln: "Sie stimulieren das Pflanzenwachstum und gehen sehr effizient gegen Pilzpathogene vor." Der Cranberry-Anbau in den USA ist besonders Pestizid-intensiv. "Die Pflanzen müssen bis zu zwölf Mal im Jahr mit verschiedenen Fungiziden behandelt werden", sagt Lang.

Doch die Mikroben können noch mehr: In den Wurzeln sitzende Arten schleusen Phosphat und Stickstoff aus dem Boden in die Pflanze - zwei Substanzen, die unabdinglich für das Wachstum sind und die oft als synthetischer Dünger vom Landwirt zugegeben werden. Knöllchenbakterien binden etwa Stickstoff aus der Luft und düngen damit Hülsenfrüchte. Zudem können Bodenmikroben Pflanzenhormone bilden und so das Wachstum verstärken.

Viele der nützlichen Mikroben kommen im Boden bereits vor - man muss sie nur aktivieren

Andere Pilze machen Pflanzen widerstandsfähig gegen Hitze und Dürre. Mit ihrem weit verzweigten Netzwerk aus Hyphen können die Pilze Wasser aus tieferen Bodenschichten nach oben leiten. Viele molekulare Mechanismen dahinter sind jedoch bislang unklar. Mehr Forschung über die Ökologie von Bodenmikroben ist dringend nötig", meint Jousset. "Wir wissen etwa sehr gut, durch welche Mechanismen Mikroorganismen Pflanzen schützen, aber fast nichts über Parameter, die den Erfolg von Bakterien im Boden bestimmen." Oft sind Forschungsergebnisse dann mit anderen Sorten, zu einer anderen Jahreszeit oder an anderen Standorten nicht reproduzierbar. Das verhindert bislang, dass die Produkte in großem Stil in die Praxis gelangen.

Kopfzerbrechen bereitet den Forschern auch die Gesetzgebung. Derzeit gibt es nämlich viele verschiedene Richtlinien, je nachdem, ob es sich um ein Pflanzenschutz-, ein Dünge-, oder ein Stärkungsmittel handelt. "Und es wird an neuen Richtlinien gearbeitet, die eher neue Hürden für innovative Produkte errichten", beklagt Berg. Es wird auch viel mit gentechnisch veränderten Mikroben geforscht, Anwendungen daraus sind aber noch nicht auf dem Markt. "In der Praxis wären die Regulierungen aber unmöglich zu überwinden", ist Jousset überzeugt.

Auch ohne Probiotika können Bauern die Biodiversität der Mikroorganismen, die Bodenfruchtbarkeit und damit die Fitness der Ackerpflanzen erhöhen. "Fruchtfolge" heißt das altbewährte Prinzip. Ein Schlaraffenland für die hilfreichen Pflanzenmikroben entsteht auch, wenn Bauern den Boden nach der Ernte nicht bearbeiten und die neuen Pflanzen auf die Überreste der Vorgänger säen. Auf Pestizide und Dünger zu verzichten, fördert die nützlichen Kleinstlebewesen ebenfalls. "Wir brauchen in der Zukunft eine Kombination von schonenden Anbaumethoden plus spezifischen Pflanzen-Probiotika", sagt die Grazer Wissenschaftlerin Berg. "Denn die reduzierte mikrobielle Diversität in unseren landwirtschaftlichen Ökosystemen ist der Grund für zahlreiche Umweltschäden und Gesundheitsprobleme wie Antibiotikaresistenzen und Immunkrankheiten."

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