Laborexerpimente:Plastikgefäße verfälschen Forschungsdaten

Lesezeit: 2 min

Reagenzgefäße aus Plastik sind für Wissenschaftler unverzichtbar. Doch sie sondern Substanzen ab, die die Versuche stören.

Hanno Charisius

Im Oktober 2006 begannen die Ergebnisse des Forscherteams um Andrew Holt merkwürdig zu werden. Die Pharmakologen von der University of Alberta in Kanada arbeiten auf dem Gebiet der Nervenkrankheit Parkinson. Sie wollten den Effekt der Chemikalie Ammoniumchlorid auf ein Enzym testen, das bei einer neuen Therapie von Parkinson eine Rolle spielen könnte.

Die kleinen Reagenzgläser gehören zur Standardausrüstung wissenschaftlicher Labors. (Foto: Foto: dpa)

Die Forscher verdünnten die Chemikalie auf 15 verschiedene Konzentrationen; dann bestimmten sie, wie stark diese Mengen das Enzym noch hemmten. Zu ihrer Überraschung war die Hemmwirkung der Ammoniumchloridlösung auch in ihrer geringsten Konzentrationsstufe noch deutlich.

Zwar war in dieser Verdünnung noch mehr Wirkstoff enthalten als in den meisten homöopathischen Medikamenten, doch war es eindeutig zu wenig, um solch eine Reaktion zu bewirken.

Nach zwei Jahren Ursachensuche wurde den Forschern klar, was passiert ist. Am heutigen Freitag veröffentlichen sie das Ergebnis im Fachjournal Science (Bd.322, S.917, 2008): Schuld waren die Plastikgefäße, in denen die Versuche angesetzt wurden. Sie sondern Substanzen ab, die die Reaktionsgemische stören können.

Wahrscheinlich wurden Tausende Experimente beeinträchtigt

Ein solcher Patzer wäre noch keine Veröffentlichung wert, wenn diese fingerhutgroßen Töpfchen aus dem Kunststoff Propylen nicht in praktisch jedem biomedizinischen Labor der Welt in Gebrauch wären. Die meisten molekularbiologischen Experimente finden heute in solchen Reaktionsgefäßen statt, die nur anderthalb Milliliter oder noch weniger Flüssigkeit fassen.

Wahrscheinlich seien Experimente von Tausenden Forschern an Hochschulen und in der Industrie durch Chemikalien aus dem Plastik beeinträchtigt worden, sagt Andrew Holt, "mit dem Ergebnis, dass Zeit und Geld verschwendet wurden".

Bei ihren Analysen fanden die Kanadier ein keimtötendes Desinfektionsmittel und ein Trennmittel, das bei der Herstellung des Roh-Propylens für die Röhrchen notwendig ist. Sie untersuchten 15 Reaktionsgefäße von verschiedenen Herstellern und auch anderes Labormaterial, das mit Flüssigkeiten in Kontakt kommt.

Praktisch in jeder Probe wurden sie fündig. Möglicherweise seien daher in vielen Experimenten falsche Schlussfolgerungen aus den Versuchsdaten gezogen worden, so das Team.

Die Hersteller sind sich dieses Problems bewusst. Der weltweit führende Produzent, die Hamburger Eppendorf AG, nach der die Gefäße in Labors auch liebevoll "Eppis" genannt werden, schreibt dazu in einer Stellungnahme: "Prinzipiell werden alle empfindlichen Versuchsansätze durch das Material der Gefäße beeinflusst."

Dies sei gängiges Wissen unter Forschern, die in solch sensiblen Bereichen arbeiten. Man versuche jedoch, diese Interferenzen so gering wie möglich zu halten. Untersuchungen wie die von Andrew Holt, der dieses Problem erstmals systematisch angegangen ist, seien dabei sehr hilfreich.

Ein anderes deutsches Unternehmen, das namentlich nicht genannt werden will, betont, es versuche, so reines Propylen wie möglich zu kaufen; die Lieferanten würden jedoch nicht immer alle Inhaltsstoffe deklarieren, die sie während der Herstellung des Kunststoffs einsetzen.

Aus diesen Lieferungen würden billige Massenprodukte für Aufgaben hergestellt, bei denen es nicht auf besondere Reinheit ankomme. Für medizinische Standardtests dürfen hingegen nur zertifizierte Röhrchen mit konstanter Qualität verwendet werden. Insofern betrifft das Problem nicht die Diagnoselabors. Forschern, die empfindliche Versuche ansetzen und keine zertifizierten Gefäße haben, legt Holt einen Extra-Waschgang ans Herz. Der Effekt halte nicht lange an, aber etwas anderes könne man im Moment nicht tun.

© SZ vom 07.11.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: