Kryptologie:Geheimnis vom Geheimdienst

Dieser Stoff gefällt Dan Brown: Vor der Haustür der CIA steht eine Skulptur mit einem der größten Rätsel der Welt. Weder Geheimdienstler noch Hobby-Codeknacker konnten es bisher lösen.

W. Blum

Der amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) sollte eigentlich kein Geheimnis verborgen bleiben. Doch ausgerechnet vor dem eigenen Hauptquartier in Langley ist eine Nachricht verborgen, die nicht einmal die besten Verschlüsselungsexperten des Dienstes decodieren können. Vor fast 20 Jahren hat der Bildhauer James Sanborn die Skulptur "Kryptos" erstellt, in die er einen verschlüsselten Text eingearbeitet hat. Obwohl täglich Scharen von Geheimdienstlern daran vorbeigehen und die ehrgeizigsten Kryptologen der Welt sich schon an der Entschlüsselung versucht haben, bleibt die Nachricht bis heute geheim.

Krypto in Langley

Bislang ist nur ein Teil entschlüsselt: "Kryptos" auf dem CIA-Gelände.

(Foto: Foto: oH)

Der Name des Kunstwerks leitet sich von dem altgriechischen Wort für unsichtbar oder verborgen ab. Es besteht aus rotem Granit, rotem und grünem Schiefer, weißem Quarz, versteinertem Holz, Magneteisenerz und Kupfer. Das Herzstück ist eine S-förmige Wand aus Kupfer, aus der die Buchstaben des verschlüsselten Textes herausgestanzt wurden. Sie erinnert an ein Stück Papier, das ein Computerdrucker ausspuckt. Hinweise zur Entschlüsselung des Textes finden sich in Codes auf verschiedenen Teilen der Skulptur auf dem CIA-Gelände.

In wenigen Wochen wird das Scheitern der CIA mit dem hauseigenen Geheimcode vermutlich sehr populär werden. Ankündigungen zufolge spielt Kryptos eine zentrale Rolle im neuen Roman des Bestsellerautors Dan Brown, der demnächst unter dem Titel "Das verlorene Symbol" erscheinen wird.

Die verschlüsselte Botschaft auf Kryptos besteht aus 865 Buchstaben, die mit "EMUFPHZLRF" beginnen und als "UAUEKCAR" enden. Der Text ist in vier Teile gegliedert, die mit unterschiedlichen Methoden chiffriert sind. Zwar ist das Original auf dem CIA-Gelände den meisten Menschen unzugänglich. Doch es existieren Abschriften und Fotos.

Vor zehn Jahren meldete der kalifornische Informatiker James Gillogly bereits, er habe die ersten drei Abschnitte mit dem Computer geknackt. Daraufhin gab die CIA bekannt, ihr Mitarbeiter David Stein habe die gleichen Textteile, bestehend aus 768 Buchstaben bereits ein Jahr zuvor entschlüsselt. Stein opferte unzählige Mittagspausen und arbeitete 400 Stunden an der Lösung. Doch die verbleibenden 97 Zeichen haben es in sich: Deren Inhalt ist bis heute ein Rätsel.

Kryptos gehört längst zu den wichtigsten noch nicht geknackten Codes der Welt. Jedes kleine Detail der Skulptur wurde genauestens untersucht, alle erdenklichen Methoden zur Entzifferung angewandt, Tausende Stunden Computerrechenzeit verbraucht. In Internetgruppen diskutieren weltweit Tausende Interessierte über das Geheimnis, vom Quantenphysiker bis zum Astrologen. Alles vergebens.

Der Künstler amüsiert sich. Er habe damit gerechnet, sagt James Sanborn, dass seine Botschaft in wenigen Monaten entschlüsselt sei. Der Bildhauer weigert sich strikt, die Lösung preiszugeben. Sein Kunstwerk verliere an Reiz, wenn das Geheimnis gelüftet sei: "Manche nennen mich einen Satan, weil ich nicht bereit bin, die Lösung zu verraten."

Was bisher entschlüsselt wurde, lesen Sie auf Seite 2

"Irgendwo da draußen vergraben"

Der ersten beiden der vier Textabschnitte sind mit der sogenannten Vigenère-Verschlüsselung kodiert, die auf den französischen Diplomaten Blaise de Vigenère (1523 bis 1596) zurückgeht. Dabei werden die Buchstaben des Codeworts jeweils um einige Stellen im Alphabet verschoben. Um wie viele Stellen, das besagen jeweils Schlüsselwörter, die bei Kryptos an verschiedenen Stellen zu finden sind. Ein A im Schlüsselwort heißt, der betreffende Buchstabe im Text bleibt erhalten. Bei einem B wird er im Alphabet um eine Stelle nach hinten verschoben. AUTO mit dem Schlüsselwort ABCD ergibt chiffriert AVVR.

Die Schlüsselwörter des ersten Teils des Kryptos-Codes lauten "KRYPTOS" und "PALIMPSEST". Letzteres ist der Fachbegriff für eine antike oder mittelalterliche Manuskriptseite, die abgewaschen und neu beschrieben wurde. Für den zweiten Teil lauten sie "KRYPTOS" und "ABSCISSA". Mit Abscissa wird die x-Achse in einem Koordinatensystem bezeichnet. Um die Schlüsselwörter herauszufinden, untersuchten sowohl Gillogly als auch Stein mit statistischen Verfahren, wie häufig die einzelnen Buchstaben in dem verschlüsselten Text auftreten.

Der bisher entschlüsselte Text stammt von Sanborn, klingt poetisch und rätselhaft und enthält möglicherweise noch unverstandene Hinweise. So steht an einer Stelle im zweiten Abschnitt: "Weiß Langley davon? Sie sollten. Es ist irgendwo da draußen vergraben." Danach werden Koordinaten eines Ortes angegeben, der sich gut 100 Meter südlich der Skulptur befindet.

Allerdings wurde dort nichts Besonderes gefunden. Unmittelbar vor der Ortsangabe heißt es im Text: "Wer kennt den genauen Standort? Nur WW." WW bezieht sich vermutlich auf den früheren CIA-Chef William Webster, der von Sanborn verlangt hatte, ihm die Lösung des Rätsels in einem versiegelten Umschlag zu überreichen. Zudem tritt in jedem der beiden Abschnitte jeweils ein Tippfehler auf, was nach Aussage des Künstlers beabsichtigt ist. Deren Bedeutung ist jedoch unklar.

Der dritte Abschnitt benutzt eine erheblich kompliziertere Verschlüsselung, die sich nur mit ausgeklügelter Mathematik knacken lässt. Der dechiffrierte Text stammt von dem britischen Archäologen Howard Carter (1874 bis 1939), der beschreibt, wie er 1922 das Grab von Tutanchamun entdeckt. Auch in diesem Teil findet sich wieder ein Druckfehler. Der letzte Satz lautet: "Kannst du irgendetwas sehen?" Im Original antwortet Carter: "Ja, wundervolle Dinge." Auch das könnte ein Hinweis zur Dekodierung des vierten und letzten Abschnittes sein.

An dieser Aufgabe tüfteln die Experten weltweit nach allen Regeln der Kunst. Da die Botschaft nur aus 97 Buchstaben besteht, ist es schwierig, Regelmäßigkeiten oder Muster aufzuspüren. Sanborn hat sich, bevor er Kryptos anfertigte, von einem ehemaligen CIA-Mitarbeiter in Kryptographie unterrichten lassen und dem früheren Direktor William Webster bei der Einweihung einen versiegelten Umschlag überreicht. Den vollständig dechiffrierten Text kenne dennoch außer ihm niemand, beteuert der Bildhauer. Er habe Webster beschummelt und ihm nur einen Teil der Lösung gegeben.

Sogar er selbst habe den vierten Abschnitt inzwischen vergessen: "Ich habe mir den Klartext lange Zeit nicht mehr angesehen, und ich habe ein schlechtes Gedächtnis." Allerdings hätte er ihn an einem sicheren Ort versteckt, so dass er jederzeit prüfen könne, wenn jemand eines Tages behaupten sollte, den Code geknackt zu haben.

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