Krebspatienten:Überleben als Frage der Geographie

Die Chancen von Patienten, die ersten fünf Jahre mit Krebs zu überleben, sind weltweit unterschiedlich. Doch die Ländervergleiche weisen Mängel auf.

Werner Bartens

Wer Angst vor Krebs hat, sollte vielleicht seine Koffer packen und in die USA, nach Frankreich, Japan oder Skandinavien auswandern.

Krebspatienten: Brustkrebs-Screening: Frauen, bei denen Brustkrebs im Frühstadium festgestellt wurde, haben in den USA eine Chance von 84 Prozent, nach fünf Jahren noch zu leben.

Brustkrebs-Screening: Frauen, bei denen Brustkrebs im Frühstadium festgestellt wurde, haben in den USA eine Chance von 84 Prozent, nach fünf Jahren noch zu leben.

(Foto: Foto: ddp)

In diesen Ländern ist die Chance, die ersten fünf Jahre mit Krebs zu überleben, höher als in Deutschland. Das zeigt die Untersuchung von zwei Millionen Erwachsenen in 31 Ländern, die im Fachblatt Lancet Oncology (online) veröffentlicht wurde. Für die Mammut-Studie wurden weltweit Krebsregister ausgewertet.

Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zwischen den Ländern beeindruckend. So haben Frauen, bei denen Brustkrebs im Frühstadium festgestellt wurde, in den USA eine Chance von 84 Prozent, nach fünf Jahren noch zu leben. Deutschland liegt mit einer Überlebensrate von 76 Prozent nur auf Platz 14 und damit im Mittelfeld. Den letzten Platz nimmt Algerien mit einer Überlebenschance von nur 39 Prozent ein.

Mit Dick- und Enddarmkrebs ist die Chance, länger zu überleben, für Frauen in Frankreich mit 62 Prozent am größten. Hier liegt Deutschland mit einer Überlebenschance von 56 Prozent nach fünf Jahren auf Platz elf.

Für Männer mit diesem Tumor sind die Aussichten in Japan (61 Prozent) am besten. Deutschland liegt mit einer Rate von 52 Prozent auf Platz13. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate für Männer mit Prostatakrebs liegt in Deutschland bei 76 Prozent - Platz fünf nach den USA (92 Prozent), Österreich, Kanada und Australien. Algerien, einziges Land Afrikas in der Studie, liegt bei allen Krebsarten auf dem letzten Platz.

"Ein Teil der Unterschiede geht wahrscheinlich auf mangelnde Investitionen in Gesundheit zurück", sagt Michel Coleman von der Universität London, der die Studie geleitet hat.

Die Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern könnte das erklären. Um solche Schlüsse auch für reichere Nationen gelten zu lassen, hat die Studie aber zu viele Schwächen. Sie taugt hingegen dazu, Unterschiede innerhalb der Länder zu offenbaren. So sind die Überlebensraten für Schwarze in den USA deutlich schlechter als für Weiße. Landesweit sind die Aussichten in New York am geringsten, Krebs länger zu überleben. In der Schweiz leben Frauen mit Brustkrebs in Genf und Basel länger als in Graubünden oder Appenzell.

Ein Mangel besteht zudem darin, dass die Daten nicht die aktuelle Situation widerspiegeln. Die Krebskranken wurden von 1990 bis 1994 diagnostiziert und bis 1999 beobachtet. Die Daten sind in mehr als der Hälfte der Länder äußerst lückenhaft - so wurden aus Deutschland nur Ergebnisse des Saarland-Krebsregisters berücksichtigt, das lediglich 1,3 Prozent der Bevölkerung repräsentiert. Trotz einiger regionaler Fortschritte gibt es bis heute kein bundesweites Krebsregister.

Deutschland nur im Mittelfeld

Die Daten lassen viele Fehlschlüsse zu, weil ausschließlich Patienten mit Krebsformen untersucht wurden, für die es Früherkennungstests gibt. Die unterschiedliche Verbreitung von Reihenuntersuchungen kann die Überlebensrate stark verfälschen, weil durch intensivere Früherkennung auch Krebs-Fälle erfasst werden, von denen die Betroffenen zeitlebens nie etwas bemerkt hätten.

Erst vergangenes Jahr hatten Mediziner - ebenfalls im Fachblatt Lancet Oncology - berichtet, dass Krebskranke in den USA länger leben. Gerhard Ehninger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, warnt jedoch davor, eine Überlegenheit der US-Medizin daraus abzuleiten.

"Wenn man fortgeschrittenen, unheilbaren Krebs zwei Jahre früher erkennt, überlebt man ihn statistisch gesehen zwar auch zwei Jahre länger", sagt der Krebsexperte. "Man stirbt aber trotzdem nicht später." Solche Diagnosen hätten oft keine therapeutischen Konsequenzen und würden nur dazu führen, dass Patienten früher von ihrem Schicksal wüssten.

Dass die Unterschiede so groß sind, wie man aus den Studien schließen könnte, bezweifelt auch Alexander Katilinic, Sprecher der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland. "Durch vermehrte Früherkennung, etwa von Prostatakrebs, werden womöglich auch Tumore eingeschlossen, die bei Lebzeiten nicht entdeckt würden und die, wenn sie doch entdeckt werden, eine ausgezeichnete Prognose haben", sagt Katalinic. "Da werden Gesunde zu Krebspatienten gemacht."

In der Statistik gaukeln sie eine bessere Überlebensrate vor. In Europa ist die Bereitschaft zur Früherkennung geringer ausgeprägt als in den USA. Entsprechend fällt der Vergleich der Fünf-Jahres-Überlebensraten zumeist zugunsten Amerikas aus, ohne dass dies für die Patienten unbedingt einen Vorteil bedeuten würde.

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