Krähen im Porträt:Seht, das Wilde ist so nah!

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"Krähen. Ein Portrait" von Cord Riechelmann und Judith Schalansky ist im Verlag Matthes & Seitz erschienen. (Foto: Verlag Matthes & Seitz)

Krächzende Rabenvögel in edler Aufmachung: Mit einem Porträt der Krähen ist ein weiteres Buch über wilde Tiere in der Stadt erschienen. Es kündet einmal mehr von der Sehnsucht nach dem paradiesischen Zusammenleben der Kreaturen.

Von Burkhard Müller

Krähen hatten lange kein gutes Image. Unheimlich erschienen sie, vage bedrohlich, eine am besten auszurottende Pest in der Welt des jagdbaren Wildes. Noch das Charmanteste, was der Volksmund von ihnen zu sagen wusste, war, dass sie einander kein Auge aushacken.

Nach Josef H. Reicholf, dessen Band "Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können" bereits 2009 erschienen ist, hat nun auch Cord Riechelmann den Krähen ein Buch gewidmet. Allenthalben wird die Schönheit dieses "Portraits", so der Untertitel, gelobt, das tastbar geprägte Bild des Vogels auf der Vorderseite, der schwarze Kopfschnitt, die herrlichen Illustrationen - gemeint ist offenbar die Schönheit des Protagonisten, die bislang verborgen war und für die wir erst jetzt ein Auge haben.

Und die Krähen bilden nur die Vorhut. Allenthalben nimmt das geneigte Interesse für jene Tiere zu, die in unserer Nähe leben, uns dabei aber weder gehören noch nützlich sind. Gleichfalls von Cord Riechelmann stammt der Band "Wilde Tiere in der Großstadt", Bernhard Kegel zog dieses Jahr nach mit "Tiere in der Stadt", ein Fuchs ziert den Umschlag. Der Fuchs ist das zweite emblematische Tier dieser erstaunlichen Umwertung eines altverdächtigen, ja dämonischen Begleiters der Menschheit seit ihren Anfängen.

Dass der Fuchs, der den Menschen noch mehr zu scheuen pflegte als dieser ihn, plötzlich so zutraulich geworden ist, dass er sich bei Tageslicht auf Kinderspielplätzen blicken lässt, wird nicht mit Unwillen, sondern als freudige Überraschung wahrgenommen. Und wenn es dann noch zu einer Balgerei zwischen ihm und den Krähen kommt, denen er ein Jungtier wegzuschnappen versucht, so ist das geradezu ein Sandkastenidyll, wie wenn die lieben Kleinen sich gegenseitig die Plastikschippe auf den Kopf hauen. Seht, das Wilde ist so nah! Und es hat aufgehört, sich vor uns zu fürchten. Krähen taten das übrigens noch nie, denn sie können schließlich fliegen.

Zusammen halten sie, Krähe und Fuchs, den Wappenschild eines neuen Tierbildes empor. Dieses Tier ist vielleicht nicht ganz unser Bruder, aber doch unser Nachbar, der friedlich in unserer Nähe wohnt und mit dem wir zwar keine Intimitäten austauschen, aber doch einen Gruß über den Gartenzaun.

Jede neue Spezies, die sich in der Stadt blicken lässt, gilt als willkommene Erweiterung des Bestandes; und selbst die Berliner Wildsau, die den Vorgarten verwüstet, erwartet eine vorwiegend heitere Berichterstattung statt des Rufs nach Abschuss, der früher unvermeidlich gewesen wäre.

Unverkennbar kehren hier alte Vorstellungen vom Paradies zurück, jenem Zustand, wo das Lamm und der Löwe, von Natur geschworene Feinde, im Licht einer besseren und höheren Natur zueinanderfinden und sich gemeinsam niederlegen. Die Rolle des Löwen selbst, das haben wir inzwischen kapiert, nimmt nicht mehr der Löwe ein: Wir sind das Raubtier und der Löwe geradezu das Lamm, wenn er uns in die Quere kommt. Eine angenehme Einsicht ist das nicht. Gern lässt sich da auf das exemplarische Gegenteil verweisen, auf jene paar Tiere, die sich freiwillig und ohne Angst in unseren Umkreis begeben haben.

Diese Genugtuung spenden die eigentlichen Haustiere nicht; dazu sind sie längst viel zu sehr Teil der Hausgemeinschaft geworden. Aus der beglückenden Dialektik von nah und fern sind sie plump herausgefallen, all diese treuen Hunde und berechnenden Katzen.

Den übrigen Tieren aber geht es richtig schlecht. Den scheuen unter den wilden (der Mehrzahl also) bleibt bei der immer zunehmenden menschlichen Beanspruchung des Erdballs kaum noch Luft zum Atmen und kaum ein Winkel mehr, um ihre Jungen großzuziehen; und die Nutztiere, immer größere Massen von ihnen, verschwinden in Aufzucht- und Tötungsmaschinen, ohne dass wir das spottwohlfeile Schnitzel auf unserem Teller je hätten atmen sehen und schreien hören müssen.

Ein Rotkehlchen, das laut vor dem Fenster singt, rührt deswegen so sehr, weil es uns für seine zwei unsichtbaren Kollegen zu entschädigen hat: den Wachtelkönig, dessen letzte Feuchthabitate gerade vernichtet werden; und das Hähnchen, insofern es ein Wesen wäre, welches gackert und Federn trägt.

Solch eine Geisteshaltung und Seelenlage gab es schon einmal in der Geschichte, und zwar im römischen Kaiserreich bezüglich der Sklaven. Auch hier unterschied man, zwar nicht prinzipiell, aber praktisch desto gründlicher, zwischen den zur Vernutzung bestimmten Bergwerks- und Galeerensklaven einerseits, den Haussklaven andererseits, die mehr oder weniger als Familienmitglieder galten. Sklaven sind es? ruft Seneca aus - Nein! Vielmehr (und auf dieses Vielmehr ist man nun wirklich gespannt) - Freunde! Von ihrer Freilassung ist dabei nicht die Rede.

Der rhetorische Affekt beleuchtet scharf die Grenzen des antiken Humanismus, der an die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft dann lieber doch nicht heran will. Mit unserem neuen Animalismus dürfte es ähnlich stehen. Kein Zweifel, grundiert von Sentimentalität, bringt er dabei doch unsere bessere Seite zum Vorschein. Allerdings hilft er in gleichem Maße mit, unsere schlechtere vor uns selbst zu verbergen.

Das Buch: "Krähen. Ein Portrait" von Cord Riechelmann und Judith Schalansky ist im Verlag Matthes & Seitz erschienen.

© SZ vom 25.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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