Konfliktforschung:Mehr Gewalt durch den Klimawandel

Frauen auf der Flucht vor einem Sandsturm in Timbuktu, Mali

Aus Timbuktu in Mali wollen viele Menschen nur noch weg. Die Stadt war jüngst nicht nur Kriegsschauplatz, sie liegt auch am Rande der Sahara, so dass Sandstürme durch den Ort fegen. Der Klimawandel dürfte die Wüste wachsen lassen, vielen Bewohnern endgültig die Lebensgrundlage rauben und womöglich die Konflikte in der Region verschärfen.

(Foto: Joe Penney/Reuters)

Wenn sich die Erde erwärmt und der gewohnte Regen ausbleibt, könnte das Sozialwissenschaftlern zufolge Aggressionen steigern und Konflikte auslösen. Kalifornische Forscher haben nun berechnet, wie stark das Risiko steigt. Ihre Ergebnisse sind allerdings nicht unumstritten.

Von Christopher Schrader

Die Designer der Grenzanlage zwischen Mexiko und den USA haben viel von den Planern der Berliner Mauer gelernt. Automatisierte Maschinengewehre, Bewegungsmelder, ein Graben voll mit Minen, Zäune, Stacheldraht - alles einige Nummern größer als damals zwischen Mitte und Kreuzberg. Doch diesmal richtet sich das Sperrwerk nicht gegen die, die raus wollen, um Freiheit zu finden, sondern gegen die, die rein wollen, um zu überleben.

Im Jahr 2029, in dem der kanadische Sachbuchautor Gwynne Dyer im Buch "Schlachtfeld Erde" das Szenario ansiedelt, haben Zig Millionen Menschen in Mexiko und Zentralamerika wegen des Klimawandels keine Chance mehr, auf ihren Feldern einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Sie hungern, doch das reiche Amerika sperrt sie aus. Sogar Ex-Präsident George W. Bush, der einst den Klimawandel leugnete, ruft nun sein Land auf, eine friedliche Lösung für den Konflikt zu finden, anstatt auf Flüchtlinge zu schießen.

Die mögliche Zunahme von Krieg und Gewalt durch den Klimawandel hat neben Autoren wie dem Militärhistoriker Dyer schon viele Sozialwissenschaftler beschäftigt. Fachblätter wie das Journal of Peace Research widmen dem Thema ganze Sonderausgaben. Wie kaum anders zu erwarten, haben die empirischen Befunde bisher nicht eindeutig belegt, ob zunehmende Wärme oder ausbleibender Regen tatsächlich zu Gewalt führen werden.

Generalstäbe und Geheimdienste bereiten sich auf Klimaflüchtlinge vor

Das will eine neue Studie ändern. "Große Abweichungen von normalen Niederschlägen und milden Temperaturen steigern das Risiko für viele Arten von Konflikten systematisch", schreiben Solomon Hsiang und zwei Kollegen von der Universität Berkeley in Science (online). Es handele sich nicht um bloße Korrellationen, bei denen sich die Größen im Gleichklang ändern, sondern um kausale Zusammenhänge. "In der ausufernden Literatur zu dem Thema gibt es weitaus mehr Übereinstimmung, als bisher erkannt worden ist."

Die Autoren quantifizieren das Risiko sogar als Ergebnis einer statistischen Berechnung. Die bis 2050 erwarteten Klimaveränderungen könnten die Häufigkeit von Gewalt zwischen einzelnen Menschen um acht bis 16 Prozent ansteigen lassen und Konflikte zwischen Gruppen sogar um 28 bis 56 Prozent. Grundlage dieser Berechnung ist die Erwartung, dass innerhalb der kommenden Jahrzehnte die heutigen Extremfälle hoher Temperaturen und mangelnden Regens zur Norm werden.

Sechzig nach ihrer Ansicht solide Studien haben die Autoren aus der Literatur ausgewählt und zusammengefasst; Meta-Analyse nennt man das in der Forschung. Die einzelnen Aufsätze untersuchen zum Beispiel, ob bei höheren Temperaturen mehr gehupt wird oder ob sich Spieler in Baseball-Matches ruppiger behandeln. Aber es geht auf der persönlichen Ebene auch um Vergewaltigungen und Morde und bei der Gewalt zwischen Gruppen um Unruhen zwischen Hindus und Moslems in Indien, Streitigkeiten um Land in Brasilien und Bürgerkriege in Afrika. Wo die Originalstudien ihre Daten nicht gut genug ausgewertet haben, holen Hsiang und seine Kollegen das nach und kehren dabei sogar gelegentlich die Aussagen der ursprünglichen Veröffentlichung um.

Bei den Gründen, warum veränderte Klimabedingungen Gewalt fördern, bleiben Hsiang und seine Kollegen hingegen eher auf der Ebene der Spekulation stehen. Plausibel sei es zum Beispiel anzunehmen, dass Hitze aggressiver mache und das Urteilsvermögen einschränke. Die Konflikte zwischen Gruppen könnten ausbrechen, weil Klimawandel die ökonomische Basis vieler Menschen bedroht, die sich dann nur noch mit Gewalt zu helfen wissen. Auch könnten Ungleichheiten entstehen, die den gewohnten Rahmen sprengen. Zugleich dürfte die Macht staatlicher Institutionen bröckeln.

Flüchtlinge können große Konflikte auslösen

Internationale Organisationen bis zum Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben bereits ähnliche Bedrohungen identifiziert. Besonders die Zahl der Flüchtlinge könnte große Konflikte auslösen. Schätzungen der UN sprechen von 150 bis 200 Millionen Menschen, die im Jahr 2050 vor Klimaveränderungen fliehen, andere Organisationen nennen ähnliche Zahlen. Darum stellen sich vielerorts Generalstäbe und Geheimdienste darauf ein, dass der Klimawandel die nationale Sicherheit bedroht.

"Dass ein verändertes Klima Konflikte provozieren könnte, ist nicht gerade bahnbrechend neu, denn der Mensch konkurriert zunehmend um natürliche Ressourcen, deren Bereitstellung durch den Klimawandel stark beeinträchtigt werden kann", sagt Jürgen Kropp vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. "Wichtig und gut ist aber, dass die Autoren der neuen Studie so viele Daten zusammengetragen und mit einem gemeinsamen statistischen Verfahren analysiert haben."

US-Grenzpatrouille an der mexikanischen Grenze

US-Grenzpatrouille an der mexikanischen Grenze. Werden in Zukunft Millionen Menschen in Mexiko und Zentralamerika wegen des Klimawandels hungern - und in die USA drängen?

(Foto: AFP)

Dennoch ist zweifelhaft, ob Hsiangs Versuch gelungen ist, einen Konsens zu finden. "Es ist noch zu früh, nach Einigkeit in dem Forschungsfeld zu suchen", sagt Ole Magnus Theisen vom norwegischen Friedensforschungsinstitut Prio. "Vermutlich spielen an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten jeweils andere Mechanismen eine Rolle bei der Entstehung von Gewalt." Hsiang und seine Kollegen nennen Theisen als Beispiel für einen Autor, dessen These sie umgedreht haben; er ist auch damit nicht einverstanden.

"Die Autoren haben die Kontroverse in der Wissenschaft nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht", sagt auch Jürgen Scheffran vom Klima-Campus an der Universität Hamburg. Hsiangs Team habe Literatur, die zu anderen Ergebnissen kommt als die von ihnen ausgewählte, nicht ausreichend berücksichtigt. Als Beispiel nennt Scheffran eine eigene Meta-Analyse aus dem Jahr 2012, die sich mit dem Zusammenhang von Klimawandel und Gewaltkonflikten beschäftigt hatte. Darin hatten 16 Studien einen statistisch bedeutsamen Zusammenhang gefunden, also die Mehrheit. "Von den andern elf aber haben Hsiang und seine Kollegen mehr als die Hälfte nicht in die Analyse einbezogen."

"Ich warne doch auch vor der Möglichkeit, dass der Klimawandel die Konflikte anheizen könnte", sagt Scheffran. "Aber nur die ganze Bandbreite wissenschaftlicher Ergebnisse hilft, die Bedingungen zu verstehen, unter denen die Gewalt ausbricht." Es sei ja nicht einmal gesagt, dass die Veränderungen immer zu Konflikten führen müssen.

Zum Beispiel zeigt Aaron Wolf von der Oregon State University, dass Streit um Wasser aus grenzüberschreitenden Flüssen häufiger zur Zusammenarbeit und zu internationalen Verträgen führt als zur Gewalt. Zwischen 1948 und 2008 sei nur 21-mal geschossen, aber 682-mal geredet worden, in 145 Fällen folgten Verträge.

Hsiang und seine Kollegen dürften solche Einwände wenig beeindrucken. In allen 27 Fällen zeigten die von ihnen benutzten Studien, dass höhere Temperaturen mehr Konflikte auslösen. Bei Veränderungen des Regens wiesen 16 von 18 Untersuchungen in die gleiche Richtung. Solange keine Studien auftauchen, denen zufolge der Klimawandel die Menschen friedlicher macht, spricht einiges für ihre These.

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