Kommunikation von Bienen:Schwänzeltanz entzaubert

Jedes Schulkind lernt, dass Bienen sich durch Tanzen verständigen. Doch die Insekten verstehen den Hüftschwung vermutlich gar nicht - oder er lässt sie schlicht kalt.

Katrin Blawat

Anfangs lachte der junge Zoologe Karl von Frisch nur über die merkwürdigen Wackelbewegungen seiner Bienen. Er lud befreundete Imker ein, und zusammen vergnügten sie sich ganze Sommertage lang damit, diesen "Scherz der Bienen" zu beobachten. 1923 notierte Frisch in den Zoologischen Jahrbüchern: "Ich behaupte, dass auch die Bienen, wenn der Stock in gutem Zustand ist, gewisse Lustbarkeiten und Freuden unter sich haben, dass sie sogar zuweilen einen gewissen Tanz anstellen." Ein halbes Jahrhundert später erhielt Frisch den Nobelpreis unter anderem für die Erforschung des Schwänzeltanzes.

Biene, dpa

Eine Biene mit fetter Beute. Teilt sie ihren Artgenossen den Futterplatz präzise mit?

(Foto: Foto: dpa)

Der Biologe hatte mehrfach beobachtet, wie plötzlich ein ganzer Schwarm Bienen an einem ergiebigen Futterplatz auftauchte, den kurz zuvor eine einzelne Biene entdeckt hatte. Mit Hilfe des Schwänzeltanzes informiert eine Biene ihre Artgenossen im Stock über die exakte Position der Futterquelle und die Entfernung dorthin, war Frisch schließlich überzeugt. Die anderen Bienen beobachten die Choreographie, entschlüsseln die darin codierten Informationen und steuern dann zielsicher den Futterplatz an. Jedes Schulkind lernt seitdem etwas über diese Kommunikationsleistung der Bienen.

Nun gerät das Dogma vom unmissverständlichen Schwänzeltanz in die Kritik. Immer selbstbewusster greifen Wissenschaftler die These an. "Wir haben untersucht, ob Bienen allein anhand der Informationen aus dem Schwänzeltanz eine einzelne, nicht duftende Futterquelle finden können. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass dies nicht der Fall ist", schreibt der Würzburger Bienenforscher Jürgen Tautz.

In einem Versuch seines Kollegen Christoph Grüter von der University of Sussex flogen 93 Prozent der Bienen, die eine tanzende Artgenossin beobachtet hatten, zu einem Futterplatz, den sie selbst noch von früheren Ausflügen kannten - unabhängig vom Tanz der Biene. Deutlicher kann man Informationen nicht ignorieren. Andere Bienen verfolgten zwar bis zu 50 Tanzrunden, fanden aber überhaupt kein Futter. "Neuere Studien, aber auch Experimente aus den späten sechziger Jahren legen nahe, dass die Bedeutung der Ortsangaben im Schwänzeltanz überschätzt wird", resümiert Grüter.

In einer dieser jahrzehntealten Untersuchungen stellte Dietrich Mautz von der Goethe-Universität in Frankfurt fest, dass nicht einmal ein Drittel der Bienen, die einen Schwänzeltanz verfolgt hatten, am Futterplatz ankam. Selbst Tiere, die den Pollen fanden, brauchten für 100 Meter knapp vier Minuten - zielstrebige Bienen schaffen diese Strecke in zehn Sekunden. Wer kann da noch sicher sein, dass nicht der Zufall die Bienen zum Futter geleitet hatte?

"Es ist vorstellbar, dass manche Menschen diese Dinge nicht glauben werden"

Der Tanz einer Biene, die nach erfolgreicher Futtersuche in den Stock zurückkehrt, besteht aus mehreren Abschnitten. In der Schwänzelphase lässt die Biene ihren Hinterleib seitwärts vibrieren, bis zu 15-mal pro Sekunde. Dann läuft sie eine kreisförmige Strecke und beginnt von neuem mit der Schwänzelphase; so kann es mehrere Minuten lang gehen.

Die Schwänzelphase enthält, so beschreibt es Frisch, zwei Informationen über die Lage des Futterplatzes: Die Richtung übermittelt die Biene, indem sie ihren Körper relativ zur Sonne so ausrichtet, dass der entstehende Winkel den Winkel zur Futterquelle wiedergibt. Die Entfernung zum Stock ist durch die Dauer des Tanzes codiert, als Richtwert gelten 75 Millisekunden Schwänzelphase pro 100 Meter Entfernung. Nach fünf bis sechs Schwänzelphasen wüssten auch unerfahrene Bienen genau, wohin und wie lange sie fliegen müssen und machten sich sofort zum Futterplatz auf, erklärte Karl von Frisch in seiner Rede nach der Verleihung des Nobelpreises 1973.

"Ich selbst hatte zu Beginn Zweifel"

Nur wenige Redeminuten später räumte er jedoch ein: "Es ist vorstellbar, dass manche Menschen diese Dinge nicht glauben werden. Ich selbst hatte zu Beginn Zweifel." Tatsächlich hatte Frisch 50 Jahre vor der Preisverleihung in seiner Schrift "Über die Sprache der Bienen" noch wesentlich vorsichtiger formuliert: "Die Bienen, die auf die Tänze hin ausfliegen, suchen das Gelände nach allen Richtungen ab, wahrscheinlich im Bereich des ganzen Flugkreises."

Adrian Wenner von der University of California in Santa Barbara gilt als der entschiedenste Kritiker Frischs. Für ihn sind die frühen Notizen des Nobelpreisträgers ein Beleg dafür, dass sich die Idee einer Tanzsprache allein deshalb durchsetzen konnte, weil sie die Menschen so faszinierte. "Die exotische These akzeptierte man schnell, dabei bestätigte sie sich nicht in experimentellen Tests." Vielmehr hätten die Vertreter der Tanzsprache-Hypothese Ergebnisse ignoriert, die nicht in ihr Konzept gepasst hätten. Auch Jürgen Tautz, Leiter der Würzburger Beegroup, erklärt: "Die Idee, dass Insekten derart abstrakt kommunizieren können, hat Philosophen und Linguisten einfach begeistert. Bis dahin hatte man dies nur dem Menschen zugetraut."

Frisch habe sich von einigen seiner Beobachtungen in die Irre führen lassen, sagt Tautz - und schlicht nicht mehr zurückrudern können, als andere seine Idee einer Tanzsprache begeistert aufgegriffen hatten.

Viele heutige Bienenforscher sehen im Schwänzeltanz hingegen vor allem einen Appell: ",An alle im Stock: Schwärmt aus, irgendwo dort hinten gibt es Futter!' - so etwa könnte die Botschaft des Schwänzeltanzes lauten", sagt Tautz. Motivierend wirken dabei mehrere Aspekte. Spüren die Bienen die Vibrationen ihrer aufgeregt herumhüpfenden Artgenossin und die durch das Tanzen erhöhte Innentemperatur, schwärmen sie folgsam hinaus zur Futtersuche - manchmal.

Doch wohin und wie weit sie fliegen müssen, dazu macht der Schwänzeltanz nur unzuverlässige Angaben. Tautz ließ Bienen in einem dunklen, engen Tunnel Pollen sammeln, elf Meter vom Stock entfernt. Nach ihrer Rückkehr tanzten die Bienen im Schnitt 358 Millisekunden lang - und die meisten nachfolgenden Bienen flogen in Richtung eines Futterplatzes, den der Forscher 70 Meter vom Stock entfernt aufgestellt hatte. "Der Kilometerzähler der Bienen funktioniert nicht absolut, sondern je nach Beschaffenheit der Landschaft unterschiedlich. Der Schwänzeltanz gibt die Anzahl der Bilder wieder, die während des Flugs am Bienenauge vorbeigezogen sind", folgert Tautz aus seinen Ergebnissen.

Warum sind die Bienen noch nicht verhungert?

Eine einheitliche Eichkurve zwischen Schwänzeldauer und Entfernung sei deshalb sehr unzuverlässig. Zudem werden die Referenzwerte mit zunehmender Entfernung immer ungenauer. "Für Strecken bis 100 Meter mag der Schwänzeltanz eine gewisse Entfernungsinformation enthalten", sagt Tautz. Für solch kurze Wege aber braucht keine Biene einen Wegweiser. Futtersuchende Honigbienen fliegen jedoch bis zu zehn Kilometer weit, und dann nützt ihnen der Schwänzeltanz gar nichts.

Bleibt die Frage, warum noch nicht alle Bienen verhungert sind, wenn der Schwänzeltanz derart un- oder missverständlich ist. "Wenn die Futterquelle ein Rapsfeld ist, kann die Information ruhig schlampig sein", sagt Tautz. Sobald die Bienen den Stock verlassen, finden sie den Pollen schon irgendwann. Außerdem lernen die Insekten mit der Zeit, wo es sich im Umfeld ihres Stocks zu suchen lohnt. Persönliche Vorlieben für bestimmte Futterplätze sind dann entscheidender als die vagen Angaben einer tanzenden Artgenossin. Die im Schwänzeltanz verschlüsselten Informationen dienten allenfalls als "Back-up", sagt auch Bienenforscher Grüter.

Von Düften - der einzigen Orientierungshilfe, die auch der Frisch-Kritiker Adrian Wenner anerkennt - lassen sich Bienen hingegen recht stark beeinflussen. Kehrt eine Biene von einem Futterplatz in den Stock zurück, bringt sie den Duft ihres Speiseplatzes mit sich, und dem folgen später ihre Artgenossen. Zusätzlich besitzen Bienen am Hinterleib eine Drüse, aus der sie bei einer bestimmten Flugtechnik, dem Brauseflug, den Duftstoff Geraniol absondern. Den Brauseflug, dessen Name von den charakteristischen Flügelgeräuschen stammt, wenden Bienen vor allem an einem neu entdeckten Futterplatz an. Die Flügelbewegungen verteilen die Duftmoleküle des Geraniols effizient, und zusammen mit den auch optisch auffallenden Flügelbewegungen werden andere Bienen davon angelockt.

All dies hatte auch Karl von Frisch schon bemerkt - und wieder verworfen, nachdem die Tanzsprache in der Öffentlichkeit so großen Zuspruch gefunden hatte. "Mitte der dreißiger Jahre vertrat Frisch die Hypothese, Bienen fänden Futterquellen mit Hilfe des Geruchs", sagt Adrian Wenner. "Ein Jahrzehnt später wechselte er zu der Tanzsprache-Hypothese, weil sie aufregender war."

Wenners kompromisslose Kritik fordert jene Wissenschaftler heraus, die dem Schwänzeltanz noch immer einen hohen Informationsgehalt zugestehen. "Die Tatsache, dass nachfolgende Bienen die Signale nur selektiv wahrnehmen, ändert nichts an der Bedeutung dieser Signale", schreibt Axel Brockmann von der University of Illinois in einem kürzlich im Fachblatt Cell veröffentlichten Kommentar. Entschieden ist der Streit um den Schwänzeltanz noch nicht.

Dabei wollen auch diejenigen seiner Kollegen, die den Mythos des Schwänzeltanzes angreifen, Karl von Frisch trotz seiner Fehleinschätzung gut dastehen lassen. Viele Experimente hätten unter ziemlich unnatürlichen Bedingungen stattgefunden, sagt Christoph Grüter, und Jürgen Tautz ergänzt: "Damals gab es noch keine Videokamera mit Zeitlupenfunktion. Das erleichtert unsere Arbeit heute sehr." Zudem ist der Schwänzeltanz für Menschen viel markanter als geruchliche Signale der Bienen, da sei es nur natürlich, dass man sich auf den Tanz konzentriere.

Und kennt man nicht ähnliche Beispiele kolossaler Wissenschaftsirrtümer auch aus der Geschichte? Bis ins 16. Jahrhundert hinein verkündeten Zoologie-Lehrbücher, dass Fliegen vier Beine haben - dabei konnte jeder selbst nachzählen, dass es sechs sind. Trotzdem hielt sich der Irrtum mehr als anderthalb Jahrtausende lang. Die These von der vierfüßigen Fliege stammte immerhin von Aristoteles.

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