Kommunikation im Tierreich:Fische unter Strom

Viele Fische nehmen mithilfe elektrischer Felder ihre Umgebung wahr oder lähmen damit ihre Beute. Auch für die Kommunikation nutzen die Tiere Spannungspulse. Wissenschaftler zapfen nun den Datenverkehr an.

Von Sebastian Herrmann

Wenn ein Elefantenrüsselfisch im trüben Wasser dümpelt, dann steht er ständig unter Strom. Die Tiere zählen nämlich zu den schwach-elektrischen Knochenfischen.

Während Gnathonemus petersii also scheinbar regungslos im Fluss steht, erzeugt er ständig elektrische Pulse. Die nachtaktiven Tiere nehmen auf diese Weise ihre Umgebung wahr und kommunizieren mit Artgenossen: Sie versenden quasi E-Mails unter Wasser. Permanent.

Die elektrische Post im Millivolt-Bereich gibt Auskunft über sozialen Status, das aktuelle Aggressionspotenzial und vor allem über die romantischen Absichten eines Elefantenrüsselfisches. Die Tiere balzen per elektrischem Minnesang - bis es mit einem Partner knistert.

Der Elefantenrüsselfisch lebt in Flüssen und Seen Afrikas und trägt seinen Namen wegen seines Rüssels, der eigentlich ein verlängertes Kinn ist und ihm ein leicht verschrecktes, grundempörtes Aussehen verleiht. So absonderlich die Fähigkeiten dieser etwa 25 Zentimeter langen Tiere auch erscheinen mögen, das gerüsselte Unterwasserwesen ist nur eines von vielen Beispielen für Elektrofische.

Für eine Sonderausgabe des The Journal of Experimental Biology (Bd. 216, S. 2363, 2013) haben die Biologen Rüdiger Krahe von der McGill University in Montreal, Kanada, und Eric Fortune vom New Jersey Institute of Technology in Newark Überblicksstudien zum aktuellen Wissensstand über elektrische Fische gesammelt. Sie bieten einen Einblick in eine fremde Welt schwimmender Kraftwerke mit Flossen.

Elektrische Fische hat die Evolution zweimal unabhängig voneinander erfunden: zum einen die Familie der afrikanischen Nilhechte (Mormyriformes), zu denen auch der in der Aquaristik beliebte Elefantenrüsselfisch zählt.

Zum anderen leben auch in den Gewässern Südamerikas Fische, die elektrische Signale produzieren, die sogenannten Neuwelt-Messerfische (Gymnotiformes). Zu ihnen zählt der bekannte Zitteraal, der so etwas wie die Hochspannungsleitung im Reich der schwimmenden Elektrowesen ist: Er erzeugt Spannungen von bis zu 500 Volt und Stromstärken um die 0,8 Ampere und paralysiert so seine Beutetiere. Er haut ihnen praktisch die Sicherung raus. Anders als der Starkstrom-Aal emittieren die meisten anderen der etwa 400 verschiedenen Elektrofischarten nur sehr schwache Ströme.

Die Tiere leben die ganze Zeit innerhalb eines selbst erzeugten elektrischen Feldes. Veränderungen oder Störungen interpretieren die Tiere ähnlich, wie zum Beispiel Fledermäuse das Echo ihrer hochfrequenten Schreie auswerten. Schwimmt ein Artgenosse, eine Beute oder ein unbelebtes Objekt durch das elektrische Feld, verändert sich dieses - die elektrosensiblen Tiere sehen praktisch auf diese Weise und können so selbst im Trüben fischen.

Aktive Elektroortung

"Diese Fische scheinen sehr kryptisch und unverständlich für uns zu sein", sagt Krahe, "weil Menschen diese Art Sinneswahrnehmung fehlt." Im Tierreich ist sie hingegen weit verbreitet: Schnabeltiere und Ameisenigel verfügen höchstwahrscheinlich über einen elektrischen Sinn; und viele Fische wie etwa Haie setzen ihre E-Wahrnehmung bei der Jagd ein.

Doch unterscheiden sich alle diese Wesen von den Nilhechten und Neuwelt-Messerfischen: Ihre Elektroortung ist passiv, sie empfangen lediglich. Elefantenrüsselfische und Co senden ihre geladenen Botschaften hingegen aktiv aus. Umgebildete Muskelzellen am Schwanz der Fische erzeugen elektrische Pulse oder ein konstantes Feld. Rezeptoren am Körper - etwa am rüsselartigen Kinn - empfangen die Signale. Für Forscher sind die aktiven Elektrofische übrigens eine dankbare Aufgabe.

Die Telekommunikation lässt sich leicht überwachen. Vereinfacht gesagt, reicht es, Elektroden ins Wasser zu halten, um den E-Mail-Verkehr der Fische einzufangen. Dann beobachten die Forscher das Verhalten der Empfänger einer Botschaft und entschlüsseln auf diese Weise deren Inhalt. Oder die Wissenschaftler schalten sich gleich selbst in die Unterhaltung ein: Philine Feulner von der Universität Sheffield setzte zum Beispiel vor einigen Jahren paarungsbereite weibliche Elefantenrüsselfische künstlich erzeugten Signalen balzender Männchen aus und beobachtete die Wirkung des Millivolt-Minnesangs.

Die Kommunikationsstrategien der Fische lassen sich grob in zwei Kategorien einordnen: Summer und Knatterer. Erstere variieren ein konstantes, multifrequentes Signal, die anderen klickern, klackern und knattern mit kurzen Pulsen. So teilen sie ihre Größe oder ihren Status mit. Die Nachrichten unterscheiden sich je nach Geschlecht, jedoch ohne einheitliches Muster, wie etwa der Biologe Troy Smith von der Indiana University berichtet. Bei manchen Arten von Schwanzflossen-Messeraalen produzieren Männchen elektrische Felder mit höherer Frequenz, bei anderen Spezies trifft das auf die Weibchen zu.

Wie Biologen um Sat Gavassa und Philip Stoddard von der Florida International University schreiben, passen die Tiere die Stärke ihrer elektrischen Signale den jeweiligen Umständen an. So reduzierten sie etwa ihre Mitteilungen, wenn ihnen die Präsenz elektrosensibler Jäger bewusst ist. Besser mal die Spannung locker lassen, sonst kommt es noch zum finalen Kurzschluss.

Telekommunikation mit Qualitätssicherung

Die Telekommunikation der E-Fische scheint über so etwas wie eine eingebaute Qualitätssicherung zu verfügen, zumindest in Ansätzen. Gavassa und Stoddard machen sich Gedanken darüber, in welchem Ausmaß die Fische falsche Nachrichten verbreiten können. Warum dreht ein schmächtiger Fisch mit niedrigem sozialem Status nicht kräftig an seinem inneren Generator und fährt die Spannung so hoch, dass ihn seine Artgenossen für einen tollen Elektro-Hecht halten?

Die Kosten dafür wären viel zu hoch, argumentieren die Biologen. Vielka Salazar von der kanadischen Cape Breton University hat zum Beispiel berechnet, dass männliche Fische der Gattung Brachyhypopomus zwischen elf und 22 Prozent ihres Energiebudgets für die Erzeugung elektrischer Felder verbrauchen. Es kostet also immense Kraft, das Signal eines dominanten Superfisches zu erzeugen. Das können sich Schwächlinge nicht leisten.

Wenn es aber viel zu fressen gibt, dann schlagen sich die Männchen kräftig die Bäuche voll und veranstalten ein rechtes elektrisches Imponiergehabe. Ob das die Weibchen beeindruckt, dürfte allerdings fraglich sein, schließlich brüllt es aus allen Leitungen, wenn viele Fische ordentlich Futter finden. Ist Nahrung hingegen knapp, geben sie das Gehabe dennoch nicht ganz auf.

Ihr elektrisches Knattern oder Summen könnte dann zwar ihr eigenes Leben kosten, weil es so viel Energie verbraucht. Doch da es die Paarungschancen der Tiere steigert, lohnt sich das energieintensive Verhalten - zumindest aus evolutionärer Perspektive.

Es ist faszinierend, dass sich aus Muskelzellen Organe entwickelt haben, die elektrische Impulse erzeugen und eine so bizarr anmutende Form der Wahrnehmung ermöglichen. Die Biologin Graciela Unguez von der New Mexiko State University beschreibt eine weitere erstaunliche Eigenschaft dieser Fische. Viele der südamerikanischen Arten sind wohl in der Lage, ganze Körperteile zu regenerieren. Sie bilden sowohl Muskeln als auch Elektroorgane neu, wenn sie diese einbüßen.

"Einige Gymnotiformes können sämtliches Gewebe ersetzen - selbst wenn ihnen mehrere Male der Schwanz amputiert worden ist", sagt Unguez, "das lässt vermuten, dass die erwachsenen Tiere fast unendliche Kapazität zur Regeneration haben." Unter anderem deshalb seien die Elefantenrüsselfische und seine elektrischen Kollegen so faszinierende Studienobjekte, schreibt Krahe. Die Forscher werden weiterhin den E-Mail-Verkehr dieser Fische belauschen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: