Klimawandel:Wie hoch steigt das Meer?

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Experten sind uneins darüber, wie stark der Klimawandel die Ozeane anschwellen lässt. Klar ist: Die Erkenntnisse des UN-Klimarats sind bereits überholt.

Axel Bojanowski

Eine Handbreit, kniehoch, oder mehr als einen Meter? Klimaforscher überbieten sich zurzeit mit Prognosen zum Anstieg der Meeresspiegel. Politikern ergeht es dabei wie Normalbürgern: Sie blicken nicht mehr durch.

Der Meeresspiegel wird sich durch die globale Klimaerwärmung erhöhen. Darüber sind sich Klimaforscher einig. Wie dramatisch der Anstieg ausfallen wird, ist jedoch umstritten. (Foto: Foto: Reuters/Greenpeace/Edwards)

Dabei wäre Klarheit gut: Im Dezember wollen die Vereinten Nationen einen Vertrag über die weltweite Verringerung von Treibhausgasen schließen. Doch auf welchen Vorhersagen soll dieser gründen?

Vor zwei Jahren hat der Klimarat der Vereinten Nationen IPCC das Wissen über das Klima in einem Bericht zusammengefasst. Seither haben neue Studien die Erkenntnisse teilweise überholt. Deshalb tragen in dieser Woche 2000 Klimaforscher in Kopenhagen den neuesten Stand des Klimawissens zusammen. Speziell die Prognosen zum Meeresspiegel klaffen jedoch weit auseinander.

Das Problem: Alle Szenarien basieren auf guten Argumenten.

Das glimpflichste Szenario

Im vierten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC aus dem Jahr 2007 hieß es, die Meeresspiegel würden im Zuge der Klimaerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zwischen 18 und 59 Zentimeter steigen. Deiche und Küstenschutz müssten demnach weltweit verstärkt werden.

Satellitendaten hatten ergeben, dass sich der Meeresspiegel seit 1993 im globalen Durchschnitt beschleunigt angehoben hatte. Zuvor war er um 1,8 Millimeter pro Jahr angestiegen, seit 1993 um 3,1 Millimeter pro Jahr, konstatierte der IPCC-Bericht. Behielten die Ozeane dieses Tempo bei, lägen die Ozeane im Jahr 2100 etwa 30 Zentimeter höher.

Es handele sich womöglich um natürliche Schwankungen, beschwichtigte der IPCC-Bericht. Schließlich sei der Meeresspiegel am Anfang des 20. Jahrhunderts schon mal ähnlich schnell angestiegen.

Der Wissenschaftsanalytiker David Wasdell warf dem IPCC jedoch vor, allzu vorsichtige Schätzungen abzugeben. Die betreffende Arbeitsgruppe widersprach vehement. Es sei "voreilig", ein beschleunigtes Anschwellen der Ozeane anzunehmen, konterte die Gruppe.

Eine Studie vom Sommer 2007 schien ihnen Recht zu geben. Schwankungen der Erdkruste gaukeln einen schneller steigenden Meeresspiegel vor, berichteten Klimaforscher um Guy Wöppelmann von der Universität La Rochelle. Die Ozeane seien nicht um 3,1, sondern um 1,3 Millimeter pro Jahr gestiegen - also keine Beschleunigung. Neuere Messungen deuten auf einen Anstieg um 2,5 Millimeter pro Jahr zwischen 2003 und 2008 hin.

Etwa die Hälfte des Meeresspiegelanstiegs führt der IPCC auf das vergrößerte Volumen von wärmerem Wasser zurück. Dieser Prozess werde sich wohl im Zuge der globalen Erwärmung fortsetzen. Ein Viertel des bisherigen Anstiegs stammt laut Weltklimarat von schmelzenden Gebirgsgletschern.

Doch diese dürften bis Mitte des Jahrhunderts so weit geschrumpft sein, dass ihr Schmelzwasser die Meerespegel nicht mehr nennenswert beeinflusst. Für die riesigen Gletscher der Antarktis sagen manche Forscher sogar eher Wachstum als Schmelze voraus. In einer wärmeren Umwelt verdunste mehr Wasser, das über der Antarktis als Schnee niedergehen würde. Gleichwohl registrieren Glaziologen in den letzten Jahren verstärkte Schmelze im Westen der Antarktis.

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Das mittlere Szenario

Doch sogar vorsichtige Klimaforscher sind beunruhigt im Angesicht der Dynamik des riesigen Eispanzers auf Grönland. Derzeit trägt das Schmelzwasser Grönlands 0,2 Millimeter pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg bei - das wären in 100 Jahren zwei Zentimeter.

Messungen, die nun auf der Tagung in Kopenhagen vorgestellt wurden, zeigen jedoch, dass diese Gletscher womöglich verstärkt tauen. Was jedoch im Detail passiert in den Weiten Grönlands, ist kaum zu ergründen; lediglich zwei Dutzend Messstation liefern Daten. Stürme zerstören die Geräte regelmäßig. Satellitendaten sind widersprüchlich.

Das Verhalten des Eisschildes sei kaum verstanden, sagt der Glaziologe Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut. Nicht bloß wärmere Luft bestimme das Abfließen des Eises, sondern auch der Druck, den der Schild aus dem Hinterland ausübt. Zudem bildet der Untergrund Grönlands eine Senke, die das Abfließen erschwert. Computermodelle können die künftige Entwicklung des Grönlandeises nicht simulieren. Klar ist: Das Eis taut. Doch wie schnell?

Womöglich erlaubt die Erdgeschichte einen Blick in die Zukunft. Vor 120.000 Jahren herrschte die letzte Warmzeit; die Erde war näher an die Sonne gerückt, es war durchschnittlich rund zwei Grad wärmer als heute.

Analysen von fünf Eisbohrungen auf Grönland zeigten, dass der Eispanzer diese Warmzeit überstanden habe, berichtete Dorthe Dahl-Jensen von der Universität Kopenhagen auf der Tagung. Der sogenannte Kipp-Punkt, an dem der grönländische Eisschild unwiderruflich kollabiert, sei "kaum zu erreichen", betätigte Jonathan Bamber von der Universität Bristol auf der Tagung.

Wie viel Schmelzwasser die Grönland-Gletscher in der letzten Warmzeit ins Meer gossen, lasen Geologen aus Princeton aus Küstenablagerungen. Die Untersuchungen ergaben jedoch Widersprüchliches: "Zwei bis neun Meter höher", könne das Meer damals gestanden haben, berichteten sie in Kopenhagen. Pro Jahrhundert errechnete der Forscher einen Meeresspiegel-Anstieg von rund 95 Zentimetern.

Das schlimmste Szenario

Weil es an Kenntnissen über die Gletscher mangelt, versuchen Klimaforscher Prognosen anhand statistischer Berechnungen. Sie entwickeln Formeln, die zur Meeresspiegel-Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte passen. Die Formeln seien auch für die Zukunft gültig, hoffen die Wissenschaftler.

Seine Formel bilde die Schwankung der Meere der letzten 2000 Jahre nach, berichtete Aslak Grinsted von der Universität Kopenhagen. Übertragen auf die Zukunft ergäbe sich damit ein Anschwellen der Ozeane bis Ende des Jahrhunderts von 80 Zentimetern bis 1,35 Meter.

Eine andere Formel von Martin Vermeer von der Technischen Universität Helsinki kann zwar nur die Meerespegel der vergangenen 150 Jahre nachbilden, doch das sehr genau. Seine Berechnungen liefern die Höchstmarke der Kopenhagener Tagung: Um bis zu 1,90 Meter drohen die Meere bis 2100 anzusteigen.

"Ein interessanter Ansatz" seien diese Berechnungen, meint John Church von Australischen Umweltforschungsinstitut CSIRO. Aber ob in Zukunft tatsächlich die gleichen Prozesse wirkten wie in der Vergangenheit, sei zu bezweifeln. "Wir brauchen ein Frühwarnsystem für Grönland und die Antarktis", fordert der Glaziologe.

Immerhin haben Fachleute für den Meeresspiegelanstieg in diesem Jahrhundert nun eine Höchstgrenze festgelegt. Möglich sei bis 2100 maximal ein Meeresspiegelanstieg um zwei Meter, haben Glaziologen um Tad Pfeffer von der Universität Colorado errechnet. Um diesen Anstieg zu erreichen, müssten sich allerdings fast alle Grönlandgletscher nahezu dreimal so schnell bewegen wie bislang die schnellsten von ihnen.

"Das Verhalten der Gletscher ist kaum verstanden", räumt der Klimaberater der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, ein. "Ihr labiles Verhalten in der Erdgeschichte sollte uns aber eine Warnung sein."

© SZ vom 12.03.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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