Klimawandel:Kassel im Kessel

Wegen des Klimawandels müssen Städte mehr Hitze und häufigere Fluten verkraften. Davon sind nicht nur Megastädte oder Küstenmetropolen betroffen, wie Wissenschaftler am Beispiel der nordhessischen Stadt Kassel aufzeigen.

Christopher Schrader

Mit Kassel hat es das regionale Klima nicht sehr gut gemeint. Die nordhessische Stadt ist von fünf Höhenzügen umgeben, allein das Tal der Fulda durchbricht den Kessel im Norden und Süden. Bei einer Inversionswetterlage, sagt Lutz Katzschner von der örtlichen Universität, "steht die Luft, wird heiß und stickig". Immerhin gebe es Kaltluftschneisen: "Entlang ehemaliger Bachläufe fließt kühlere Luft ins Tal, falls sie nicht an Gebäuden hängenbleibt."

Wolken ueber Kassel

Die Bewohner Kassels leiden im Sommer mehr unter Hitze als die Nachbarn im Umland. Das wird durch den Klimawandel noch schlimmer.

(Foto: dapd)

Diese unsichtbaren Ströme können aber nicht verhindern, dass die Bewohner Kassels im Sommer mehr unter Hitze zu leiden haben als die Nachbarn im Umland. Um die 42 Tage über 25 Grad Celsius seien es pro Jahr, sagt Katzschner; er schätzt mangels präziser Daten, außerhalb der Stadt gebe es zehn weniger.

Der Klimawandel könnte diese Differenz noch steigern: Bis 2050 dürfte die Umgebung drei weitere Sommertage bekommen, Downtown Kassel hingegen zwölf, sagte Katzschner vergangene Woche in Hamburg auf einer Tagung des dortigen Climate Service Centers zum Thema "Stadt im Klimawandel".

In Kassel verstärkt ein sehr spezifischer Faktor - die Geographie - einen allgemeinen Umstand: In Städten ist es fast immer deutlich wärmer als im Umland. Auch der Wind weht hier anders, weil er von hohen Gebäuden umgelenkt wird. Selbst Regen fällt in Metropolen stärker und löst wegen der dichten Bebauung und der versiegelten Flächen schneller Überschwemmungen aus.

Da längst mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit in Städten leben, Tendenz steigend, hat der Ausblick auf das geänderte Klima der kommenden Jahrzehnte hier besondere Bedeutung.

Hinzu kommt, dass das Leben in den Städten intensiver ist. "Obwohl die Städte nur drei bis vier Prozent der Fläche der Welt ausmachen, verbrauchen sie 80 Prozent der Ressourcen", erklärt Herbert Giradet von der Umweltgruppe World Future Council.

Die Metropolen könnten aber auch zur Lösung der Probleme beitragen. "In den Städten interagieren die Menschen am stärksten. Hier werden die wichtigsten Entscheidungen, besonders finanzielle, getroffen."

Auch wenn diese Worte Assoziationen an ein globales Klimaschutzabkommen wecken, müssen die Städte zunächst mit lokalem Klimaschutz beginnen. Zum Beispiel, indem sie Wege erhalten, auf denen kühle Luft ins Zentrum weht. "Frischluftbahnen sind bisher kein Begriff im Planungsrecht", sagt Lutz Katzschner. Er arbeitet darum an interaktiven Modellen, um Stadtplanern, Investoren und Architekten auf dem Bildschirm zu zeigen, welche Auswirkungen ihre Projekte auf das Stadtklima haben.

Entsprechende Daten hat er außer in Kassel auch in Frankfurt erhoben. Sehr wichtig sei das Thema zudem in asiatischen Metropolen wie Singapur, wo der Bauboom manche Viertel von der frischen Brise abscheiden und zu Backöfen machen könnte.

Grünflächen für das Stadtklima

Ein entscheidender Faktor für das Stadtklima sind dabei Parks und anderen Grünflächen. "Wenn Bäume genug Wasser haben, sind sie sehr effektive Verdunster", sagt Heinke Schlünzen von der Universität Hamburg. "Ein Wald bringt viel mehr kalte Luft als ein See gleicher Fläche." Die Verdunstung bewirkt eine lokale Abkühlung und diese erzeugt Luftbewegung selbst an windarmen Tagen. Entscheidend sei das vor allem nachts, so die Meteorologin, damit der "solare Kachelofen Stadt", wo sich die Steine der Häuser tagsüber mit Sonnenwärme vollgesogen haben, schneller auskühlt.

Wenn Menschen bei Temperaturen über 20 Grad schlafen müssen, geht das auf die Dauer auf die Gesundheit", sagt Schlünzen. Grünzeug in Parks oder auf Dächern kann da helfen, aber es kommt auf die Verteilung an: Viele kleine lokale Grünflächen sind womöglich effektiver als der große, zentrale Stadtpark. "Die kühlende Wirkung reicht nur einige hundert Meter in die Wohnviertel hinein."

Aber auch auf die Hitze bei Tage müssten Stadtplaner achten, sagt Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Bis 2100 könnte zum Beispiel Berlin ein Klima wie Städte in Nordspanien bekommen, in Athen wäre es dann wie in Libyen. Es drohe deswegen ein Rückzug von Kindern, Alten und Kranken, die unter der Wärme leiden, aus dem öffentlichen Raum. Statt der Fußgängerzonen in den Innenstädten würden sie höchstens klimatisierte Shopping-Malls besuchen.

Viele Städte werden zudem über Wasser und Regen nachdenken müssen. Klimamodelle erwarten für die Zukunft eine Verlagerung der Niederschlagsmengen: Winter werden feuchter, Sommer trockener und Extremereignisse wie Starkregen oder - in Küstenstädten - Sturmfluten häufiger. Für Hamburg könnte das bedeuten, dass gegen Ende dieses Jahrhunderts im Winter an acht zusätzlichen Regen- und drei zusätzlichen Sturmtagen 40 Prozent mehr Wasser vom Himmel fällt, besagt der "Norddeutsche Klimaatlas".

Jörg Knieling, Umweltplaner von der privaten Hafencity-Universität in Hamburg, schließt daraus: "Die Stadt muss lernen, mit dem Wasser zu leben." Das ist leichter gesagt als getan, denn in der Hansestadt sitzt das Trauma der Sturmflut vom Februar 1962 tief, bei der mehr als 300 Menschen starben.

Doch schon beim Neubaugebiet Hafencity haben sich die Planer entschieden: Die Häuser stehen vor dem Deich. Sie sind teilweise auf Warften (künstlich aufgeschütteten Hügeln) errichtet oder haben unten nur ihre Garagen, die sich verbarrikadieren lassen und bei denen eine Überflutung keine gravierenden Schäden auslöst.

Weiter von Meer oder Fluss entfernt soll Regenwasser wieder mehr versickern können. Die Siele und Kanäle können die Mengen sonst in Zukunft nicht mehr aufnehmen, so dass vermehrt Abwasser aus den Gullys quillt und in Hausanschlüssen nach oben drückt. "Hamburg hat begonnen, dem entgegenzusteuern", sagt Heinke Schlünzen. "Es ist gut, dass es hier jetzt eine Gebühr für Regenwasser gibt, das in den Siel geleitet wird."

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