Klimawandel:Falsche Sicherheit, die in die Katastrophe führt

Es ist eine weitverbreitete Einstellung: Wenn die Welt etwas für den Klimaschutz tut, dann kann der einzelne Mensch oder Staat doch auch mal nachlässig sein. Doch diese Haltung, die Kanada mit dem Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll gerade demonstriert, ist katastrophal für den Kampf gegen die Erderwärmung.

Mark Lawrence

Vergangenes Jahr hat ein Kollege mir eine Geschichte erzählt. Kurz nachdem er sämtliche Glühbirnen in seinem Haus gegen Energiesparlampen ausgetauscht hatte, bemerkte er: Ständig brannte Licht im Haus. Seine Frau und Kinder meinten, mit den Energiesparlampen wäre es egal, ob man die Lichter ausschalte oder nicht, wenn man das Zimmer verlässt.

Flammender Protest vor Bundeskanzleramt

Greenpeace-Aktivisten fordern vor dem Bundeskanzleramt in Berlin die Reduktion der CO2-Emissionen. Das ist eines der wichtigsten Ziele des Klimaschutzes.

(Foto: dpa)

In der Klima- und Umweltforschung nennen wir dieses Verhalten "Moral Hazard": Jemand erlaubt sich höhere Emissionen, weil er glaubt, gegen die Risiken und Folgen seines Handelns versichert zu sein. Im Haushalt führt das zu höheren Stromkosten, weltweit in die Klimakatastrophe.

Nun, nach dem Klimagipfel in Durban, beginnen die Vorbereitungen auf das nächste große Ereignis, die Konferenz "Rio+20" im Juni 2012 in Brasilien. Doch wenige Tage nach dem mühsam gefundenen Kompromiss steigt Kanada aus der Übereinkunft zum Klimaschutz aus.

Dabei stünde nicht der Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll, sondern die Weiterentwicklung der Klimadebatte an. Bisher ging es in den weltweiten Diskussionen und Klimaverhandlungen hauptsächlich um Kohlendioxid, CO2. Es trägt allein zu mehr als 50 Prozent der gesamten Erderwärmung bei. CO2 hat eine sehr lange Verweildauer in der Atmosphäre: Nach 30 Jahren ist die Hälfte des emittierten Kohlenstoffs durch die Natur entfernt, Jahrhunderte sind nötig, damit weitere 30 Prozent verschwinden; der Rest bleibt vermutlich über ein Jahrtausend im Klimasystem.

Wir werden also den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, ohne die CO2-Emissionen zu reduzieren oder Wege zu finden, wie wir CO2 als Rohstoff wiederverwenden können; erste Ansätze existieren dafür, für deren Großeinsatz aber voraussichtlich noch Jahrzehnte nötig werden. Ebenso eindeutig ist jedoch, dass die Welt mit der Verminderung der CO2-Emissionen bestenfalls schleppend vorankommt.

Viele gute Gründe

Aber wenn CO2 am Ende 50 bis 60 Prozent der Erderwärmung auslöst - was ist mit den anderen 40 bis 50 Prozent? Einen Großteil davon, insgesamt nahezu ein Drittel der gesamten Erwärmung, verantworten bodennahes Ozon, Methan (Erdgas) und sonnenlichtabsorbierende Partikel, vor allem Ruß, und die rasch ansteigenden Fluorkohlenwasserstoffe (FKW).

Ein Drittel: Grund genug, den Anteil dieser Substanzen an der Atmosphäre zu verringern. Es gibt noch andere gute Gründe. Ozon ist gesundheitsgefährdend und führt unter anderem zu Atemwegsbeschwerden. Es ist schon bei mäßig erhöhter Konzentration für die Land- und Forstwirtschaft schädlich: Weltweit wird es für einen Verlust von circa vier Prozent der Ernteerträge verantwortlich gemacht, in manchen Gebieten kann dieser Anteil auf über 50 Prozent steigen.

Methan, ein Treibhausgas, das zum Beispiel aus Erdgaspipelines, Reisfeldern, Mülldeponien oder auch Sumpfgebieten aufsteigt, ist wiederum für die Bildung von Ozon verantwortlich. Außerdem enden etwa 80 Prozent des Kohlenstoffs in Methan als CO2 in die Atmosphäre. Das Gas trägt also am Ende dreifach zum Treibhauseffekt bei - als Methan selbst sowie über Ozon und CO2.

Ruß schließlich stammt unter anderem aus Dieselmotoren und einfachen Kochherden in Entwicklungsländern; es zählt zu den gesundheitsschädlichsten Luftverschmutzern. Neuen Schätzungen zufolge sterben in jedem Jahr etwa zwei Millionen Menschen nur durch Ruß und andere Partikel, die durch das Kochen mit einfachen Herden im Haushalt ausgestoßen werden - das sind jährlich mehr, als durch Malaria sterben. Hinzu kommt, dass Ruß in manchen Gebieten stark zum Schmelzen von Gletschern und Schneemassen beiträgt.

Schnelle Ergebnisse

Verringert man den Ausstoß dieser drei Substanzen, kann man schnell Ergebnisse erzielen, zum Teil sogar innerhalb weniger Jahre. Ozon hat eine Verweildauer in der Atmosphäre von ungefähr einem Monat, Ruß sogar nur von ungefähr einer Woche.

Nach einer Verminderung der Emissionen von Ruß und den Ozon-Vorläufersubstanzen könnte man also innerhalb von kürzester Zeit regional einen positiven Effekt erreichen. Die Lebensdauer von Methan ist mit zehn Jahren deutlich länger, wirkt allerdings im Vergleich mit den fast zwanzig vergangenen Jahren seit dem Rio-Umweltgipfel von 1992 wie eine kurze Zeitspanne.

Es gibt sogar seit kurzem einen regelrechten Katalog von Maßnahmen gegen Ruß und Methan. Das UN-Umweltprogramm (Unep) hat vergangenen Monat einen ausführlichen Bericht veröffentlicht, in dem es unter anderem folgende Schritte empfiehlt: Partikelfilter für Dieselmotoren, den Einsatz von modernen Kochherden, Holzbrennern und Ziegeleien, Versieglung von Lecks in Gas-Pipelines sowie eine zeitweilige statt kontinuierliche Überflutungen von Reisfeldern.

Laut dem Bericht rechnet sich rund die Hälfte der vielen Schritte in kurzer Zeit wirtschaftlich. Hinzu kommen die vielen positiven Nebeneffekte für Gesundheit, Landwirtschaft und Tourismus. Wo liegt dann das Problem? Unter anderem darin, dass viele Quellen von Methan und Ruß auch andere Substanzen emittieren, die wiederum zu einer Abkühlung des Klimas beitragen. Deshalb muss man sich zunächst auf Quellen und Maßnahmen konzentrieren, die diesen abkühlenden Effekt nicht gleichzeitig allzu stark reduzieren.

Zudem kommt hier wieder das Problem des Moral Hazard ins Spiel. Manchmal wird in Bezug auf diese Schritte zur Reduktion von Ozon, Methan und Ruß von einer möglichen "Verzögerung des Klimawandels" um ein paar Jahrzehnte gesprochen. Dies könnte fälschlicherweise als eine Art gekaufte Zeit interpretiert werden, als Freibrief für eine Verschnaufpause in Sachen CO2-Emissionen, der verhindert, dass wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen konsequent den ganzen Klimawandel bekämpfen. Eine solche Pause können wir uns nicht leisten, da das CO2, das wir in den nächsten Jahren emittieren werden, noch sehr lange unser Klima beeinflussen wird.

In diesem Sinne ist nach dem Klimagipfel vor dem Klimagipfel: Es gibt in den nächsten Monaten vor dem Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20 und darüber hinaus viel zu tun, um den Weg zu einer nachhaltigen Klimapolitik vorzubereiten.

Der amerikanische Atmosphärenwissenschaftler Mark Lawrence, 42, ist wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: