Klimawandel:Energiewende - das deutsche Paradox

Offshore-Windpark in der Nordsee

Offshore-Windpark in der Nordsee, 30 Kilometer vor Helgoland

(Foto: Reuters)

Ganze Regionen in Deutschland verfallen dem Rausch der Energiewende. Zugleich steht die Bundesrepublik auf dem Klimagipfel beim Treibhausgas-Ausstoß nicht gut da. Wie das?

Von Michael Bauchmüller

Karl Detlefs Energiewende begann in Dänemark. "Ich wollte mir anschauen, wie das mit den Windrädern funktioniert", sagt er. Das war 1989. Kurz darauf baute er selber eines, dann noch eines und noch eines. Wenn der Landwirt heute aus seinem alten Gutshaus tritt, dann sieht er Dutzende Windräder in nah und fern, an 60 davon ist er beteiligt. "Und das Schöne ist, wir haben fast immer Wind." Hoch im Norden Deutschlands gibt es keine Berge, der Wind kommt gleich vom Meer. Mit jedem Flügelschlag verdient Detlef, 57, heute Geld, so wie viele seiner Nachbarn auch. Ganze Regionen sind dem Energiewende-Rausch verfallen.

"Wenn man uns ließe, könnten wir noch viel schneller viel mehr schaffen."

Wer heute an einem klaren Tag nach Deutschland einfliegt, der kann das Ergebnis kaum übersehen. Wie Zahnstocher stecken mehr als 25 000 Windräder im Boden. In der Nordsee wird alle paar Monate ein neuer Meeres-Windpark eingeweiht. 1,5 Millionen Bundesbürger haben Solaranlagen installiert, mit denen sie eigenen Strom erzeugen. Und das in einem sonnenarmen Land, dessen industrieller Aufstieg auf Kohle und Stahl gründete, auf Dampfmaschinen und fossiler Energie.

Schon heute aber stammt knapp ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Quellen, bis 2025 sollen es zwischen 40 und 45 Prozent sein. Häuser, Autos sollen effizienter werden, also mit weniger Strom auskommen. Kann das so einfach funktionieren?

"Natürlich geht das", sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Es führt noch nicht einmal ein Weg daran vorbei." Letztlich sei alles nur eine Frage der Politik. "Wenn man uns nur ließe", sagt Bauer Detlef, "könnten wir sogar noch viel schneller viel mehr schaffen." Auch international lässt sich die Bundesregierung gerne feiern für ihre Energiewende. Wenn nächste Woche in Paris der Klimagipfel startet, dann wird sie der staunenden Weltöffentlichkeit wieder präsentiert werden - als leuchtendes Beispiel für praktizierten Klimaschutz.

Doch das Wachstum der einen hat Folgen für andere. Kaum einer weiß das besser als Dieter Faust. Er ist Chef des Gesamtbetriebsrats der RWE Power, Deutschlands größten Kraftwerksbetreibers. "Uns ist auch klar, dass wir uns verändern müssen", sagt er. "Aber man kann nicht einfach von heute auf morgen auf den roten Knopf drücken. Da hängen Tausende Arbeitsplätze dran." Im Übrigen brauche das Land auch dann verlässlichen Strom, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht.

Doch zunehmend geraten die Kraftwerke in die Defensive. Brandneue Gaskraftwerke können kaum noch am Markt bestehen - denn weil immer mehr erneuerbarer Strom eingespeist wird, sinken die Preise an der Strombörse. Strom wird dann so billig, dass sich selbst modernste, flexible Kraftwerke nicht mehr rentieren. Aber auch ältere Kraftwerke geraten unter Druck, vor allem jene, die Braunkohle verbrennen - den einzigen fossilen Rohstoff, der in Deutschland noch im großen Stil gefördert wird. Doch Braunkohle stößt besonders viel Kohlendioxid aus - und das verträgt sich nicht gut mit den deutschen Klimazielen. Und von den zehn klimaschädlichsten Kraftwerken Europas stehen fünf in Deutschland.

Bis heute ist es das große Paradox der Energiewende, dass mit dem Ausbau der sauberen grünen Energien die Treibhausgas-Emissionen nicht sanken, sondern zwischenzeitlich sogar anstiegen. "Die Braunkohle floriert, weil der Ausstoß von Treibhausgasen in der EU zu wenig kostet", sagt Michael Sterner, Energiewirtschaftler an der Technischen Hochschule Regensburg. "Eine Korrektur findet nicht statt." So bleibe die Kohle ein günstiger Energieträger. "Wahrscheinlich brauchen wir eine gesellschaftliche Veränderung, wenn wir von fossiler Energie loskommen wollen", sagt Sterner. Gründe dafür gebe es genug.

"Die Energiewende braucht einen Masterplan"

Doch als der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, ein Sozialdemokrat, im vorigen Jahr eine spezielle Klimaabgabe auf alte Braunkohle-Kraftwerke vorschlug, da erntete er einen Sturm der Entrüstung. Gewerkschafter und Parteifreunde zogen auf die Straße, um die verbliebenen drei Braunkohle-Reviere zu schützen, auch RWE-Mann Dieter Faust war dabei.

Am Ende knickte Gabriel ein. Statt den Kraftwerken neue Auflagen zu machen, werden sie nun fürs Abschalten entlohnt - 1,6 Milliarden Euro bringen die Stromkunden auf, damit acht alte Braunkohle-Blöcke bis 2022 verschwinden. Der Umbau der Energieversorgung, eines der Schlüsselthemen bei der Klimakonferenz, kann ganz schön teuer werden. Die deutschen Kraftwerksbetreiber freut es.

Dass die Kernschmelze in Japan den Atomausstieg besiegeln konnte, liegt an einem alten Konflikt

Für Leute wie Karl Detlef ist das ein Fanal, es erinnert an die Schlachten von einst. Als er 1989 mit seinem ersten Windrad begann, galt er als Sonderling, als Bauer mit einem Spleen. Erneuerbarer Strom, das war damals etwas für Liebhaber. Eine Konkurrenz für Großkraftwerke? Niemals. Aber es war eben auch die Zeit, in der in Deutschland der Konflikt um die Atomenergie hochkochte - so sehr wie in keinem anderen Industrieland der Welt.

Bis heute aber bestimmt dieser Konflikt die deutsche Energiedebatte - er ist die Wurzel der Unversöhnlichkeit, mit der sich konventionelle und erneuerbare Energien gegenüberstehen. Das erklärt, warum eine Kernschmelze in Japan in Deutschland den Atomausstieg besiegeln konnte, obwohl hier ein Tsunami so fern ist wie der Nordpol. Schon fürchten Beschäftigte in Kohlekraftwerken, dass sie als Nächstes dran sind, dass die bezahlte Abschaltung von acht Blöcken erst der Anfang ist. "Die Verunsicherung ist riesig", sagt Betriebsratschef Faust. "Die Energiewende braucht einen Masterplan."

Aber längst folgt der Wandel eigenen Gesetzen. Weil etwa immer mehr Windräder im Norden und auf See entstehen, braucht es dringend neue Leitungen in den Süden - andernfalls bliebe die Energiewende in einem zu kleinen Stromnetz stecken. Mit drei riesigen Gleichstrom-Leitungen soll die Elektrizität nun abtransportiert werden. Und weil vielerorts Bürger gegen neue Strommasten rebellierten, sollen diese Leitungen nun unterirdisch verlaufen, als Kabel. An den großen Kraftwerken des 20. Jahrhunderts laufen die Kabel einfach vorbei.

In vielen Haushalten spielen solche Kraftwerke ohnehin keine große Rolle mehr - sie versorgen sich selbst. Neben die Solarzellen auf dem Dach treten zusehends private Batterien im Keller. So wird die Energiewende plötzlich zum Weggefährten der digitalen Welt, in der neben die Schwarmintelligenz des Internets die Schwarmstabilität vieler kleiner Speicher treten könnte. "Die Leute wollen dahin, sie streben danach, sich selbst mit Strom zu versorgen", sagt Energieexperte Sterner. "Die Politik muss das nur zulassen." Doch die zieht auch in Deutschland immer mehr Grenzen ein, etwa beim Ausbau der Solarenergie - meist aus Angst davor, dass irgendwann Bürger rebellieren, weil sie zu viel für die Energiewende zahlen müssen.

Denn billig ist das Experiment nicht. Allein für die Förderung des erneuerbaren Stroms zahlt ein deutscher Vier-Personen-Haushalt derzeit im Jahr gut 200 Euro, insgesamt werden so 21 Milliarden Euro umverteilt. Auch die Kosten für den Bau neuer Stromleitungen werden sie eines Tages auf ihrer Stromrechnung finden, wie auch den Vorruhestand von acht Kohleblöcken. "Immer noch besser, als das Geld in Atomkraft zu stecken", sagt Detlef. "Denn unsere Energie ist natürlich." Und auch in Umfragen sprechen sich regelmäßig Bürger für die grüne Wende aus: zuletzt 92 Prozent bei einer Befragung der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers.

Scheitern ist längst keine Option mehr. Zu viel Geld ist schon investiert, zu viel schon erreicht - die Erneuerbaren werden zunehmend wettbewerbsfähig. "Die Ökonomie spricht für die Energiewende", sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Kemfert. "Früher oder später hat jede Volkswirtschaft diese Herausforderung vor sich. Weil der Klimawandel nicht stoppt."

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