Klimawandel:Ein Gletscher verschwindet

Hingabe und Beharrlichkeit braucht es, um dem Klimawandel auf die Spur zu kommen. Seit 48 Jahren beobachten Forscher der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ein exemplarisches Eisfeld, den Vernagtferner, in den Ötztaler Alpen. Doch bald könnte das Studienobjekt der Wissenschaftler verschwunden sein.

Von Patrick Illinger

Will man dem Klimawandel auf die Schliche kommen, sind präzise Messgeräte hilfreich, ebenso wie leistungsstarke Computer. Vor allem jedoch braucht es viel Zeit und Geduld - oft mehr als der natürliche Wissensdrang des Menschen zu geben bereit ist.

Der Klimawandel geht eben langsamer vonstatten, als es dem schnell getakteten menschlichen Wahrnehmungsempfinden entspricht. Ein klirrender Winter, und viele Erdenbewohner zweifeln an der globalen Erwärmung. Ein verregneter Sommer und alle CO2-Sparvorsätze sind wie weggewaschen. Auch gerät das Thema Klimawandel schnell in den Hintergrund, wenn im Alltag drängendere Probleme anstehen, etwa die Frage nach einer bezahlbaren Wohnung oder ein unerledigter Weihnachtseinkauf. Völlig unbeeindruckt von derart kurzlebigen Einflüssen arbeiten hingegen die Forscher der Kommission für Erdmessung und Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Seit 1964 blicken die Gletscherkundler mit Hingabe und Beharrlichkeit auf ein exemplarisches Eisfeld in den Ötztaler Alpen. Der Vernagtferner ist seither weltweit eine Art Referenzgletscher geworden. Kaum ein Flecken Eis ist je derart aufwendig vermessen, kartographiert und dokumentiert worden.

Beschleunigung des Gletscherschwunds

Seit zwölf Jahren lichten die bayerischen Glaziologen den Vernagtferner sogar von der immergleichen Stelle aus immergleichem Blickwinkel ab. Die Aufnahmen erzeugt eine automatische Kamera, die auf dem Schwarzkögele in 3079 Metern Höhe gegenüber dem Gletscher installiert ist. Neben den vielen physikalischen Messdaten ist so eine für Laien nachvollziehbare Bilderserie entstanden, die den beträchtlichen Schwund des Gletschers sichtbar macht.

"Auf der Fotoserie ist der westliche Teil des Vernagtferners mit den verschiedenen Gletscherzungen zu sehen", erklärt der Glaziologe Christoph Mayer. In den vergangenen zwölf Jahren habe der Gletscher etwa 1,4 Quadratkilometer an Fläche und 8,4 Millionen Kubikmeter an Volumen verloren. Dies entspreche einem jährlichen Flächenverlust von 1,3 Prozent und drei Prozent weniger Volumen. In den zwei Jahrzehnten davor lagen diese Werte noch bei 0,4 Prozent und 1,6 Prozent. Die Beschleunigung des Gletscherschwundes geht einher mit einem zunehmenden Zerfall der Gletscherzungen. Ein sichtbares Anzeichen sind auch Felsinseln an verschiedenen Stellen des Gletschers.

Seit 1973 betreiben die Glaziologen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften auch eine Pegelstation am Vernagtbach in 2640 Meter Höhe. Dort wird das Schmelzwasser des 11,44 Quadratkilometer großen Einzugsgebiets gemessen. Zusammen mit hydrologischen und meteorologischen Messungen an der Station lässt sich der Wasserhaushalt ermitteln.

Die Daten werden im Internet unter www.glaziologie.de veröffentlicht. Zwölf Kartierungen des Gletschers seit 1889 ergänzen die Messungen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Seit dem letzten Hochstand der Gletscher in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Vernagtferner beinahe kontinuierlich an Fläche und Volumen verloren. Seine Fläche hat fast um ein Drittel abgenommen. Weniger als ein Viertel der einstigen Eismenge ist noch vorhanden.

Die Dramatik der Entwicklung hat in diesem Sommer auch der erste bayerische Gletscherbericht beleuchtet: Demnach wird von den fünf Gletschern der bayerischen Alpen in 20 bis 30 Jahren wohl nur noch einer existieren. Generell ist die Temperatur in den Alpen in den vergangenen 150 Jahren um rund zwei Grad gestiegen, besagt der Bericht. Das ist fast doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. An einem heißen Sommertag verlieren die Gletscher bis zu 35 Millionen Liter Wasser. Zwar gab es im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder Schwankungen der Eismenge im Alpenraum. Doch sind Glaziologen überzeugt: So schnell wie zurzeit ging es noch nie vonstatten.

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