Klimaschutz:Heiße Zeiten

Umweltminister Gabriel durfte vor kurzem mit dem Segen des ganzen Kabinetts überaus ehrgeizige Klimaschutz-Ziele verkünden. Doch in seinem Programm gibt es noch reichlich ungedeckte Schecks.

Wolfgang Roth

Die Bundesregierung steht vor aufregenden Monaten, und es geht dabei nicht um Steuerfragen, um die Arbeitslosen oder die nötige Reform der Sozialsysteme. Wer zum Antritt der Großen Koalition prophezeit hatte, sie werde in der Umweltpolitik zwangsläufig auf anderen Kurs gehen als das grüngesprenkelte Bündnis zuvor, der darf sich wundern.

Die Dynamik des Klimawandels hat national wie international für einen derartigen Wandel des politischen Klimas gesorgt, dass Umweltminister Sigmar Gabriel am Donnerstag mit dem Placet des ganzen Kabinetts überaus ehrgeizige Ziele zur Reduzierung der Treibhausgase verkünden durfte.

Es ist ein Programm mit konkreten Zahlen für konkrete Sektoren. Es ist ein Paket mit dem Gewicht von 270 Millionen Tonnen Kohlendioxid, was für Deutschland 2020 den Ausstoß von 40Prozent weniger Klimagasen bedeuten würde als im Basisjahr 1990. Und das alles, sagt der Minister, sei machbar, machbar auch ohne Kernenergie und "ohne Belastungen für Wirtschaft und Verbraucher".

Die Entzauberung

Es ist wie Zauberei. Richtige Zauberer leben davon, dass sie dem Publikum ihre Tricks nie verraten. Politiker, die in der Verantwortung stehen, müssen aber irgendwann sagen, mit welchen Mitteln und mit den Mitteln welcher Klientel sie das alles bewerkstelligen wollen. Und wenn es dergestalt konkret wird, wird es mit der Einigkeit im Kabinett schnell ein Ende haben. Immer wieder wird es dann um die Laufzeiten der deutschen Atomreaktoren gehen, sozusagen eine Dehnungsfuge dieser Koalition.

Aber nicht nur um die Atomreaktoren. Es ist ein leicht durchschaubarer Trick, den Leuten weismachen zu wollen, man könne ein solches Programm ohne Belastungen vollenden. Lasten anders zu verteilen, ist aber originäre Aufgabe der Politik. Verteilungspolitik ist geradezu ihre Kernaufgabe, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient und nicht nur dem Interesse einer, wenn auch mächtigen, Gruppe. Unabwendbar werden die Interessensgegensätze zu Tage treten, wenn die ersten konkreten Schritte folgen.

Zum Beispiel bei der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, dieser dezentralen, konkurrenzlos effektiven Form der Stromerzeugung, die in Deutschland ein Schattendasein führt. Das liegt daran, dass die Stromkonzerne einen Teil ihrer Verfügungsmacht und damit ihres Einflusses abgeben müssen. Wie auch immer der Anteil solcher Anlagen verdoppelt werden soll, es läuft darauf hinaus, dass mehr Industrie-Unternehmen, mehr Stadtwerke und Hauseigentümer zu Strom-Müllern werden und den Profit der Branchenriesen schmälern. Es wird interessant zu beobachten sein, wie sich der Bundeswirtschaftsminister dabei positioniert.

Es gibt noch reichlich ungedeckte Schecks in diesem Programm. Die geplanten neuen Kohlekraftwerke sollen nicht nur einen wesentlich höheren Wirkungsgrad haben, sie sollen ihren Persilschein auch mit Hilfe einer Technik bekommen, von der heute niemand weiß, ob sie überhaupt funktionieren kann: Das Kohlendioxid soll am Ort der Verbrennung abgefangen und in unterirdischen Hohlräumen, im Bauch der Erde sicher verwahrt werden. Vielleicht ist das möglich, vielleicht ist es zu bezahlen, aber im Moment nur basierend auf dem Prinzip Hoffnung, so wie man einst darauf vertraute, für den stark strahlenden Müll der Kernkraftwerke werde schon beizeiten eine Lösung gefunden.

Ein anderer Pfeiler in Gabriels Prunkgebäude sind effizientere Motoren in der Industrie und allgemein sparsamere Elektro-Geräte. An dieser Stelle seiner Regierungserklärung kam das ins Spiel, was in Deutschland lange des Teufels war und durch freiwillige Vereinbarungen mit den Wirtschaftsbranchen ersetzt wurde: staatliche Vorgaben.

Die Idee ist, dass das jeweils sparsamste Gerät den Standard vorgibt, den alle anderen in einer bestimmten Frist erreichen müssen. Das Prinzip wird in Japan schon praktiziert und umfasst dort auch Autos, ob sie nun im Land hergestellt oder importiert werden. Für solche Vorgaben wäre aber wegen des gemeinsamen Marktes die Europäische Union zuständig, und die hat nun so viele Mitglieder, dass der Weg zu gemeinsamen Einsparstandards steinig werden kann. Auch dieser Scheck bedarf noch der Deckung.

Etwas verschwiemelt wird die Sache, wenn es um den Verkehr geht. Mit Biosprit, kraftstoffsparenden Motoren, geringerer Motorleistung und - man höre und staune - effizienterer Fahrweise soll der Kohlendioxid-Ausstoß der Pkw um bis zu 40Prozent gemindert werden. An dieser Fahrweise hat die deutschen Autofahrer aber schon bisher niemand gehindert, nur dass die meisten keinen Anlass dazu sahen, den allseits beklagten Spritpreisen zum Trotz. So mancher wird es gleichwohl als Verzicht empfinden, wenn er niedertourig dahintuckert, und um "Verzichtsethik" darf es laut Gabriel im Klimaschutz nicht gehen.

Ohne den Verzicht auf das eine oder andere wird es aber gar nicht gehen, schon gar nicht im Autoverkehr. Irgendetwas muss die Leute dazu bewegen, just all jene Autos mit weniger Pferdestärken zu kaufen, wenn sie denn in größerer Zahl angeboten werden. Irgendetwas muss sie auch dazu bringen, sparsamer von ihren Karossen Gebrauch zu machen. Die Diskussion der vergangenen Monate macht da wenig Hoffnung - der Streit über die Ausgestaltung der Kfz-Steuer, das Hick-hack über eine Art Klimapass für Neuwagen, der hinhaltende Widerstand der deutschen Regierung gegen europäische Verbrauchsvorgaben für die Autoflotten.

An ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wollen in den Volksparteien die wenigsten denken, obwohl es kaum ein einfacheres Mittel gibt, einen Anreiz für sparsamere Autos in diesem Land zu setzen. Nebenbei wäre es auch der Anreiz für ein zivilisierteres Miteinander im Kampf um die linke und rechte Spur.

Nur kein Verzicht

Das wäre aber Verzicht, und der soll in der Umweltpolitik nicht sein. Sonst schon: Mal müssen die Rentner auf was verzichten, mal die Patienten, mal die Arbeitslosen. Es geht eben nicht anders. Zuletzt hat der Bund seine Zuschüsse zum öffentlichen Nahverkehr gekürzt, was negative Auswirkungen für diejenigen haben kann, die sich gar kein Auto leisten können.

Das alles ist nicht Gabriels originärer Beritt, sondern der des Verkehrsministers - eine politische Spezies, die in Deutschland nicht so sehr durch wegweisende Gedanken über die Mobilität der Zukunft als durch allseits ausgleichendes Wesen auffällt.

Für Sigmar Gabriel, der bisher bemerkenswertes Stehvermögen als Umweltminister gezeigt hat, brechen nun heiße Zeiten im Kabinett an. So geschlossen seine Ressortkollegen jedenfalls nach außen hin das Acht-Punkte-Programm zum Klimaschutz mittragen, so erbittert werden sie ihre Positionen verteidigen, wenn das Programm ins Werk gesetzt wird.

Man wird dann oft hören, dass dieses oder jenes nicht machbar sei, vor allem vom Finanzminister, der schlecht auf etwas verzichten kann. Am schlimmsten wäre aber der Verzicht auf Klimaschutz.

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