Klimagipfel:Warum die Staaten in Paris um jedes einzelne Wort feilschen

Klimagipfel: Ein chinesischer Arbeiter sortiert Plastikflaschen, die recycelt werden sollen. China ist weltgrößter Emittent von Müll und auch von klimaschädlichen Treibhausgasen.

Ein chinesischer Arbeiter sortiert Plastikflaschen, die recycelt werden sollen. China ist weltgrößter Emittent von Müll und auch von klimaschädlichen Treibhausgasen.

(Foto: Fred Dufour/AFP)

Die Verhandlungspartner liegen nur wenige Zahlen und Formulierungen auseinander. Doch die haben es in sich. Die wichtigsten Streitpunkte im Überblick.

Von Michael Bauchmüller, Paris

Schon am Freitagmorgen hat Laurent Fabius kapituliert: Der Zeitplan für den Klimagipfel war nicht mehr zu halten. Tagelang hatte Frankreichs Außenminister, zugleich Präsident der Klimakonferenz, auf ein pünktliches Ende am Freitagabend gepocht. Nun sollte es Samstag werden, frühestens. Mitunter liegen die Staaten nur ein paar Worte oder Zahlen auseinander - doch die haben es in sich.

1,5 oder 2 Grad Celsius? Dreh- und Angelpunkt des Pariser Abkommens soll ein gemeinsames Fernziel sein, die Beschränkung des Temperaturanstiegs. Es soll Maßstab aller künftigen Aktionen der Staaten sein. Auf einen Anstieg um zwei Grad, gemessen an den Temperaturen zu Beginn der Industrialisierung, haben sich schon viele Staaten verpflichtet, doch vor allem Inselstaaten sind damit nicht zufrieden. Den Untergang vor Augen, pochen sie auf maximal 1,5 Grad. Bisher mit Erfolg: Die 1,5 Grad halten sich am Freitag wacker im Entwurf.

Null Kohlendioxid oder CO₂-neutral? Das schönste Ziel nutzt nichts ohne einen Weg dorthin. "Man wird die 1,5 Grad nicht erreichen, wenn man nicht auf Dekarbonisierung setzt", sagt Johan Rockström von der Uni Stockholm. Auch die G-7-Staaten verlangten beim Gipfel in Elmau die Dekarbonisierung, also den möglichst raschen Verzicht auf fossile Brennstoffe. Viele Staaten wollen im Abkommen aber lieber "kohlenstoffneutral" lesen. Der Unterschied ist immens. Während null CO₂ den völligen Verzicht auf Kohle, Öl und Gas verlangt, ließen sich mit der Vokabel "neutral" noch neue Kraftwerke und Verbrennungsmotoren rechtfertigen. Sie müssten ihre Emissionen nur kompensieren - etwa durch die umstrittene CCS-Technologie zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid.

Mitte oder Ende des Jahrhunderts? Ginge es nach der Wissenschaft, müsste spätestens 2050 Schluss sein mit klimaschädlichen Emissionen. Konkurrenzformulierungen sind "im Laufe des Jahrhunderts" oder "bis zum Ende des Jahrhunderts". Verhandelt wird nun über den vagen Passus "in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts". Es gilt: Je später, desto übler.

Pflichten für viele oder einige? Welche Staaten Klimaschutz Pflichten haben, ist bisher minutiös geregelt - in einer UN-Konvention aus dem Jahr 1992. In einem eigenen Anhang zählt sie die damaligen Industriestaaten auf, vor allem in Europa und Nordamerika. Dass China schon 20 Jahre später der größte Klimasünder sein würde, konnte damals keiner ahnen. Das Land gilt nach den alten Regeln noch als Armenhaus, ebenso Schwellenländer wie Brasilien oder Südafrika.

Die Industriestaaten wollen diese Teilung aufweichen, Länder wie Indien dagegen unbedingt daran festhalten - wenn eine Streitfrage den Gipfel platzen lassen kann, dann ist es diese. Klar ist: Wenn sich China und Co. auf Dauer nicht auch auf Klimaschutz verpflichten lassen, wird das Abkommen wenig bewirken.

Früher starten oder später? Das Pariser Abkommen soll der Startpunkt werden für eine Art Perpetuum mobile des Klimaschutzes. Alle fünf Jahre - so heißt es im Entwurf - sollen die Staaten neue Klimapläne vorlegen. Jeder Plan soll besser sein als sein Vorgänger; gemeinsam sollen die Staaten überprüfen, ob sie noch auf dem rechten Pfad sind. Bloß: Wann wollen sie damit anfangen? In Kraft treten soll das Abkommen 2020, auch die bisherigen nationalen Pläne regeln den Klimaschutz erst für die Zeit danach. Bliebe es dabei, würden sie erst in zehn Jahren nachgebessert, während die Treibhausgase weiter Fakten schaffen.

Verhandelt wird deshalb auch über einen früheren Start. Schon vor 2020 würden die Pläne der Staaten erstmals überprüft und nachgebessert, vor 2025 würde die zweite Runde starten. Doch umstritten ist derzeit sogar noch, wie sich die Staaten gegenseitig kontrollieren. Nur eins ist klar: Mit den bisherigen Plänen lassen sich weder 1,5 noch zwei Grad Celsius halten. Mit ihnen steuert die Welt eher auf drei Grad Temperaturplus zu.

Haftung oder bloß Verantwortung? Wer die größte Schuld trägt am Klimawandel, ist unbestritten: die Industriestaaten des Nordens. Dass damit Verantwortung einhergeht, bestreiten sie nicht. Auch deshalb wollen sie bis 2020 mit mindestens 100 Milliarden Dollar im Jahr ärmere Staaten im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Aber gleich eine Haftung? Viele Entwicklungsländer fordern eine Kompensation für Schäden, die sie dem Klimawandel zuschreiben, etwa Dürren oder Stürme. Die USA und die EU fürchten ein Fass ohne Boden, sie bieten stattdessen Versicherungen gegen Klimaschäden.

Fragen der Haftung und Kompensation, so heißt am Freitag im Entwurf, "bedürfen weiterer Überlegungen". Aber vielleicht lassen die Entwicklungsländer von der Haftung ab, wenn die Industriestaaten ernst machen mit dem Kampf gegen den Klimawandel. Dafür allerdings müssten sie mehr Zusagen machen, glaubt Kevin Andersson, Forscher am britischen Tyndall-Center. "Für die Armen ist der Text bisher irgendwo zwischen gefährlich und tödlich."

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