Klimabericht:"Die Herausforderung des Jahrhunderts"

Drastisch wie nie zuvor machen die UN den Menschen für den Klimawandel verantwortlich. "Die Beweise liegen auf dem Tisch", so Achim Steiner vom UN-Umweltprogramm.

Die Temperaturen auf der Erde werden laut Bericht des Weltklimarates IPCC der UN bis zum Jahr 2100 wahrscheinlich mehr als doppelt so schnell steigen wie im vergangenen Jahrhundert.

Klimawandel
(Foto: Foto: dpa)

Und der Mensch trägt nach Einschätzung der führenden Klimaexperten der Welt die Verantwortung für die globale Erwärmung.

In der Studie des UN-Klimaausschusses, die der Weltklimarat jetzt vorgestellt hat, heißt es, die beobachteten Veränderungen in der Atmosphäre und den Weltmeeren sowie der Verlust von Packeis seien ohne äußere Einwirkung nicht zu erklären. Der Klimawandel sei "vom Menschen verursacht und wird sich selbst bei einer Stabilisierung des Treibhausgasausstoßes Jahrhunderte fortsetzen".

Sehr wahrscheinlich oder nahezu wahrscheinlich?

Es sei "sehr wahrscheinlich", dass diese Entwicklung nicht allein auf natürliche Ursachen zurückzuführen sei.

Die Experten und Vertreter von mehr als 100 Regierungen hatten sich gestern auf eine entsprechende Formulierung geeinigt.

Die mehr als 500 Autoren äußerten sich damit schärfer als noch 2001. Damals erklärten sie lediglich, es sei "wahrscheinlich", dass der Mensch die Verantwortung für die Erderwärmung trage.

Zahlreiche der Wissenschaftler und Regierungsmitarbeiter hatten die Formulierung "nahezu sicher" (virtually certain) in den Bericht schreiben wollen. Aber die chinesischen Vertreter blockierten nach Teilnehmerkreisen die schärfere Variante.

Trotzdem sei dies "ein großer Schritt, der eine starke Botschaft aussenden wird", sagte der tschechische Vertreter und Klimaexperte Jan Pretel.

"Die Beweise liegen nun auf dem Tisch, jetzt muss die Weltgemeinschaft endlich handeln", sagte der Leiter des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, bei der Vorstellung des Berichtes.

Wer nun noch untätig bleibe, werde als verantwortungslos in die Geschichte eingehen. "Der Klimawandel ist die Herausforderung des Jahrhunderts."

"Es ist keine Frage, dass die Zunahme des Treibhausgases auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist", bestätigte die Klimaforscherin Susan Solomon, die die US-Regierung im Weltklimarat vertritt.

"Der Bericht stellt ganz klar fest, dass der Mensch überwiegend an der globalen Erwärmung Schuld hat", erklärte der Potsdamer Forscher Stefan Rahmstorf, einer der Leitautoren des Reports. "Natürliche Faktoren spielen eine völlig untergeordnete Rolle".

"Es gibt kaum noch Zweifel am menschengemachten Klimawandel", ergänzte der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg, Martin Claußen. Dies mache der Bericht "so deutlich wie nie zuvor".

Der Klima-Chefberater der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber, erklärte: "Mit dem nun vorliegenden Bericht sollten letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass wir Menschen es sind, die die Klimaschraube überdrehen."

Der frühere Chef des UN-Umweltprogramms und ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer warnte in einem Interview des Westdeutschen Rundfunks: "Wer jetzt noch nicht wach ist, der muss sich fragen, was denn eigentlich passieren muss, damit man den Ernst der Lage erkennt."

Erwärmung um 1,1 bis 6,4 Grad

Der unter anderem auf rund 400 Computersimulationen basierende Report präsentiert sechs Temperaturszenarien.

Im besten Fall sei bis 2100 mit einer Erwärmung von 1,1 bis 2,9 Grad Celsius zu rechnen, im schlimmsten Fall mit 2,4 bis 6,4 Grad - je nachdem, wieviel CO2 noch in die Atmosphäre gelangt. Die wahrscheinlichste Veränderung liegt zwischen 1,8 und 4,5 Grad Celsius.

In den nächsten zwei Jahrzehnten steigt die Temperatur laut IPCC alle zehn Jahre um 0,2 Grad. Selbst wenn die Konzentration der Treibhausgase im Jahr 2000 auf dem damaligen Stand eingefroren worden wäre, wäre ein Temperaturzuwachs von 0,1 Grad Celsius pro Jahrzehnt zu erwarten, hieß es in Paris.

In den vergangenen hundert Jahren waren die Temperaturen um 0,8 Grad gestiegen.

Der inzwischen vierte IPCC-Bericht seit 1990 hält zudem fest, dass sich der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt. Von 1961 bis 2003 seien im Schnitt 1,8 Millimeter pro Jahr hinzugekommen. Zwischen den Jahren 1993 und 2003 stieg der Meeresspiegel dabei im Schnitt bereits um 3,1 Millimeter pro Jahr.

Der Anstieg des Meeresspiegels beträgt bis 2100 im besten Szenario 18 bis 38 Zentimeter, im schlimmsten 26 bis 59 Zentimeter. Weitere zehn bis 20 Zentimeter seien möglich, wenn die schnelle Abschmelze des Polareises fortschreite.

Die Klimaexperten der Vereinten Nationen beschreiben zahlreiche langfristige Veränderungen, etwa in den Windstrukturen. Zugenommen hätten extreme Wetterereignisse wie Dürren, schwere Niederschläge, Hitzwellen und die Intensität tropischer Zyklone. Wahrscheinlich, so heißt es, ist Klimawandel seit den 70er Jahren Ursache für immer stärkere Wirbelstürme.

Vor sechs Jahren hatte das Gremium noch keine hinreichenden Indizien für diesen Schluss.

Feilen an den Formulierungen

Seit Montag war in der UNESCO-Zentrale in Paris hinter verschlossenen Türen an den Formulierungen gefeilt worden.

Die Studie ist brisant, weil sie die bislang genauesten Schätzungen über die Erderwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels in den kommenden hundert Jahren liefert.

Das Dokument des UN-Klimaausschusses (IPCC) ist eine der maßgeblichen Grundlagen für die Verhandlungen über das Vorgehen nach dem 2012 auslaufenden Kyoto-Protokoll, durch das der Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre begrenzt werden sollte.

Als Aktion für die Umwelt und gegen den Klimawandel hatten Millionen Franzosen gestern Abend für fünf Minuten das Licht ausgemacht.

Umweltschutzorganisationen hatten dazu aufgerufen, am Abend vor der Veröffentlichung des vierten internationalen Klimaberichts in Paris auf diese Weise ihre große Sorge über die Klimaentwicklung auszudrücken. Auch die Beleuchtung des Eiffelturms in Paris wurde von 19.55 bis 20.00 Uhr abgestellt.

Der Stromverbrauch sackte in den fünf Minuten um 800 Megawatt oder mehr als ein Prozent ab, was der Beleuchtung von drei Millionen Haushalten entspricht, teilten die Betreiber des französischen Stromnetzes RTE am Abend mit.

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