Klimaabend auf RTL:Der große Schwindel

Ein RTL-Abend zum Klimawandel will gesellschaftlichen Dialog anstiften, bringt aber vor allem viel Verwirrung. Im Mittelpunkt: Eine britische Dokumentation voller Fehlinformationen.

Christopher Schrader

Am Montagabend kurz vor Mitternacht muss RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel geglaubt haben, er habe für seinen Sender nochmal die Kurve gekriegt. Es sei ein Fehler, sagte er zusammenfassend, "den Einfluss der Menschen auf unsere Erde und ihr Klima völlig in Frage zu stellen".

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Klimadokumentation auf RTL: Einigkeit weckt Widerspruchsgeist

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Das hatte sich 105 Minuten zuvor noch ganz anders angehört. Da kündigte Kloeppels Kollegin Birgit Schrowange nämlich eine Dokumentation an, "die alles auf den Kopf stellt, was man uns bisher erzählt hat".

Grund der Aufregung war die überarbeitete Fassung eines im März vom britischen Channel 4 ausgestrahlten Beitrags. In dem Sender, der für Provokationen bekannt ist und zuletzt mit Bildern von der sterbenden Prinzessin Diana Aufregung produzierte, hatten namhafte Wissenschaftler behauptet, dass Energiesparen sinnlos sei - weil der Mensch gar keinen Einfluss auf das Klima habe. Warnungen vor der globalen Erwärmung aus Politik und Forschung seien Panikmache. Programmatisch daher der Titel des Films bei RTL: Der Klima-Schwindel.

Seit der Weltklimarat IPCC im Februar seinen neuen Bericht vorgelegt hat, haben viele Berichte der Presse den Klimawandel, genauer den menschliche Beitrag zum Klimawandel, als bewiesenes Faktum behandelt.

Einige Fehler ausgebügelt, viele belassen

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm erfreut, dass die Führer der großen Industrienationen einschließlich US-Präsident George W. Bush die wissenschaftlichen Ergebnisse der Klimaforscher anerkannt hätten.

Solche Einmütigkeit weckt offenbar in vielen Journalisten den Widerspruchsgeist und die Lust an der Provokation. So machte der Spiegel Anfang Mai die angebliche Klimahysterie, die die neuen Daten ausgelöst hätten, zur Titelgeschichte.

Auch die aktuelle Ausgabe des Magazins Cicero schreibt in vier Beiträgen über "Die Klima-Lüge". Und zuvor hatte Channel 4 seinen "Great Global Warming Swindle" ausgestrahlt. Bei aller Angriffslust war dessen Autor Martin Durkin allerdings ziemlich dünnhäutig: die britische Zeitung Times zitierte genüsslich aus einer E-Mail, in denen er seinen Kritikern statt mit Argumenten mit Wörter begegnete, die nur mit einem Buchstaben und drei Sternchen gedruckt wurden.

Die Kritiker hatten Durkin und seinem Team nachgewiesen, die Aussage des Films mit allerhand Fehlern und Auslassungen zurechtgebogen zu haben. Sie waren auf zahlreichen Seiten im Internet nachzulesen.

Einige davon hat RTL in seiner Fassung ausgebügelt, auch wenn die Bearbeitung nach Angaben des Senders nur der Kürzung und Eindeutschung gedient habe. Manche deutschen Wissenschaftler hätten sich von selbst gemeldet, um dabei zu sein, sagte ein Sender-Sprecher. Dennoch enthält auch der am Montag ausgestrahlte Beitrag noch genügend Fehler. Dazu sechs Beispiele:

Erstens: Im Film wird mit Quellenangabe IPCC eine Temperaturkurve der vergangenen 1000 Jahre gezeigt, mit dem Hinweis, dass es im Mittelalter bereits eine Periode gegeben habe, in der es viel wärmer war als heute.

Doch was als "Jetzt" mit einem Pfeil gekennzeichnet wurde, ist in Wahrheit der Stand von ungefähr 1975 (wie man feststellt, wenn man das Bild in der Aufzeichung anhält und mit dem Lineal auf dem Bildschirm herummisst - aber das macht natürlich kein normaler Zuschauer). Seitdem hat die Menschheit neun der zehn wärmsten Jahre seit Beginn kontinuierlicher Messungen Mitte des 19. Jahrhunderts erlebt.

Die entsprechenden Kurven aus den jüngsten IPCC-Berichten von 2001 und 2007, die beide vor der Ausstrahlung bei Channel 4 vorlagen, zeigen das mittelalterliche Optimum weit weniger poinitert, weil es ein europäisches, aber kein globales Phänomen war.

Und schließlich sagen Klimaforscher, dass weniger die Höhe der momentanen Temperaturen als das Tempo ihres Anstiegs ein klares Zeichen für den Einfluss des Menschen ist.

Zweitens: Der RTL-Film sagt, die Menschen setzen pro Jahr sieben Milliarden Tonnen des Treibhausgases CO2 frei, weniger als ein Zehntel des Betrags, der aus den Ozeanen ausgase. In Wirklichkeit setzt der Mensch laut IPCC 26,4 Milliarden Tonnen CO2 durch die Verbrennung fossiler Brennstoff frei und weitere 5,9 Milliarden Tonnen durch Veränderungen der Landnutzung (siehe hier, Seite 2).

Und das Meer nimmt mehr von dem Treibhausgas auf, als es abgibt. Der genaue Wert ist nicht bekannt, aber Forscher nehmen an, dass die Ozeane zwischen einem Drittel und der Hälfte des momentan freigesetzten Treibhausgases absorbieren.

Drittens: Aus Eisbohrungen kennt die Wissenschaft Temperatur und Zusammensetzung der Atmosphäre, wie der Film zutreffend beschreibt. Darin zeigt sich, dass die Temperaturen am Ende von Eiszeiten oft ansteigen und erst 800Jahre später auch der CO2-Wert zunahm.

Das nehmen die im Film zitierten Forscher als Beweis, dass auch diesmal der Anstieg des Treibhausgases nicht für die beobachtete Erwärmung verantwortlich sein könne. Es ist aber keinerlei Beweis.

Die Erwärmungen am Ende von Eiszeiten dauern 5000 Jahre und werden wahrscheinlich durch Veränderungen im Umlauf der Erde um die Sonne ausgelöst; das freigesetzte CO2 könnte die Erwärmung später durchaus antreiben. Zudem die Menschheit hat die Erde in eine noch nie da gewesene Situation gebracht, indem sie künstlich und schnell große Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen hat. Sie enthält nun mehr davon als jemals in den vergangenen mindestens 400000 Jahren.

Viertens: Der RTL-Film beschreibt angebliche Diskrepanzen bei den Temperaturen in der Atmosphäre. Weil sie nicht so schnell anstiegen wie erwartet, gerate das ganze Theorie vom Klimawandel ins Wanken. Hauptzeuge dafür ist im Film der amerikanische Forscher John Christy. Der allerdings hat bereits im Mai 2006 an einem 14-seitigen, offiziellen Report mitgeschrieben, der die früheren Diskrepanzen auf Fehler bei Satellitenmessungen zurückführt.

Fünftens: Zwischen 1940 und 1975, als die Industrialisierung in aller Welt richtig in Schwung kam, sanken der im Film gezeigten Grafik zufolge die Temperaturen. Das widerlege die These, CO2 aus der Verbrennung von Öl und Kohle erwärme das Klima, sagten die zitierten Wissenschaftler. Doch die gezeigte Grafik enthielt allein Daten aus der Arktis; globale Werte zeigen für den Zeitraum eher ein Verharren der Temperaturen.

Das erklären Klimaforscher durch die Luftverschmutzung. Sie habe den Planeten gekühlt, und sobald die Industriestaaten dagegen zu kämpfen begannen, stiegen die Temperaturen auch wieder. Dieses breit diskutierte Gegenargument ließ die Dokumentation aus.

Sechstens: Die Schwankungen der Temperaturen lasse sich besser mit der Aktivität der Sonnenflecken als mit Treibhausgasen erklären, zeigt der Film mit zwei Grafiken. Sie reichen 140 und 400 Jahre in die Vergangenheit zurück. Bei der ersten aber hat man den Autoren bereits vor vielen Jahren Rechenfehler nachgewiesen, die die Übereinstimmung von Sonnenzyklus und irdischem Klima trüben.

Und beim zweiten hat der im Film zitierte Urheber nach der Ausstrahlung bei Channel 4 protestiert: Offenbar haben die Filmemacher fehlende Daten aus einer unbekannten Quelle ergänzt.

Außerdem könne er entgegen der Bemerkung des Sprechers eben gerade nicht ausschließen, dass in den vergangenen 20 Jahren auch die vom Menschen freigesetzten Treibhausgase ihren Beitrag zur Erwärmung geleistet haben.

Tatsächlich hat also auch die RTL-Dokumentation damit unter anderem durch Auslassung versucht, den aktuellen Stand der Forschung umzudrehen. Hinzu kamen ominöse Hinweise, dass viele Tausend Wissenschaftler, Funktionäre und Journalisten - gezeigt wurden aber nur Printmedien - inzwischen gut vom Klimawandel und der Panikmache lebten.

Verschwiegen wurde hingegen, dass der oft und auch mit diesem Vorwurf gegen die Forscher zitierte Meteorologe Gerd Rainer Weber beim Gesamtverband des deutschen Steinkohlebergbaus als Klimaexperte angestellt ist.

Solchem Umgang mit den Fakten zugrunde lag offenbar das alte Rezept, dem auch Gerichtsthriller wie "Die 12 Geschworenen" mit Henry Fonda folgen: Man muss seine abweichende Meinung nicht beweisen, es genügt Zweifel an der etablierten zu wecken.

Normale Reaktion einer medialen Welt?

Doch anders als es der Film unterstellt, sind die Klimaforscher, die im IPCC mitarbeiten, überhaupt kein dogmatischer Block. Sie haben, unter kräftiger Einmischung von Politikern, für ihren Report eine Gesamtschau der veröffentlichten Studien destilliert, die weitergehende und abweichende Meinungen zulässt.

Und sie geben zu jeder ihrer Aussagen in standardisierten Formulierungen an, wie umstritten die Aussage ist. Ein Kernsatz im IPCC-Report vom Februar 2007 heißt darum: Das verbesserte Verständnis über das Klima führt "zu einer sehr großen Zuversicht, dass der Netto-Effekt der menschlichen Aktivitäten seit 1950 ein wärmender war". Das liest sich auch nicht viel anders als Kloeppels Schlusssatz.

Der Chefredakteur moderierte nach der Dokumentation eine Gesprächsrunde, die immerhin schon ein Fragezeichen hinter das Wort "Schwindel" setzte. Wissenschaftlichen klarstellen konnte die Runde schon deswegen kaum etwas, weil sich der offenbar dazu eingeladene Wilfried Thommes, Vorstandsmitglied des Deutschen Wetterdienstes, ständig in seinen Sätzen verhedderte.

Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin hingegen ordnete den Film gleich in seinem ersten Worten als "normale Reaktion einer medialen Welt" ein - und verwies darauf, das nach den Anschlägen am 11.September 2001 ähnliche Berichte kursierten, die USA hätte die Zerstörung des World Trade Center selbst inszeniert. Während der Diskussionsrunde hatten allerdings 1,1 der 2,9 Millionen Zuschauer der Dokumentation schon abgeschaltet.

Auch wenn sich die Runde dann schnell darauf einigte, dass Panik und Hysterie aufgrund des Klimawandels gewiss nicht angebracht seien, und auch wenn Kloeppel am Ende der Hauptaussage des Films widersprach, bleibt ein Hautgout: RTL hat vorgegeben, einen gesellschaftlichen Dialog über den Klimawandel und die zugrundeliegende Wissenschaft anstoßen zu wollen.

Die Mühe, diese Wissenschaft auch sauber darzustellen, machte sich der Sender dafür allerdings nicht.

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