Klima:"Eine Zeit, in der zu leben sich keiner wünschen würde"

Was uns im nächsten Jahrhundert erwartet, wenn wir unsere Gesellschaft nicht dekarbonisieren: Ein Militärhistoriker zeigt Zukunftsszenarien auf.

Petra Steinberger

Was wäre, wenn...? Weit nach vorn spekulieren, Zukunftsszenarien erstellen, vor allem in großem Rahmen, vor allem, wenn sie schlecht enden - das ist in der Wissenschaft nicht gern gesehen. Zu angreifbar macht an sich, wie das vor ein paar Monaten wieder einmal die Gemeinde der Klimaforscher erfahren musste.

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Atomarer Krieg zwischen Indien und Pakistan, Terroranschläge fanatischer Umweltaktivisten, Erpressungen von Staaten, die durch den Klimawandel am stärksten betroffen sind, eine zunehmende Abschottung der klimabegünstigten Länder des Nordens - der kanadische Militäranalyst Gwynne Dyer beschreibt für die Zukunft eine furchtbare Zweiteilung der Welt.

(Foto: dpa)

Da hatte sich herausgestellt, dass Annahmen über das rasche Abschmelzen der Gletscher wohl überzogen gewesen waren. Die Gletscher würden, korrigierte man, zwar schmelzen, aber eben nicht so schnell.

Nur: Kaum hatte man die Zahlen revidiert, wurde diese Berichtigung von der Fraktion der Skeptiker instrumentalisiert. Da diese ja sowieso der Ansicht sind, dass der Klimawandel, wenn überhaupt existent, erstens nicht von Menschen gemacht sei und zweitens nicht bedrohlich, sahen sie das als weiteren Beweis, dass die ganze Aufregung um die globale Erwärmung eine riesige Verschwörung sei - von an Forschungsgeldern interessierten Klimaforschern und liberalen Medien.

Man wird also in Zukunft noch vorsichtiger sein und nicht allzu viele spekulative Szenarien entwerfen. Auch wenn am Mittwoch dieser Woche, kurz vor dem Klimagipfel im mexikanischen Cancun, eine neue Studie des United Nations Environment Programme UNEP davor warnt, dass die Welt noch bei weitem nicht genug Emissionen reduziert hat, um jene magische Zwei-Grad-Grenze der globalen Erwärmung einzuhalten, über die hinaus unabsehbare, nicht berechenbare Klimafolgen eintreten könnten.

Und auch wenn die Daten für den nächsten Weltklimabericht, der 2014 erscheint, die alten Zahlen von 2007 um einiges übertreffen werden. Nur ja keine Spekulationen. Und daher auch kaum eine in der Bevölkerung verbreitete Vorstellung darüber, was im schlimmsten Fall passieren könnte - wenn wir so weitermachen.

Den Schritt in die Spekulation hat ein anderer gewagt, der kanadische Militäranalyst Gwynne Dyer in seiner auf Englisch bereits 2008 (zur gleichen Zeit wie Harald Welzers "Klimakriege") erschienen Zukunftsanalyse "Schlachtfeld Erde", die für die aktuelle deutsche Ausgabe neu überarbeitet wurde.

Er hat gesammelt, was an aktuellen Studien und Prognosen existiert, hat mit Klimaforschern, Soziologen, Militärs und Umweltschützern gesprochen und ihre Ansätze zusammengestellt. Allein das wäre bereits eine umfassende und lesenswerte Übersicht über den Stand der Forschung.

Dyers Fazit: Das ganze Theater, etwa andere Glühbirnen zu benutzen und weniger Auto zu fahren, mag zwar "irgendwie nützlich sein, um ein bestimmtes Bewusstsein zu erzeugen und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, ihr Schicksal in einem gewissen Ausmaß selbst in der Hand zu halten. Für den Verlauf und den Ausgang der globalen Klimakrise jedoch spielt es praktisch keine Rolle."

Wir müssen, so Dyer, unsere Gesellschaft vollständig "dekarbonisieren". "Wenn wir es bis zum Jahr 2050 nicht geschafft haben, die Emissionen von Treibhausgasen auf Null zurückzufahren (...), dann wird die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts eine Zeit werden, in der zu leben sich keiner wünschen würde."

Und das macht Dyer in seien verschiedenen Zukunftsszenarien über die nächsten Jahrzehnte ganz klar. Sie sind, um Einwänden vorzubeugen, sehr spekulativ, sie können so oder so nicht eintreffen - aber dennoch sind sie keinesfalls aus der Luft gegriffen.

Eine Zweiteilung der Welt

Sieben Szenarien sind es, bis zum Jahr 2175, verteilt über die gesamte Erde. Da ist jener sich heute schon abzeichnende Konflikt um das Wasser der großen Flüsse des Himalaya zwischen Indien und Pakistan. Die Gletscher schmelzen, die Brunnen versiegen, die Felder vertrocknen, und die beiden Staaten bedrohen einander angesichts ihrer verhungernden und verdurstenden Bevölkerungen mit dem Einsatz von Gewalt. Im Jahr 2036 eskaliert der Konflikt in einen atomaren Krieg.

Da ist jenes Szenario über den Einsatz von Geo-Engineering, von technischen Maßnahmen globalen Ausmaßes also, um das Klima zu verändern - mit den daraus resultierenden Konflikten zwischen Staaten einerseits, die diese technischen Mittel aus Verzweiflung anwenden, und den weniger betroffenen, die sich dagegen wehren; mit Konflikten innerhalb der Staaten selbst, deren Bevölkerung gespalten ist in diejenigen, die Geo-Engineering wegen der unabsehbaren Folgen fürchten, und jenen, die es, technikgläubig, befürworten.

Im Jahr 2025 dann droht die Regierung von Bangladesch, "eine Million Tonnen schwefelhaltigen Staub in die Atmosphäre einzubringen - damit wollen sie das einfallende Sonnenlicht abdämpfen und im Alleingang die globale Temperatur senken, wenn nicht sofort globale Vorkehrungen getroffen würden, um dieses Ziel mit weniger rabiaten Mitteln zu erreichen."

Terroranschläge fanatischer Umweltaktivisten, Erpressungen von Staaten, die durch den Klimawandel am stärksten betroffen sind, eine zunehmende Abschottung der klimabegünstigten Länder des Nordens. Eine Zweiteilung der Welt in die, die es - noch - aushalten können, und die anderen, die am Rand des Abgrunds zu immer verzweifelteren Mitteln greifen. Sterbende Meere, Flüchtlingsströme, Grenzscharmützel. Reiche, austrocknende Atomstaaten bedrohen ihre reichen Nachbarn, die noch Wasser und Nahrung haben.

Ist das der komplett zusammenfantasierte Irrsinn eines ehemaligen Kalten Kriegers? Wohl kaum. Dyer zitiert zu viele Experten, die immer wieder zu ähnlichen Schlüssen kommen. Und da ist jenes beunruhigende Detail, das weniger mit Gewalt und Tod zu tun hat und umso mehr mit Verzweiflung. Auf die Menschheit kommt eine Zeit zu, in der sie, so ein Umweltaktivist, mit der Tatsache fertig werden muss, dass der Klimawandel sich zunehmend verschlimmert, während wir gleichzeitig immer mehr tun, um ihn einzudämmen.

Wir können in Sachen Karbonreduktion noch so viel unternehmen - 40 Jahre lang wird das Klima sich trotzdem verschlechtern." Eine solche Situation hat der Mensch, zumindest in der moderneren Geschichte, noch nicht erlebt. Die große Frage ist nun, wie er damit umgeht. Wird es zu so etwas wie "Mitleidsmüdigkeit" kommen, in der uns die Leiden anderer Menschen nicht mehr interessieren? Wie werden die politische Systeme der industrialisierten westlichen Welt, die zum Großteil auf Kooperation und auf Vertrauen aufgebaut sind, damit umgehen?

Gwynne Dyer kommt immer wieder zu nur einer Lösung: Um überhaupt zu einer weltweiten Übereinkunft zu kommen, müssen wir akzeptieren, dass jedem Mensch die gleiche Menge an CO2 zur Verfügung stehen darf - und diese Menge ist sehr viel kleiner als das, was durchschnittlich im Westen verbraucht wird. Eine Alternative? Gibt es nicht.

GWYNNE DYER: Schlachtfeld Erde. Klimakriege im 21. Jahrhundert. KlettCotta, Stuttgart 2010, 383 Seiten, 22,95 Euro.

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