Kino:Robinsons Raumfahrt

Fiese grüne Männchen, blutsaugende Maschinen: Im Film verhieß der Rote Planet wenig Gutes. Mit "Der Marsianer" kehrt Sachlichkeit ins Weltraum-Kino ein.

Von Fritz Göttler

Für manche wird der Mars, der kalte, abweisende Planet, zum Ort des endgültigen Exils. In der Erzählung "The Exiles" des großen Ray Bradbury hat im Jahr 2020 die Erde das totale Gesetz der Rationalität durchgesetzt und alle fantastischen und romantischen Dichter und ihre Geschöpfe auf den Mars verbannt: Shakespeare, Poe, Bierce, Dickens. Eine finstere, trostlose Existenz.

Mark Watneys Schicksal ist geradezu hell dagegen. Der Held in Andy Weirs Roman "Der Marsianer", wird vor der Rückkehr zur Erde versehentlich für tot gehalten und auf dem Planeten zurückgelassen. Der Schiffbrüchige ernährt sich fortan von Marskartoffeln und Marskaffee - das ist heißes Wasser und eine darin aufgelöste Koffeinpille. Fünf Speisezuteilungen hat er außerhalb der täglichen Kartoffel-Kaffee-Rationen für besondere Momente vorbereitet, die vierte davon ist gedacht für den Moment, da er etwas überlebt hat, das ihn hätte umbringen können: "Weil garantiert etwas Schlimmes passieren wird. Ich weiß noch nicht, was es ist, aber passieren wird es. Der Rover wird zusammenbrechen, ich ziehe mir tödliche Hämorrhoiden zu, ich treffe auf feindselige Marsianer oder weiß der Teufel was. Wenn ich so etwas überlebe, verspeise ich dieses Päckchen."

All das, was Mark Watney sich ausmalt, ist in Dutzenden Marsromanen und -filmen durchgespielt worden, es gehört zur Standardausrüstung des Genres. Roman und Film setzen statt auf Spannung und Melodramatik auf die praktische Gelassenheit, mit der Mark seine Situation in den Griff kriegt, ohne Spuren von Verzweiflung oder Hysterie. Das Vorbild hierfür ist natürlich Robinson Crusoe in Daniel Defoes Roman vom Anfang des 18. Jahrhundert, der vom Überleben auf einer einsamen Insel erzählt. Robinson half sein Gottvertrauen, die Gewissheit, dass alles in der Welt seinen Platz und seinen Sinn hat und dass der Mensch nichts anderes tun muss, als diesen Sinn zu erkennen und die natürlichen Objekte sich pragmatisch anzueignen und nutzbar zu machen. Genauso sieht es, ein paar Jahrhunderte später, der Marsianer Mark Watney.

Matt Damon

Keine Männchen weit und breit, aber jede Menge Staub: Der unfreiwillige Marsbewohner Mark Watney ist eine sehr moderne Version eines Gestrandeten.

(Foto: AP/Twentieth Century Fox)

Spekulativer und spektakulärer ging es zu, als Ende des 19. Jahrhunderts der Mars seinen literarischen Durchbruch schaffte, mit "Auf zwei Planeten" von Kurd Laßwitz, 1897, und ein Jahr später "Krieg der Welten" von H. G. Wells, der später dann mehrfach verfilmt und von Orson Welles in ein furioses, Amerika aufschreckendes Hörspiel verwandelt wurde. Edgar Rice Burroughs, der Schöpfer des Tarzan, schuf als weiteren Helden John Carter, den es aus dem amerikanischen Bürgerkrieg auf einen Mars verschlägt, der - wenig überraschend - einem irdischen Dschungel gleicht, mit wilden Tieren und Stämmen. In der Sowjetunion drehte 1924 Jakow Protasanow "Aelita", über eine Königin des Mars, in einem Reich zwischen Futurismus und Neusachlichkeit. Als in den 1930er-Jahren in den USA die billigen Pulpromane florierten, durften die Marsianer ihre ganze Schrecklichkeit entfalten, und bis hinein in die 1960er-Jahre hat so gut wie jeder prominente SF-Autor, von Olaf Stapledon und Edmond Hamilton bis Arthur C. Clarke und Isaac Asimov, Ray Bradbury und Philip K. Dick ("Mozart für Marsianer"), seine eigenen Geschichten vom Mars und seinen Bewohnern erzählt. Vor zwei Jahren hat dann Georg Klein mit "Die Zukunft des Mars" den Planeten noch für die deutsche Literatur neu entdeckt.

Im amerikanischen Kino war das Interesse zweigeteilt, die Hälfte der Marsfilme erzählten von Invasionen der monströsen Marsianer, wie die "Krieg der Welten"-Verfilmungen von Byron Haskin und Steven Spielberg (mit Tom Cruise) oder "Invasion from Mars" von William Cameron Menzies oder "Mars Attacks!" von Tim Burton. Die anderen zeigten sich fasziniert von dem rätselhaft fremden Planeten, seine wilden Unnahbarkeit und der Einsamkeit, zu der er die Menschen verdammt - eins der schönsten Beispiele ist "Mission to Mars" vom Thrillerregisseur Brian de Palma, seine Hommage an den Pulp seiner Jugend. Von Byron Haskin gibt es sogar eine Version "Robinson Crusoe on Mars" aus den Sechzigern. Und für "Ghosts of Mars" hat John Carpenter böse Geister auf dem Planeten reaktiviert.

Der Mars war den amerikanischen SF-Autoren und -Filmemachern immer näher als der Mond, der weit weniger Geheimnisse bergen konnte als der ferne Mars. Und die Faszination ist in keiner Weise abgeflaut durch die neuen Erkenntnisse und Bilder, die in den letzten Jahren aus dem All geliefert wurden. Sie hätten diese Geschichte um das Wasser auf dem Mars schon gewusst, als sie den "Marsianer" drehten, erklärte Regisseur Ridley Scott. Der Mars ist mehr als nur ein aufregendes Territorium für Raumfahrtabenteuer, im Mythos dieses Planeten reflektiert sich ein uramerikanischer Mythos, jener der Pioniere des amerikanischen Traums. Ende des 19. Jahrhunderts war die Erschließung und Besiedelung des amerikanischen Kontinents, die große Bewegung westwärts auf die "last Frontier" zu, abgeschlossen. Die Expeditionen auf dem Mars haben diese Grenze noch einmal weiter hinausgeschoben, noch einmal gilt es hier, Wildnis in fruchtbares, kolonialisiertes Land zu verwandeln.

In den Erzählungen über den Mars spiegelt sich der Mythos vom amerikanischen Traum

Die Weite eines solchen Blicks in eine andere Welt, in fremde Landschaften und Mentalitäten wird dabei schnell zur Illusion. Die Perspektive ist bald von der Enge der eigenen Welt bestimmt - der Enge der Fünfziger, der großen Zeit der amerikanischen Science Fiction, und ihres Kalten Krieges. Die Fremden zu sehen, ist gar nicht so einfach, das hat Roland Barthes skizziert in einer seiner Mythen des Alltags, über Marsmenschen. "Denn die Unfähigkeit, sich das Andere vorzustellen, ist einer der durchgängigsten Züge jeder kleinbürgerlichen Mythologie. Andersheit ist der Begriff, der dem ,gesunden Menschenverstand' am fernsten liegt. Jeder Mythos neigt fatalerweise zu einem engen Anthropomorphismus, und, was schlimmer ist, zu dem, was man Klassenanthropomorphismus nennen könnte. Der Mars ist nicht nur die Erde, er ist die kleinbürgerliche Erde . . ."

Einer hat dieses erzählerische Dilemma entschärft, indem er es thematisierte: Ray Bradbury, der in den über fünf Jahrzehnten seines Schreibens immer wieder zum Mars zurückgekehrt ist. In seinen Geschichten ist der Traum vom Aufbruch in fremde Welten immer mit der Kindheit verknüpft, der eigenen in der amerikanischen Provinz und der seines Landes. In seinen "Mars-Chroniken" wird diese Bewegung zusammengefasst, in Geschichten um die Träume von der Besiedlung, die Trauer des Abschiednehmens von der alten, die Konfrontation mit der neuen Welt, das Verblassen der Hoffnungen und die Einsamkeit. Am Ende der "Exiles" werden die verjagten Dichter erneut bedroht, ein Raumschiff von der Erde nähert sich dem Mars, um sie weiter zu vertreiben, langsam senkt es sich, während Edgar Allan Poe rast und tobt, auf die Mars-Oberfläche wie ein tödliches Pendel.

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